Charlie Cunningham Frame Review Kritik

Charlie Cunningham – „Frame“

Künstler*in Charlie Cunningham

Charlie Cunningham Frame Review Kritik
Feinfühlig und virtuos ist Charlie Cunningham auf „Frame“.
Album Frame
Label BMG
Erscheinungsjahr 2023
Bewertung

Es gibt viele Menschen da draußen (wie ich), die Charlie Cunningham zuerst live entdeckt haben. Schließlich stand der Mann aus London schon bei sehr vielen wichtigen Festivals auf der Bühne, auch bereits mit großen Namen wie Bon Iver, Laura Mvula, Glass Animals, King Creosote oder Beirut. Auch mit seinem am Freitag erscheinenden Album Frame wird er wieder auf eine umfangreiche Tour gehen. Wer ihn auf diese Weise kennenlernt, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit vor allem eine sehr prägende Erinnerung mit diesem Künstler verbinden: Charlie Cunningham ist ein sagenhaft guter Gitarrist.

Es gibt sehr viele Menschen da draußen, die den Engländer zuerst digital entdeckt haben. Schließlich kommt er nachweislich auf mehr als 500 Millionen Aufrufe quer durch diverse Streaming-Plattformen. Wer diese Art von Erstkontakt hat, wird an ihm wohl das Gespür für hoch elegante, immer etwas wehmütige Songs schätzen, ähnlich wie beispielsweise die Lieder von William Fitzsimmons.

Hört man sein drittes Album, das erneut in Zusammenarbeit mit seinem langjährigen Produzenten Sam Hudson Scott entstanden ist, wird schnell klar, welche der beiden Perspektiven ihm die wichtigere ist. Es dauert bis zum dritten von zwölf Tracks, bis überhaupt zum ersten Mal eine Gitarre erklingt, auch drei weitere Lieder auf Frame kommen komplett ohne dieses Instrument aus. Statt seine Virtuosität zu demonstrieren, die er sich unter anderem beim Studium in Spanien angeeignet hat, wandert Charlie Cunninghams Fokus hier noch mehr als auf seinen letzten Veröffentlichungen hin zu Komposition, Stimmung und auch zu den Texten.

„Wir sind die Summe der widersprüchlichen Facetten unserer Persönlichkeiten – diese Lieder sind Gespräche zwischen meinen Persönlichkeiten. Zu lernen, die widersprüchlichen Teile von uns selbst zu akzeptieren oder sogar zu lieben, ist eine Frage des Selbstschutzes“, sagt er zu den Themen der Platte. Man hört das bereits in der Single Downpour, die der 39-Jährige beschreibt als einen „Versuch, mich meinem inneren Kritiker und den wahrgenommenen äußeren Kritikern zu stellen und mit ihnen zu diskutieren“, umgesetzt mit dem für ihn typischen Gitarrenpicking und sehr schönem mehrstimmigen Gesang.

Friend Of Mine entwirft er sogar als „post-apokalyptische Szenerie“, wie er es nennt. „Die Pandemie hat mir vor Augen geführt, wie zerbrechlich wir sind. Und als ich auf all diesen Spaziergängen während des Lockdowns wieder mit der Natur in Kontakt kam, wurde mir auch die Umweltkrise deutlicher bewusst, die sich rund um uns herum abspielt. Diese Gefühle von Angst und Ungewissheit werden in dem Lied in eine Art radikale Hoffnung umgewandelt. Es zielt darauf ab, eine Haltung zu finden, die sich auf das Kommende einlassen und anpassen kann.“ In der Tat gelingt es ihm hier mit sehr viel Feingefühl, zugleich Sehnsucht und Zuversicht, Sorge und Trost zu vermitteln. Die Wertschätzung der Umwelt lässt sich auch in Starlings erkennen, einem der Lieder, in denen das Klavier im Zentrum steht, das hier von traumhaften Bläsern ergänzt wird. „Es ist eine Art Gebet, aber an die Natur. Stare machen diese faszinierenden Muster, und niemand weiß wirklich, warum sie das tun. Es ist tröstlich, dieses höhere Bewusstsein, das sich darin erkennen lässt“, sagt Charlie Cunningham.

Natürlich gibt es auf Frame auch wieder Lieder mit weniger philosophischem Überbau wie End Of The Night, das nach dem Ende einer toxischen Beziehung viel Schmerz, aber vor allem auch Reflexion und Akzeptanz erkennen lässt. Shame I Know ist beispielhaft für den Sound der Platte, denn alles ist sanft und zurückhaltend, vom Besenschlagzeug über die gedämpften Bläser bis hin zum Gesang. Die akustische Gitarre in So It Seems lässt an Neil Young denken, der Rest des Songs beweist, dass Charlie Cunningham auch etwas von Groove und viel von Dynamik versteht, wenn sich das Stück nach drei Minuten fast vollständig verwandelt. Water Tower zeigt nicht nur am deutlichsten die Jazz-Einflüsse dieses Albums, sondern auch sein Gespür für Atmosphäre, das schwebende Pathways lebt von seinem Spiel mit Nuancen.

Birds Eye View verarbeitet den Tod seiner katholischen Großmutter kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie und wird angesichts der Sensibilität dieses Lieds und der ungewöhnlichen Melodieführung fast zwangsläufig zu Vergleichen mit Nick Drake führen. „Der Verlust löste einen merkwürdigen Widerspruch und eine Verbindung aus. Es ist, als ob mein Glaube – was immer das auch ist – durch ihren Glauben in mir weiterlebt, wie ein Fragment meiner Persönlichkeit. Es ist ein hoffnungsvoller Teil. Ich bin froh, dass er da ist“, sagt Charlie Cunningham.

Ebenso persönlich wird der Text von Watchful Eye über das Ende einer Liebesbeziehung, die hier mit einer Sucht verglichen wird. „Liebe und Sucht haben viele Gemeinsamkeiten. Es ist schwer zu akzeptieren, wenn etwas nicht funktioniert“, sagt der Künstler, der dabei rund drei Minuten lang nur auf Gesang und Gitarre setzt und dieses Arrangement dann filigran ergänzt, um es noch faszinierender zu machen. Der Titelsong Frame ist im Sound beispielhaft für seine Fähigkeit, mellow und angenehm zu klingen, dabei aber nicht belanglos und auch nicht konventionell zu sein. Er stellt zudem die Verbindung aus dem Zwischenmenschlichen und Universellen her, die dieses Album prägt, rund um die Erkenntnis: Veränderung gehört zum Leben, auch im Hinblick auf die eigene Persönlichkeit – denn nur so ist Entwicklung möglich.

Keine Gitarre, viel Intimität: Das gilt auch im Video zu Shame I Know.

Website von Charlie Cunningham.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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