Künstler | Cautious Clay | |
Album | Deadpan Love | |
Label | The Orchard | |
Erscheinungsjahr | 2021 | |
Bewertung |
Cold War, die erste Single von Cautious Clay, wurde zum „Song Of The Day“ bei The Current gewählt, erreichte 1,5 Millionen Klicks bei YouTube und kann mehr als 80 Millionen Aufrufe bei Spotify vorweisen, dreimal so viele wie sein zweitbeliebtester Song. Der Künstler selbst, der aus Cleveland stammt und jetzt in Brooklyn lebt, hat das Stück einmal sein „Opus Magnum“ genannt.
Auf seinem gerade veröffentlichten Debütalbum Deadpan Love ist der Song trotzdem nicht enthalten. Das ist zwar nicht so kundenfreundlich, wie der Mann, der bürgerlich Joshua Karpeh heißt, mutmaßlich in seiner Zeit als Immobilienverläufer und Werbefachmann war. Es ist aber ein Zeichen von Selbstbewusstsein, für das er mindestens 15 gute Argumente hat. Das erste: Das Lied ist schon drei Jahre alt, entspricht also wahrscheinlich einfach nicht mehr dem, was er jetzt repräsentieren möchte – zumal er in der Zwischenzeit mit Blood Type, Resonance und Table Of Context drei EPs veröffentlicht hat. Die anderen 14 Argumente sind die Songs auf dieser Platte, die er mit Co-Autoren wie Tobias Jesso Jr. (Adele, HAIM), Jim-E Stack (Caroline Polachek, Empress Of), Daniel Nigro (Olivia Rodrigo, FINNEAS), Jesse Shatkin (Sia, Kelly Clarkson), Ammar Malik (Maroon 5, Halsey) und Sir Nolan (Shawn Mendes, Selena Gomez) geschrieben hat.
Das klingt nach erster Liga und großem Business, dafür finden sich bei Cautious Clay auch ein paar weitere Indizien. Er hat einen Remix von Billie Eilishs Ocean Eyes gemacht, wurde von Taylor Swift gesampelt (auf Lover) und hat Songs mit John Legend und John Mayer geschrieben. Zudem ist der 28-Jährige auch als Schauspieler aktiv, etwa in der Serie The Godfather Of Harlem, für die er auch Musik beisteuert.
Die große Stärke von Deadpan Love ist, dass man von diesen glamourösen Bezügen fast nichts merkt. Vielmehr gibt es Lieder wie Spinner (das Klavier klingt, als sei es noch ein Demo, viel mehr als seine Stimme braucht es dann zusätzlich gar nicht), Shook (das sich trotz seines besonders prominenten Basses als eine sehr filigrane Variante von RnB erweist) oder den Album-Auftakt High Risk Travel, der so spontan und lebendig klingt, als würde er ganz für sich alleine singen und spielen (auch wenn dann noch angedeutete Bläser und ein echter Chor hinzukommen). Das Stück enthält mit der Zeile „My heart is in two places“ auch einen Verweis zur Bedeutung des Albumtitels: „Deadpan Love erkundet, wie ich mit dem Schlimmsten, was die Menschheit zu bieten hat, fertig werde. Es geht um Gegensätze – eine äußere Schicht, die härter ist, dieser ‚Deadpan‘-Zustand, und eine innere Schicht des Mitgefühls, in der man offen dafür ist, für die Menschen da zu sein, die einem etwas bedeuten. Es ist dieser Kampf zwischen Mitgefühl und Zynismus, der mich dazu befähigt hat, mich durch dieses Medium auszudrücken.“
Das Ergebnis profitiert immer wieder von ungewöhnlichen Kombinationen wie in Dying In The Subtlety, das einen originellen HipHop-Beat mit schönem Harmoniegesang und tatsächlich einem E-Gitarren-Solo vereint. Strange Love lebt von seiner leichtfüßigen, verführerischen Atmosphäre ebenso wie von vielen schönen Details wie dem Part des Rappers Saba aus Chicago. Box Of Bones zeigt, dass die Stimme von Cautious Clay den Schmerz von Seal kennt, aber auch die mitunter feurige Sensibilität von Kele Okereke. Agreeable hat einen klasse Groove und im Refrain die wahrscheinlich schönste Melodie des Albums. Karma Friends, der einzige Schwachpunkt auf Deadpan Love, mischt Streicher mit ein paar weiteren Extravaganzen.
Als Pluspunkt erweist sich auch, dass die Lieder im Schnitt nicht einmal zweieinhalb Minuten lang sind. Cautious Clay weiß sehr gut, dass dann eben manchmal schon alles gesagt ist, und er weiß auch, dass ein Song zu Ende sein sollte, bevor der Fluss an Ideen versiegt ist, der ihn trägt. So schält sich in Whoa ein erhebender Refrain aus einer sehr ursprünglichen Klavierfigur heraus, in Wildfire kann seine Stimme am besten ihre Wirkung entfalten, Roots lässt erahnen, was R. Kelly für Musik machen könnte, wüsste er, was das Wort „decent“ bedeutet. Artificial Irrelevance könnte auch „Emotional Intelligence“ heißen, denn die liegt hier unverkennbar in der Erfahrung zugrunde, die besungen wird, und wird auch in der Umsetzung überdeutlich. Im Album-Schlusspunkt Bump Stock singt er darüber, nie mehr lieben und am besten überhaupt nichts mehr fühlen zu wollen – aber auch dieser Song ist viel zu innig, als dass man das glauben könnte.