Künstler | Cabaret Voltaire | |
EP | Shadow Of Funk | |
Label | Mute | |
Erscheinungsjahr | 2021 | |
Bewertung |
Für jemanden wie mich, der nicht allzu bewandert ist in elektronischer Musik, auch nicht im Industrial Funk oder Post-Punk, denen Cabaret Voltaire ebenfalls zugerechnet werden, stellt sich bei einer Veröffentlichung wie Shadow Of Funk leicht die Frage: Was soll man da schreiben? Es gibt in diesen drei Tracks mit einer Gesamtspielzeit von mehr als 28 Minuten natürlich Beats und Samples, es gibt aber keinerlei Text und auch wenig Material, das die Band aus Sheffield zu dieser EP dazuliefert.
Man könnte jetzt natürlich über den enormen Einfluss referieren, den sich Cabaret Voltaire in ihrer ersten Schaffensphase zwischen 1973 und 1994 erarbeitet haben. Oder über das gefeierte Live-Comeback beim Berliner Atonal Festival 2014 mit Richard H. Kirk als einzig verbliebenem Gründungsmitglied. Oder über das noch mehr gefeierte Shadow Of Fear (2020), ihr erstes Studioalbum seit mehr als einem Vierteljahrhundert. Oder über den Charakter dieser EP als – der Titel deutet es schon an – Begleiter zum Album und zweite Veröffentlichung im Rahmen einer vierteiligen Reihe, deren weitere beide Teile noch im Frühjahr mit hohem Drone-Anteil nicht nur in den Titeln folgen sollen: Dekadrone ist für 26. März angekündigt, BN9Drone wird am 23. April 2021 erscheinen.
Viel mehr Spaß macht es allerdings, all das zu ignorieren und die Möglichkeit zu nutzen, die instrumentale Musik mit einer durchweg so gekonnten Dramaturgie bietet: Kopfkino. Der Titelsong Shadow Of Funk als Auftakt der morgen erscheinenden EP klingt maschinell und unruhig, mit einer nicht nur angedeuteten Aggressivität à la Chemical Brothers oder The Prodigy, und dann kann man fleißig rätseln, welche Assoziationen diese Sounds wecken. In meiner Interpretation gehören dazu eine Schreibmaschine, ein Altglascontainer, ein Autorennen, eine Herde wilder Tiere, ein Fitnessgerät und ein Hochgeschwindigkeitsakrobat. Den Beginn des folgenden Skinwalker könnte man als Chemie-Alarm in einem Hafen betrachten, die weiteren Passagen klingen mit etwas Fantasie wie ein frühes Computerspiel, ein Kampf zwischen Insekten, ein bockiges Kind – und tatsächlich auch wie ein Besuch in einem Club.
Der Vorab-Track Billion Dollar beschließt Shadow Of Funk etwas behutsamer als die ersten beiden Tracks, auch dann noch, als der Beat einsetzt. Hier sind am deutlichsten menschliche Stimmen (wenn auch verfremdet) zu erkennen, gegen Ende könnte sich auch eine E-Gitarre hineingeschmuggelt haben, die irgendwann bei Apollo 440 liegen geblieben ist. Solche Verweise auf Referenzen, erst recht auf solche aus der tiefen Vergangenheit, sollten aber nicht darüber hinwegtäuschen, was Cabaret Voltaire hier am meisten auszeichnet: Sie wissen sehr genau um den eigenen Status, aber sie klingen nicht eine Sekunde lang rückwärtsgewandt oder gar altbacken.