Künstler | Chastity | |
Album | Home Made Satan | |
Label | Captured Tracks | |
Erscheinungsjahr | 2019 | |
Bewertung |
Brandon Williams ist der Mann hinter Chastity. Schon bei seinem Debüt Death Lust (2018) stellte sich die Frage: Ist er Rocker oder Heulsuse? Die Kritik war damals begeistert und kam zum Schluss, er könne sehr wohl beides sein. Er weiß, wie man „Aggression in Schönheit verwandelt“, hat NPR geschrieben. Pitchfork lobte den Kanadier als Künstler „mit der Vielseitigkeit, auf dramatisch verschiedene Weise zu agieren, von hübschem Schlafzimmer-Indie-Pop über stürmischen Shoegaze bis hin zu wütendem Post-Hardcore“.
Morgen kommt nun mit Home Made Satan sein zweites Album, zugleich der mittlere Teil einer Trilogie von Chastity. Brandon Williams hat das Werk in London, Ontario, aufgenommen und wirft dabei mindestens genauso viele Genres zusammen wie auf dem Debüt. Flames eröffnet die Platte mit einer lupenreinen Entsprechung der Klangästhetik von The Smiths, missgelaunt, schrammelig, mit Lust auf Slogans und einem Text, der Sex und Gesellschaft, Gefühl und Ökonomie vermengt. Last Year’s Lust ist beinahe entspannt, Spirit Meetup klingt energisch, aber auch etwas beleidigt und verklemmt, was in Summe an die Manic Street Preachers denken lässt, das hymnische Strife lässt erahnen, dass die Vorstellung von ultimativem Glück für ihn vielleicht ein unendliches Biffy-Clyro-Konzert sein könnte.
Die Frage nach der Charakterisierung von Chastity lässt sich letztlich problemlos beantworten. Von Heulsuse kann keine Rede sein. Brandon Williams, der unmittelbar vor den Sessions zu Home Made Satan auf Europa-Tournee mit Fucked Up war, ist mutig, sogar provokant. Am deutlichsten wird das in Dead Relatives. Der Sound ist traurig, wie es der Songtitel vermuten lässt, das Arrangement beschränkt sich fast vollständig auf Gitarre und Gesang. Aber dazu gibt es bissige Zeilen wie diese: „There’s a special place in hell for the Christian right / bury your parents tonight.”
Angst, Jugend und Extremismus sind die wichtigsten Themen des Albums, sagt Williams. Er sei die Platte angegangen, als würde er einen Film machen. Die Mitglieder seiner Liveband, die mit im Studio waren, hat er als ein Ensemble aus Schauspielern betrachtet, sein Toningenieur war der Kameramann, und er selbst der Drehbuchautor: „Die Musik ist sehr visuell. Sie ist ein Soundtrack zu diesem Film, den ich im Sinn habe. Sie soll in den Ohren der Leute möglichst genau so klingen, wie sie in meinem Kopf klingt.“
Man kann das erkennen in Liedern wie Anxiety. „I worry myself away“, heißt die erste Zeile, danach schafft er es zumindest beinahe, emotional und musikalisch aus dieser Beklemmung auszubrechen. Der im Titel von Bliss steckende Segen erweist sich natürlich als leeres Versprechen: „All I ask / is the impossible task / of being happy as a human / and making it last.“ I Still Feel The Same zeigt als Abschluss des Albums noch einmal besonders deutlich, wie der Sound auf Home Made Satan funktioniert, mit klarem, stets etwas gebremsten Gesang, einem Schlagzeug, dem man seine Wildheit und Kraft mitunter gar nicht anmerkt, und der Flanger-Gitarre als wichtigste Zutat.
Sun Poisoning glänzt mit einem raumgreifenden und romantischen Refrain und handelt davon, in einer Beziehung zugleich glücklich und traurig zu sein. Die erste Idee dazu stammt schon aus dem Jahr 2013, inspiriert von der Countrysängerin Kacey Musgraves hat Williams die Idee dann wieder aufgenommen. „I wanted to express the feeling of trying to smile when you know your teeth are bleeding“, erklärt er die zentrale Zeile darin. An The Girls I Know Don’t Think So hat Bassistin Julia Noel mitgearbeitet, das Ergebnis wirkt, als wolle der Ich-Erzähler des Lieds sich aufmuntern und ermutigen, und damit eindeutig auch andere.
Dass Chastity auf Home Made Satan, wenn man genau hinschaut, also nichts weniger als radikal sind, liegt vor allem daran, dass Brandon Williams seine Angst nicht als eine persönliche begreift, sondern auf die Gesellschaft bezieht: „Es fühlt sich an, als würde Amerika immer mehr zerbröckeln. Und die Brocken erschlagen zuerst die Leute, die am verletzlichsten sind.“