Cherry Ghost Herd Runners Review Kritik

Cherry Ghost – „Herd Runners“

Künstler*in Cherry Ghost

Cherry Ghost Herd Runners Review Kritik
„Herd Runners“ ist das dritte und letzte Album von Cherry Ghost.
Album Herd Runners
Label Heavenly
Erscheinungsjahr 2014
Bewertung

Wie viel Wahrheit in dem Spruch „It’s the singer, not the song“ steckt, konnte Simon Aldred im Jahr 2010 erfahren. Drei Jahre zuvor hatte er mit Cherry Ghost, was damals noch weitgehend ein Soloprojekt war und sich später zum Quintett auswuchs, ein Lied namens People Help The People veröffentlicht. Es war ein meisterhafter Song, so gut, dass er dem Mann aus Bolton den Ivor Novello Award für die beste Komposition des Jahres einbrachte. Er war sicher auch einer der Gründe, warum das Debütalbum Thirst For Romance im Jahr 2007 ein Erfolg wurde und den Grundstein für eine verheißungsvolle Karriere zu legen schien. Aber ein Single-Hit war People Help The People nicht.

Das änderte sich erst, als Birdy denselben Song drei Jahre später veröffentlichte. Sie erreichte mit ihrer Coverversion in 14 Ländern die Charts. Es wäre sicherlich eine Überinterpretation, würde man annehmen, dies hätte den Autor des Stücks dazu gebracht, Cherry Ghost zu beerdigen und künftig nur noch für andere Leute zu schreiben (was er auch im Vorfeld dieser Platte bereits getan hatte, etwa für Sam Smith und Kwabs). Aber Herd Runners war das dritte Album der Band – und blieb ihr letztes.

Aldred hatte vor den Aufnahmen, die in Sheffield über die Bühne gingen, teilweise auch als Produzent für andere Acts gearbeitet. Seine Lust auf Kooperation, Vernetzung und neue Rollen begründete er nicht zuletzt mit dem eigenen Anspruch an künstlerische Weiterentwicklung. „Das Erforschen verschiedener Stile hat meinen eigenen Songs geholfen“, sagte er. „Musiker müssen sich selbst herausfordern und immer weiter lernen.“

Wie weit er es mit diesem Ansatz gebracht hat, macht Herd Runners überdeutlich. Ein Song wie The World Could Turn (In A Heartbeat) verströmt viel Eleganz und große Klasse, ohne angeberisch zu sein. Der sanft-verträumte Titelsong ist mit seiner tollen Atmosphäre ebenfalls ein Highlight, auch wegen der ungewöhnlichen Perspektive: Es geht um die Erinnerung an eine höchst aufregende Zeit, ohne einen Hauch von Bedauern oder Schmerz.

„Die neuen Songs sind nicht so düster wie die auf früheren Platten. Dieses Mal war es mir wichtig, eine echte Empathie für die Menschen zu bewahren, über die ich schreibe“, sagte Aldred zum dritten Album von Cherry Ghost. Man hört das gut auf Don’t Leave Me Here Alone mit seinem originellen, vorsichtigen Groove, im innigen Album-Abschluss Joanne, in Drinking For Two, das im Kern ein sehnsüchtiger Folksong ist, im federnden Sacramento, das nicht nur im Songtitel eine Nähe zu Country aufweist, und vor allem in Fragile Reign, das wie ein Lied wirkt, das der Wind herangeweht hat aus einem Land voller Wehmut: „Long may the fragile reign“, lautet die darin geäußerte Hoffnung.

Zugleich offenbart auch diese Platte, dass Simon Aldred nicht der größte Sänger ist. Im Auftakt Clear Skies Ever Closer entsteht ein ziemlicher Kontrast zwischen der Opulenz von Streichern und Bläsern und der Stimme, die im Refrain schnell an den Anschlag ihrer Belastbarkeit kommt. Bei My Lover Lies Under kann man den Gedanken nicht verdrängen, dass dieses Lied auch wunderbar (oder sogar besser) zu anderen Interpret*innen gepasst hätte, von Frank Sinatra und Elvis bis Kris Kristofferson und Lana Del Rey. Zugleich findet man auf Herd Runners auch Momente wie das vergleichsweise schwungvolle Love Will Follow You, in dem Aldred genau die richtige Stimme für dieses Lied hat und man sich mit niemand sonst am Mikro eine vergleichbare Wirkung vorstellen könnte.

In Summe findet man hier sehr viel Qualität und ein seltenes Aufeinandertreffen von Intelligenz und Herzblut. Auch wenn es kommerziell für Cherry Ghost nach dem Debüt nicht mehr allzu rund lief, strahlen sie hier doch eine Größe und Gelassenheit aus, die aus nichts anderem als Können erwächst. Simon Aldred hat nach dem Ende der Band zuletzt übrigens Lieder mit/für Liam Gallagher geschrieben. Das ist natürlich einer, der zu „It’s the singer, not the song“ sicher noch einmal eine ganz eigene Geschichte zu erzählen hätte.

Das Video zu Clear Skies Ever Closer ist very british.

Website von Cherry Ghost.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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