Künstler | Chastity Belt | |
Album | Chastity Belt | |
Label | Hardly Art | |
Erscheinungsjahr | 2019 | |
Bewertung |
Wenn das Album heißt wie die Band, hat man es normalerweise a) mit einem Debüt oder b) mit einer Neuausrichtung nach dem Motto „Zurück zu den Wurzeln“ zu tun. Chastity Belt fallen mit der gleichnamigen Platte in die Kategorie b), nicht nur, weil dies bereits der vierte Longplayer von Julia Shapiro (Gesang, Gitarre, Schlagzeug), Lydia Lund (Gitarre, Gesang), Gretchen Grimm (Schlagzeug, Gesang, Gitarre) und Annie Truscott (Bass) ist. Das Quartett feiert hier ausgiebig den eigenen Zusammenhalt und die schiere Freude daran, nach neun gemeinsamen Jahren als Band wieder als gute Freundinnen miteinander Musik machen zu können.
Im Ergebnis klingen sie auf der von Melina Duterte produzierten Platte etwas verschlossener als früher, weniger konkret, aber auch wärmer. Alle vier Musikerinnen hatten zuletzt an Solomaterial gearbeitet oder waren mit anderen Bands auf Tour. Diese Pause von Chastity Belt habe sie alle daran erinnert, „füreinander präsent zu bleiben und uns die Erlaubnis zum Innehalten zu geben, ohne einen klaren Termin, wann es für uns weitergehen würde“, sagt Lydia Lund. „Diese Offenheit hat uns geholfen, unsere derzeitige Verbindung wieder zu finden.“ Entsprechend klingt die Single Ann’s Jam als Auftakt der Platte, als sei sie gar nicht für ein Publikum gedacht, sondern nur für sie selbst: Alles klingt zurückgenommen, entspannt und selbstvergessen. Rav-4 (benannt nach einem Toyota-Modell) könnte man als Shoegaze bezeichnen, und falls hier gegen das Wesen dieses Genres verstoßen wird und es doch Blickkontakt geben sollte, dann höchstens untereinander. Alles in It Takes Time ist dezent, aber alles ist dabei auch elementar und eng verwoben. Man könnte (wie bei dieser Band) keinen einzelnen Bestandteil aus diesem Lied herausnehmen, ohne das Ganze zu zerstören.
Passend dazu wechseln sich Lydia, Gretchen und Julia auf dem gesamten Album mit dem Lead-Gesang ab, teilweise sogar innerhalb der einzelnen Songs. Die Texte handeln, auch das entspricht der Idee der Selbstfindung und Rückbesinnung, oft von Erinnerungen an Momente, die die eigene Identität geprägt haben. Auch Reue ist ein wichtiges Motiv bei Chastity Belt, vergeudete Zeit und enttäuschtes Vertrauen. „You can have everything you’ve always dreamed of / but first you gotta get out of your head“, heißt es in Pissed Pants als Reflexion darüber, wie schwer es sein kann, einfach ein bisschen Zuversicht zu haben und Unbeschwertheit zu empfinden. Die Musik dazu kombiniert Picking und Lo-Fi-Schrammeln auf der Gitarre, was man hier immer wieder entdecken kann. „You live within limits in life / make meaning out of circumstance“, singt Lydia in Elena, das als unruhiges Flirren beginnt, bevor das Schlagzeug zur zweiten Strophe ein bisschen mehr Struktur hineinbringt. Einen ähnlichen Effekt gibt es in Split, garniert mit der Erkenntnis: „You don’t know how sharp your teeth are until you bite.“
Die Platte wirkt enorm rund und in sich geschlossen, entsprechend selten gibt es Spannungsmomente, die sich allenfalls am Ende einzelner Songs finden, wenn sich das Quartett etwas mehr Volumen im Sound oder andere Experimente gönnt. Die Grundidee für ihr viertes Werk war, „alte Lieder zu spielen und zusätzlich neue Dinge auszuprobieren“, sagt Bassistin Annie Truscott. Man hört das etwa in Effort: Die ersten Gitarrentöne sind düster, dann dringt etwas Licht hinein. Genau zwischen diesen beiden Polen bleibt das Lied dann auch, als der Gesang und schließlich sogar Streicher einsetzen: betrübt, aber nicht trostlos; schön, aber nicht blendend. In Half Hearted merkt man vor lauter Schummrigkeit in der Atmosphäre fast nicht, wie gut das komponiert ist. Apart illustriert, wie einzigartig die Ästhetik von Chastity Belt ist: Das ist eindeutig Rockmusik, in der Instrumentierung ebenso wie in der Drastik des Textes, aber in einer sagenhaft sanften Ausprägung. Drown artikuliert den Wunsch nach Selbstauflösung, wie das Bild auf einem Spiegel, der beschlägt, und unterstreicht diesen Effekt ebenfalls: Das sind einfache und klar erkennbare Zutaten, trotzdem ist da jede Menge Magie.