Künstler | Caroline Says | |
Album | No Fool Like An Old Fool | |
Label | Western Vinyl | |
Erscheinungsjahr | 2019 | |
Bewertung |
„Moonlighter“ nennt man sie in den USA. Gemeint sind Menschen, die neben ihrem Erstjob noch einer (oder sogar mehreren) weiteren Tätigkeiten nachgehen, um ihr Gehalt aufzubessern, oft in den Nachtstunden. Rund 8 Millionen Amerikaner fallen in diese Kategorie und haben mindestens einen Nebenjob. Das zeigt natürlich nicht, wie emsig die Einwohner der Vereinigten Staaten darin interessiert sind, mit ihrer eigenen Hände Arbeit ihren Beitrag zu Trumps „Make America great again“ zu leisten. Sondern wie katastrophal die soziale Sicherung in ihrem Land ist (ein Drittel der Arbeitnehmer in den USA gilt als prekär beschäftigt). Caroline Sallee, die Frau hinter Caroline Says, hat derzeit gleich drei Jobs parallel, und das prägt ihr zweites Album No Fool Like An Old Fool sehr entscheidend.
„Ich wohne in einer ziemlich heruntergekommenen Wohnung im Erdgeschoss, und es fühlt sich an, als würde ich in einem abartigen Käfig leben. Ein älteres Ehepaar, das direkt über mir wohnt, hat mir die Wohnung vermietet. Ich höre alle ihre Schritte, sogar die Schritte ihres Hundes, und anscheinend verbringen sie große Teile ihres Tages damit, Dinge auf den Boden zu werfen. Ich komme mir vor, als würde ich in einer Trommel wohnen“, beschreibt sie die Situation in ihrer Wahlheimat Austin. Deshalb war es umso schwieriger, zuhause an Songs zu arbeiten – zumal sie ja wegen der drei Jobs ohnehin kaum Gelegenheit dazu hatte. Letztlich entschied sie sich, tagsüber die lauteren Parts (E-Gitarre und Schlagzeug) aufzunehmen, nachts dann die ruhigeren Elemente wie den Gesang.
Wenn man das weiß, werden einige der reizvollen Kontraste auf No Fool Like An Old Fool schnell nachvollziehbar. In Cool Jerk beispielsweise ist der Beat recht bestimmt, der Rest bleibt aber eher schüchtern – solch eine Kombination konnte man vor rund 20 Jahren auch bei Belle & Sebastian gelegentlich erleben. Der Rhythmus von I Tried überrascht mit lateinamerikanischen Einflüssen, aber das Ergebnis ist eher sanft als feurig. A Good Thief Steals Clean hat einen behutsamen Beat, bei dem man einen elektronischen Ursprung vermuten darf (ein Computer ist schließlich deutlich leiser als echte Drums, was die Nachbarn freuen dürfte), der Text jedoch erzählt eine extrem verzweifelte Geschichte von der Liebe zu einem Junkie, zu der Caroline Says von einem Film inspiriert wurde. Mea Culpa enthält eine nicht allzu aggressive Schrammelgitarre, die in diesem Ambiente aber fast auffällig schroff wirkt. Lone Star Tall Boy bleibt nach ein paar Sätzen zu Beginn komplett instrumental, als hätten sich die Vermieter über Lärm beschwert und der Gesang sei deshalb eingestellt worden.
Auch inhaltlich hat das stressige Pensum mit drei parallelen Jobs deutliche Spuren auf No Fool Like An Old Fool hinterlassen . „Während der meisten Aufnahmen war ich völlig erschöpft, weil ich so viel gearbeitet hatte. Ich war so aufgelöst, dass es diese Lieder einfach irgendwie durch mich hindurch geschafft haben“, sagt Caroline Sallee. Vielleicht rührt daher auch ihre Vorliebe für dramatische Geschichten ohne Happy End. „Ich neige dazu, die Perspektive von Figuren in bedrohlichen Situationen einzunehmen, auch wenn meine Lieder dabei heiter klingen“, sagt sie sehr treffend.
Black Hole ist inpiriert von Terrence Malicks Badlands und Bruce Springsteens Nebraska. Sie singt es als Quasi-Folkballade aus der Perspektive von Charles Starkweather, einem Serienkiller aus den 1950er Jahren. Rip Off erzählt die wahre Geschichte eines jungen Irakers, der schon seine Sachen gepackt hatte, um nach New York zu ziehen und dort als Tänzer zu arbeiten. Kurz vor seiner Abreise wurde er bei einem Bombenanschlag des IS getötet. Caroline Says setzt das mit einem hektischen Rhythmus um, die anderen Elemente sind davon unbeeindruckt und so verwaschen wie auf dem Rest der Platte.
Auch die Single Sweet Home Alabama betont stärker den Rhythmus, auch wenn dieser aus einer anderen Welt (oder zumindest einer anderen Zeit) zu kommen scheint. Caroline Says liefert damit nicht nur einen Antwortsong auf einen Antwortsong (der Hit von Lynyrd Skynyrd war ja eine Reaktion auf das kritische Alabama von Neil Young), sondern auch so etwas wie die Bewältigung eines Kindheitstraumas, das sie in ihrer Heimat erlitten hat. „Wenn man in Alabama aufwächst, ist dieses Lied unvermeidlich. Es verfolgt dich. Es kommt im Radio, es läuft bei Sportveranstaltungen. In der fünften Klasse habe ich wirklich angefangen, den Song zu hassen, als er auch noch einmal pro Woche zu Schulbeginn über die Lautsprecher gespielt wurde. Das Lied drückt Stolz für das aus, was an der Geschichte von Alabama am schlechtesten ist. Mir ist das wirklich peinlich“, erzählt sie. „Ich wollte dem etwas anderes mit demselben Titel entgegensetzen, das Alabama nicht so sehr überhöht.“
Eine Rückkehr dorthin scheint wohl trotz der schwierigen Wohnverhältnisse in Austin ausgeschlossen. Den wirklichen Sehnsuchtsort von Caroline Says lässt indes der sinnvoll benannte Album-Auftakt First Song erkennen. Der erste Eindruck ist bei diesem Lied: Das klingt sehr verträumt. Und dann merkt man: Mit jedem Ton scheint der Song noch ein bisschen mehr aus der Wirklichkeit zu entschwinden.