Künstler | Buzzcocks | |
Album | Singles Going Steady | |
Label | Domino | |
Erscheinungsjahr | 1979 | |
Bewertung |
In der vierteiligen Dokumentation The True Story Of Punk von Regisseur Jessie James Miller gibt es eine Definition von Punk aus berufenem Munde. John Lydon, als Johnny Rotten einst der Frontmann der Sex Pistols, erzählt dort, was aus seiner Sicht die wichtigsten Zutaten für Punk sind: Ehrlichkeit, Engagement und Empathie. Die Buzzcocks haben alles, wie Singles Going Steady beweist.
Die Compilation passt auch aus einem anderen Grund perfekt zur erwähnten Dokumentation, denn in der Doku-Reihe wird auch beleuchtet, wie sich Punk zunächst parallel in den USA und in England entwickelte und sich die beiden Szenen dann gegenseitig befruchteten. Genau dafür ist letztlich auch diese Sammlung ein Beispiel. Sie wurde ursprünglich im September 1979 veröffentlicht, und zwar nur in den USA, um die Buzzcocks mit einer Auwahl ihrer besten Songs dem dortigen Publikum näher zu bringen. Die A-Seite enthielt ihre acht bis dahin veröffentlichten Singles in chronologischer Reihenfolge, die B-Seite die dazugehörigen B-Seiten. Im November 1981 kam das Album auch im UK heraus, weil es bei Fans so beliebt war.
Orgasm Addict eröffnet die Platte mit Stöhnen und dem Lieblingsthema der Buzzcocks, das Spektrum reicht dabei von Masturbation bis zu wahllosen Sexpartnern. What Do I Get? könnte man sich auch von den Ramones vorstellen, in der Frage, die der Songtitel formuliert, steckt eigene Verzweiflung und Einsamkeit, aber genauso ein Seitenhieb auf Egoismus und Raffgier allerorten, dazu gibt es viel mehr Details und Abwechslung, als in einem Punksong gestattet sein sollten. I Don’t Mind unterstreicht das enorme Talent für Melodie und Eingängigkeit bei dieser Band.
Schon diese drei Songs zum Auftak zeigen, wie Pete Shelley (Gesang/Gitarre), Steve Diggle (Gitarre/Gesang), Steve Garvey (Bass) und John Maher (Schlagzeug) die eingangs erwähnte Johnny-Rotten-Trias bedienen. Zur Ehrlichkeit gehören bei ihnen die schonungslosen Texte, die oft genug von (eigener) sexueller Frustration handeln. Zum Engagement gehört ihr scharfer Blick für gesellschaftliche Widersprüche. Zur Empathie gehört das Verständnis für die (nicht nur hormonelle) Bedrängnis ihrer Altersgenossen.
Es geht auf Singles Going Steady nicht so plakativ oder aktivistisch zu wie bei anderen Bands dieser Ära, stattdessen verlegen die Buzzcocks ihre Aufmüpfigkeit und die Weigerung, ein Blatt vor den Mund zu nehmen, besonders gerne ins Private. Die Stärke der Zuneigung in Love You More entspringt somit auch der Größe des Schmerzes nach all den Enttäuschungen zuvor, zugleich persifliert der Song ein bisschen die sonst in Liebesliedern übliche romantische Überhöhung. Ever Fallen In Love (With Someone You Shouldn’t’ve) klingt wie ein Tagebucheintrag, zu dem man Pogo tanzen kann: Von Start-Stop-Dynamik über Spiel mit dem links-rechts-Panorama im Sound bis hin zu einer perfekten Balance aus Härte und Einfühlungsvermögen reichen hier die Qualitäten des Quartetts aus Manchester.
Promises lebt nicht nur von der Verlierer-Perspektive und dem Eingeständnis, schon wieder ein Trottel gewesen zu sein, sondern auch davon, dass alles in diesem Song auf den Punkt ist. Everybody’s Happy Nowadays bietet etwas mehr Tempo und Aggressivität, dazu unterstreicht der extra-hohe Gesang des im Dezember 2018 verstorbenen Pete Shelley im Refrain sicherheitshalber noch, wie sarkastisch das alles gemeint ist. Auch Harmony In My Head ist roher und dreckiger als der Buzzcocks-Durchschnitt, Autonomy wird gefährlich, kraftvoll und entschlossen, zugleich ist hier das (im Punk nicht unbedingt übliche) Können an den Instrumenten unverkennbar.
Auch Noise Annoys unterstreicht das: In anderem Soundgewand könnte man sich einige Passagen daraus sogar von den Beatles vorstellen, außerdem gibt es erstaunlich viele Soli. Lipstick hat einen guten Groove und eine gute Dramaturgie, Why Can’t I Touch It? setzt eine ganz einfache Idee sehr wirkungsvoll um und zeigt, dass Reggae und Dub nicht nur von The Clash in die Punk-Kultur gebracht wurden. Just Lust thematisiert sehr effizient zerplatzte Träume, What Ever Happened To? vereint klassische Buzzcocks-Stärken: Es ist unverkennbar getrieben von Frustration, packt das aber in sehr schöne Melodien. Oh Shit! zeigt hingegen eine Schwäche der Band: Die Stimme von Pete Shelley ist nicht unbedingt geeignet, um die melodiösen Stärken dieser Songs glänzen zu lassen, aber auch zu dünn und brav für rabaukige Momente wie diesen. Something’s Gone Wrong Again zeigt die Lust auf Experimente und Weiterentwicklung bei den Buzzcocks, das hämmernde Klavier als überraschendes Element gehört ebenso dazu wie das im Punk höchst ungewöhnlichen Fade-Out.
Der Effekt, für den Singles Going Steady vor 40 Jahren gedacht war, funktioniert somit auch heute noch: Es ist eine klasse Kostprobe dieser Band, die Lust auf mehr macht. Die Compilation ist im Rahmen der 2018 begonnenen Re-Issue-Reihe von Domino gerade neu aufgelegt worden, remastered und mit einem neuen Booklet, das Liner Notes von Clinton Heylin (der beispielsweise die Punk-Chronologie Anarchy In The Year Zero: The Sex Pistols, The Clash And The Class Of ’76 geschrieben hat) und zum Teil unveröffentlichten Fotos enthält.