Der erste Eindruck: Mitleid. Es ist ein besonderer Tag für Chili And The Whalekillers. Das Konzert im Werk 2 ist der erste Auftritt der isländisch-österreichischen Band überhaupt in Leipzig. Es ist die erste Show der Deutschland-Tour zum neuen Album Words On Tuesday. Und es ist, nicht zuletzt, der Geburtstag der Zwillingsbrüder Hjörtur und Árni Hjörleifsson. Sie haben sich entsprechend herausgeputzt, einer trägt Fliege, einer trägt Weste, beide tragen Sakko.
Leipzig hat sich – bis auf den „weltbesten Apfelstrudel“, den die Band nach eigenem Bekunden tagsüber in einem Café, dessen Namen sie vergessen hat, serviert bekam – allerdings keine besondere Mühe gegeben, etwas zur Feier beizutragen. Das Werk 2 ist viel zu leer, um so etwas wie Partystimmung aufkommen zu lassen. Das Verhältnis der Leute auf der Bühne zu den Leuten im Saal beträgt ziemlich genau 1:4. Die Anwesenden nehmen die Songs von Chili And The Whalekillers wohlwollend, sogar herzlich auf. Aber es sind eben zu wenige. Nach dem regulären Set muss die Dame am Merchandising-Stand nach einer Zugabe rufen, bis der Rest des Publikums einstimmt.
Man darf davon ausgehen, dass sich die Band diese Geburtstagsfeier anders vorgestellt hat. Es gibt aber auch, und das ist der zweite Eindruck dieses Abends in Leipzig, eine tröstende Botschaft: Chili And The Whalekillers sind eindeutig keine Band, die sich von solchen Begleitumständen unterkriegen lässt. Sie spielen einfach ein Konzert mit origineller, sogar gutgelaunter Gitarrenpopmusik und haben ganz offensichtlich ein einfaches Mittel, um der Trostlosigkeit eines leeren Saals zu entgehen: Sie schließen die Augen und träumen davon, große Stars zu sein.
Besonders bei Sänger Chili Tomasson, dessen Stimme ab und zu an Mark Everett von den Eels denken lässt, ist das offensichtlich. Er ist die Sorte von Frontmann, der alles bedeutend findet, was in seinem Kopf vorgeht, nicht unbedingt, weil es bedeutend ist, sondern weil es aus seinem Kopf kommt. Er legt im Werk 2 zwischendurch so etwas wie eine Freestyle-Ballett-Performance hin, trägt eine alberne Mütze, die er nach dem zweiten Song abnimmt und am Ende wieder aufsetzt, und referiert zwischen zwei Songs gerne mal ein künstlerisches Manifest, das so klingt, als habe er es sich eben erst ausgedacht. Er greift auch einen unvollendeten Roman von Franz Kafka als Rahmenhandlung für das Konzert auf oder baut Karl Marx und Jean-Paul Sartre in seine Texte ein. So jemand kann sich problemlos und jederzeit in die Rolle meinetwegen von John Lennon fantasieren, auch bei einem schlecht besuchten Konzert wie heute.
Natürlich ist das ungefähr so affektiert wie Marco Michael Wanda im Quadrat, und manchmal scheinen sich auch seine Bandkollegen dafür zu schämen. Es sorgt auch dafür, das Missverhältnis zwischen dem Enthusiasmus auf der Bühne und der Leere im Saal an diesem Abend noch ein wenig grotesker wirken zu lassen. Man lässt Chili Tomasson so viel Exzentrik aber durchgehen, weil sie wohl keine Show ist, die er nur auf der Bühne abzieht, sondern sein Leben: Offensichtlich ist er ein Mann, der in allem Material für einen Song erkennt und der das Selbstvertrauen hat, aus allem einen guten Song machen zu können. So wird aus einem „Gehsteig-Geh-Erlebnis“ (Zitat) mit einem nackten Rollstuhlfahrer Sunshine Day oder aus der Liebe zum Türkenschanzpark in Wien, der aktuellen Wahlheimat aller fünf Mitglieder von Chili And The Whalekillers, das wunderbare Park Bench. All das zeigt: Es steckt viel Liebe drin in dieser Musik, und manchmal noch mehr Eigenliebe.
Nicht zuletzt erlaubt man Tomasson sein Gehabe, weil Chili And The Whalekillers die passenden Songs haben. Das Quintett beweist in Leipzig eine erstaunliche Vielfalt an Genres, vom leicht barocken Pop (das sehr hübsche Smile) über Polka (The Tragic Tale Of Julie And The Crying Clown) und ein zweiminütiges Metal-Schlagzeugsolo bis hin zum Hit Turn (vor drei Jahren Platz 3 in den isländischen Radiocharts). Es gibt (zu) viele Instrumentenwechsel und genug Momente, die erkennen lassen: Man kann tanzen und singen zu dieser Musik, und das soll man ganz eindeutig auch. Sie hat eindeutig genug Qualität, Appeal und Charakter, um hier auch für einen vollen Saal zu sorgen. Wer dabei war, wird dem Publikum in Dresden, Berlin, Hamburg und Stuttgart jedenfalls empfehlen: hingehen! Und gerne auch nachträglich zum Geburtstag gratulieren…
Auch hier zum Schluss der Hit – das Video zu Turn:
Die weiteren Tourdaten:
24.02.16 Dresden – Ostpol
25.02.16 Berlin – Kaffee Burger
26.02.16 Hamburg – Kukuun
27.02.16 Stuttgart – Café Galao
03.03.16 Wels (AT) – Black Horse Inn
06.03.16 Wien (AT) – Chelsea