Künstler | Charlotte Brandi | |
Album | The Magician | |
Label | Pias | |
Erscheinungsjahr | 2019 | |
Bewertung |
Sie war Wissenschaftlerin, Herrscherin und Bauherrin, Kämpfende, Tyrannin und Liebende. Manche halten sie sogar für die Frau, die in der Figur der Mona Lisa in die Kunstgeschichte eingegangen ist. Caterina Sforza (1463-1509) ist eine der faszinierendsten Frauen der Renaissance. In der Fernsehserie Die Borgias wird sie von Gina McKee gespielt und stirbt in der Gewalt des Papstes, im echten Leben nimmt ihr Leben einsam in einem Konvent ein Ende, in das sie sich zurückgezogen hatte, nachdem der jahrelange Kampf um ihre Macht und ihre Ländereien verloren war.
Wenn diese Frau gesungen hätte, wäre dabei vielleicht ein Lied herausgekommen wie A Sting. Die Frau, die hier singt, klingt stolz, intelligent und bedrohlich, sie kündigt vielleicht einen Rachefeldzug an, in jedem Fall aber maximale Skrupellosigkeit beim Bestreben, die eigene Macht zu vergrößern. „Justice is a rumor / I could go wherever I want / with two bloody hands and my old seabag / no one would come and stop me“, heißt es.
Die Frau, die da singt, ist Charlotte Brandi, und der Vergleich mit der Herzogin dürfte ihr gefallen, wie die Single Two Rows andeutet. Der Protagonist in diesem Song ist ein gefallener Großer, dem es immer nur um den eigenen Vorteil ging, der einflussreich und wohlhabend war, bis er alles verlor – und dann erst merkte, was ihm im Leben eigentlich wirklich wichtig ist. Diese Figur ist auch der Ausgangspunkt für The Magician insgesamt, sagt die Künstlerin. Sie legt mit der Platte ihr Solodebüt vor, ist aber natürlich längst keine Newcomerin mehr. Zwei EPs und zwei Alben hat sie mit Me & My Drummer veröffentlicht, in diesem Duo war sie zuständig für Gesang, Keyboards und Gitarre.
Das prägende Instrument für The Magician ist das Klavier. In der elterlichen Wohnung in ihrer Geburtsstadt Dortmund hat sie es einst für sich entdeckt, mittlerweile steht in ihrer eigenen Bleibe in Berlin auch wieder eins. Eine besonders prominente Rolle hat das Piano im instrumentalen Sitting Bull, ebenso in Where The Wind Blows, das wie ein Blues-Klassiker klingt, und zwar nicht nur im Sound, sondern auch in der Intensität. Auch dort, wo andere Instrumente im Vordergrund stehen, ist der Klavier-Ursprung dieser Kompositionen klar erkennbar, denn die Lieder von Charlotte Brandi sind so durchdacht und die Arrangements so ausgefeilt, wie man das eben fast nur auf diese Weise hinbekommt. „Dieses Album ist eine Masterclass, die ich mir selbst auferlegt habe“, sagt sie. „Je stärker die Musik in den Vordergrund trat, je bescheidener sich die Stimme in die musikalische Landschaft einfügte, desto demütiger wurde ich. Ein wichtiger Schritt nach der extrovertierten Synthie-Pose von Me And My Drummer. Ich bin nun mit mir und der Musik in einer schönen Balance. Es fühlt sich endlich nach mir und nur mir an.“
Ein bisschen fühlt es sich natürlich auch nach Tori Amos an, das Filigrane von Boy kann man in The Magician erkennen, ebenso den Mut beispielsweise von Amanda Palmer oder Feist, nicht zuletzt Vorbilder wie Joni Mitchell und Nina Simone. New Linen, der Schlusspunkt des Albums, ist so klug und poetisch und wehmütig, dass man ihn sich tatsächlich auch von Leonard Cohen vorstellen könnte. A Word handelt wohl von einer Beziehung, bei der beide Beteiligte schon am Anfang ahnen, dass sie kein gutes Ende nehmen wird, trotzdem wollen sie an diesen kleinen Rest an Hoffnung glauben statt an die große Wahrscheinlichkeit des Scheiterns. Schöner und erwachsener hätten auch die Cardigans so eine Konstellation nicht besingen können.
Der Auftakt Veins offenbart sofort das große Maß an Opulenz und Eleganz, das in dieser Platte steckt, ganz am Ende des Lieds gibt es einen himmlischen Chor und davor erwächst der Konflikt aus den Zeilen: „I am a hundred years old / and you are a new born baby.“ So cineastisch und atmosphärisch wie viele Momente auf The Magician ist My Days In The Cell. „Oh in the nights / I can feel it / there‘s an end to everyting / to my shy smile / your soft hands / to our days in the cell“, lauten die Verse, die viel vom Grundgefühl der Platte einfangen, noch schöner ist der Reim: „I gave all my intuition into your slippery hands / why can’t you see how precious I am?“
Jenny In Spirit scheint eine Märchenfee zu besingen, die in aller Heimlichkeit immer größere Kräfte entwickelt, genauso magisch klingt auch dieses Lied. Spuk, Trugbilder oder Traumgestalten tauchen hier immer mal wieder auf, freilich sollte man diese Erscheinungen nicht zu wörtlich nehmen. „The Magician beschreibt im Grunde ein Gefühl des 20. Jahrhunderts, nämlich die Liebe“, erklärt Charlotte Brandi. Bei Aliferous könnte man Gesang oder Streicher loben, aber das größte Kompliment gebührt dem Geheimnis, das bei aller Virtuosität in diesem Lied steckt. In Defenseless zeigt sich Charlotte Brandi lässig im Gesang und leidenschaftlich im Gefühl – es ist nicht zu glauben, dass man so viel Schönheit in weniger als 300 Sekunden packen kann.
„So beginnt für mich nun eine neue Geschichte. Es ist eine Geschichte über Selbstfindung“, sagt die 34-Jährige über ihr erstes Soloalbum. Mit Caterina Sforza hätte sie vielleicht ein gutes Vorbild dafür gefunden, denn eine Gemeinsamkeit zwischen ihnen ist auf dieser Platte unverkennbar: Beide wissen um ihre Schwäche, und daraus erwächst ihre Stärke.