Caleb Nichols Ramon

Caleb Nichols – „Ramon“

Künstler*in Caleb Nichols

Caleb Nichols Ramon Review Kritik
Die beiden Männer auf dem Cover sehen aus wie ein Songwriting-Traumpaar.
Album Ramon
Label Kill Rock Stars
Erscheinungsjahr 2022
Bewertung Foto oben: (C) Five Roses Press / Deborah Denker

Alles, was im Universum existiert, besteht aus der Materie, die direkt nach dem Urknall übrig geblieben ist. Jedes Atom in jedem Lebewesen, jeder Felsen auf dem Mars, jede Staubwolke in fernen Galaxien. Und wenn wir eines Tages sterben, zerfallen wir in Atome, die irgendwo anders im All wieder auftauchen und weiterverwertet werden. So sieht zumindest die derzeit gängige astrophysikalische Erklärung für die Frage aus, warum überhaupt irgendetwas da ist.

Ein bisschen wie mit diesen Elementarteilchen ist es mit den Beatles: Alle Popmusik, die derzeit existiert, ist in irgendeiner Weise auf ihr Schaffen zurückzuführen. Natürlich waren die Beatles kein Urknall, sondern bauten selbst auf einer reichen Tradition auf, und natürlich wird es Künstler*innen geben, die noch nie von den Fab Four gehört haben (oder das zumindest behaupten), aber ihr bis heute währender und viele Genres umspannender Einfluss ist unverkennbar.

Ein wunderbarer Beleg für diese These ist diese Platte von Caleb Nichols. Der Künstler aus Kalifornien, der auch mit seinen Gedichten bereits für Aufsehen gesorgt hat und derzeit an der Bangor University in Wales in Kreativem Schreiben promoviert, nennt sein Werk „eine queere Rock-Oper“ über die Liebenden Ramon und Jerome, in der jedes Lied ein bestimmtes Gefühl repräsentieren soll. Aber man kann darin auch ohne Probleme ein verkapptes Tribute-Album erkennen. Die sich küssenden Männer auf dem Albumcover haben eine erstaunliche Ähnlichkeit mit Paul McCartney und John Lennon, und das erste Lied der Platte heißt Listen To The Beatles. Es bietet viel von dem, was diese Band so legendär gemacht hat, vom kreativen Gitarrenpicking über den wirkungsvollen Bass und die sehr ursprünglichen Percussions bis hin zum Gesang voller Wärme. Am Ende von Listen To The Beatles steht etwas Wahnsinn, ganz am Schluss hört man kreischende Mädchen wie einst im Shea Stadium.

Dieser Auftakt ist programmatisch. Man findet auf Ramon mühelos die passenden Sequenzen zu seinem jeweiligen Lieblings-Pilzkopf, etwa energische Ringo-Drums (Dog Days), John-Psychedelik (Run Rabbit Run), Paul-Niedlichkeit (Ramon) oder George-Sensibilität (Captain Custard). In einem Lied wie She’s The Beard lässt Caleb Nichols die Rock’N’Roll-Ursprünge und die gelegentliche Lust auf Aggressivität der Band aus Liverpool erkennen, I Can’t Tell You glänzt mit tollen Harmonien und einer Melodie aus der Meisterklasse, From A Hole In The Road entwickelt sich von zart zu abgedreht, inklusive rückwärts laufender Elemente, mit denen die Beatles ein weiteres prägendes Element in die Popgeschichte eingebracht haben.

Jerome erweist sich als origineller Rocksong, ebenso hymnisch wie edgy, im instrumentalen Mustard’s Blues kann man erleben, wie sich die Musik austobt und Grenzen auslotet im Stile von I Am The Walrus, unter anderem mit einem famos lebendigen Bass. (I Fell In Love On) Christmas Day schließt das Album als wunderhübsches Weihnachtslied ab, vielleicht als Erinnerung daran, dass die Beatles zu Beginn ihrer Karriere jeweils einen besonderen Gruß zu den Feiertagen für die Mitglieder ihres Fanclubs aufgenommen haben.

Das alles ist famos stilecht, mit viel Detailkenntnis und großer Liebe zum Sound dieser Vorbilder umgesetzt. Dass Ramon letztlich nicht wirklich wie die Beatles klingt, liegt nicht unbedingt an schwächeren Songs, sondern auch daran, wie charakteristisch die Stimmen von John, Paul, George und Ringo einzeln und zusammen waren – ein Umstand, der sich hier kaum kopieren lässt und dadurch umso deutlich wird. Und natürlich daran, dass Caleb Nichols auf Ramon nicht nur in den sehr poetischen Texten genug Eigenständigkeit einbringt.

Das Video zu Jerome dürfte Yoko Ono gefallen.

Website von Caleb Nichols.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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