Künstler | Cabaret Voltaire | |
Album | BN9Drone | |
Label | Mute | |
Erscheinungsjahr | 2021 | |
Bewertung |
Als Cabaret Voltaire 2014 beim Atonal-Festival in Berlin ihre erste Liveshow seit ewigen Zeiten spielten, schrieb der Rolling Stone von einem mittelmäßigen Auftritt und von einer Musik (womit das ganze dort repräsentierte Genre gemeint war, nicht bloß die Show, die Richard H. Kirk damals alleine bestritt), die „viel von ihrer einstigen Sprengkraft verloren hat“ und „reif fürs Museum ist“. Man kann so viel Ernüchterung vielleicht besser verstehen, wenn man weiß, wie wild und innovativ die Anfangstage der Band aus Sheffield waren. Als sie 1973, damals noch als Trio, ihr erstes Konzert spielten, bestand ihre Musik aus der Tonband-Aufnahme eines Presslufthammers, der für den Rhythmus sorgte, und der Klarinette von Kirk, der dabei eine mit Blitzlichtern besetzte Jacke trug. Das war im UK der Prä-Punk-Ära so abgefahren, dass ihn das Publikum schließlich von der Bühne geprügelt hat.
Natürlich sind Cabaret Voltaire heute nicht mehr so spektakulär. Kirk ist im Rentenalter angekommen und die Musik, für die er einer der Pioniere war, hat sich als EBM, House und Techno den Weg in den Mainstream gebahnt. Dass er durchaus noch zu Überraschung, Provokation (ein früher Song der Band hieß Baader Meinhof) und auch zur Herausforderung in der Lage ist, steht dennoch außer Frage, wie die aktuelle Veröffentlichungsoffensive beweist.
Zwischen 1994 und 2020 gab es genau ein neues Album (National Service Rewind aus dem Jahr 2010), seitdem ist der Output plötzlich so eng getaktet wie in den frühen 1980er Jahren. Im vergangenen Jahr erschien das Album Shadow Of Fear, im Februar die Quasi-Fortsetzung mit der EP Shadow Of Funk, Ende März das ein-Track-Album Dekadrone und nun mit BN9Drone ein weiteres Album, das nur aus einem einzigen Stück besteht.
Schon diese Veröffentlichungspolitik kann man sowohl als Zeichen von Punk wie auch als Ausdruck neuer Produktivität betrachten, die 64 Minuten von BN9Drone bestätigen das. Man findet hier die bekannten Stilmittel wie das vom Krautrock übernommene Spiel mit Monotonie und Wiederholung, psychedelische Passagen, Industrial-Sounds und natürlich den Drone, der auch im Titel des Albums steckt. Diese Ästhetik weckt aber nach wie vor faszinierende Assoziationen: unterirdische Autorennen, aus einer Leitung entweichende Luft, rebellierende X-Fighter, Funksprüche aus fernen Zeitaltern, ein kurz zum Leben erwachendes Kinderspielzeug, Donner-Scratches, etwas Metallisches wie der Klang einer nicht auber gegossenen Kirchenglocke, eine Maschine, die ihren eigenen Schöpfer heimzusuchen scheint, nach einer Dreiviertelstunde auch beinahe vollständige Ruhe.
Cabaret Voltaire „fused electronic sound with the yobbish rush of adrenaline-fuelled punk to devastating effect“, kann man in der Great Indie Discography von Martin C. Strong nachlesen. So gering die Gefahr ist, dass jemand dabei heute noch so sehr in Wallung gerät, dass er eine Schlägerei anzettelt oder gar die Künstler von der Bühne prügelt, so sehr kann man weiterhin erkennen, wie zutreffend diese Analyse auch anno 2021 ist. BN9Drone passt vielleicht wirklich ins Museum, aber auch dort käme das Publikum nicht umhin, das nicht bloß als irritierendes Hintergrundgeräusch, sondern als äußerst interessante Musik wahrzunehmen. Letztlich verfolgt diese Platte dasselbe Ziel wie die erste Live-Performance dieser Band vor fast 50 Jahren: Cabaret Voltaire sind eine Herausforderung für die Ohren ebenso wie ein Stimulus fürs Gehirn.