Christian Steiffen – „Gott Of Schlager“

Künstler*in Christian Steiffen

Christian Steiffen Gott of Schlager Review Kritik
Überhöhung gehört auch auf dem dritten Album des „Gott of Schlager“ dazu.
Album Gott Of Schlager
Label It Sounds
Erscheinungsjahr 2019
Bewertung

Es gibt Menschen, die Christian Steiffen für einen Ballermann-Künstler halten. Seine Lieder finden sich in Spotify-Playlisten wie „Schlager Party Mix“, „All Generation Party Mix“, „Après Ski Party“ oder „Karneval & Party“ neben Acts wie Mickie Krause, Ikke Hüftgold, Jürgen Drews, Wolfgang Petry und Jürgen aus Big Brother. In der Kategorie „Was anderen Fans gefällt“ werden beispielsweise Mike Krüger, Roland Kaiser und Die Flippers angezeigt. Dass sich dort allerdings irritierenderweise auch Feingeister wie Element Of Crime, Punk-Rabauken wie Die Kassierer oder Musik-Anarchisten wie Helge Schneider finden, deutet schon an, wie schwer es ist, den als Hardy Schwetter in Osnabrück geborenen Künstler zu kategorisieren. Sein drittes Album Gott Of Schlager unterstreicht allerdings: In die prollig-debile Mallorca-Schublade gehört er auf keinen Fall.

Das Missverständnis kann man indes nachvollziehen, falls sich jemand nur oberflächlich mit diesen zehn Liedern beschäftigen sollte. Alles auf Gott Of Schlager schreit nach Stimmung, Christian Steiffen singt über Fürze, Kotzen und Saufen, auch über den heimlichen Wunsch nach Ausbruch aus der Spießer-Hölle, der schon immer die wichtigste Antriebskraft für die Wirkung von deutschem Schlager war. Er singt vor allem auch über Sex, ohne den Schleier von Romantik und ohne das Versprechen von großer Liebe, wie es sich in diesem Genre sonst geziemt. Er kaschiert nicht, dass Sex auch Trieb ist, dass Menschen – wie man wohl am Ballermann sagen würde – manchmal einfach einen wegstecken oder sich besteigen lassen wollen. Das war schon 2013 bei Sexualverkehr auf seinem Debütalbum so, hier gibt es entsprechende Songs wie Ich fahr so gern zur See („In jedem Mädchen / habe ich einen Hafen / in dem ich gerne vor Anker gehe“). Aber er findet dafür so gewitzte Sprachbilder, dass es intelligent ist statt plump, dass doch wieder eine Ebene der Distanz eingebaut wird, und zwar keine scheinheilige wie im Schlager, sondern eine des wissenden Augenzwinkerns.

Auch musikalisch gibt es hier gravierende Unterschiede, die Songs auf dieser Platte sind kompositorisch mehrere Ligen über den billigen Ballermann-Produktionen. Christian Steiffen weiß, wie die verschiedenen von ihm bedienten Genres von Disco bis Country funktionieren und was an ihnen besonders wirkungsvoll ist. Aber er schlachtet nicht bloß die plakativsten Elemente aus und fügt sie dann maximal eingängig zusammen, damit sie auch bei zwei Promille noch funktionieren (oder erst dann), wie es die Ballermann-Acts tun. Er respektiert diese Musik und ihre Geschichte, er kennt sie – und er liebt sie. Seine Lieder sind kein Kalkül, mit dem Bad-Taste-Elemente für einen schnellen Euro kombiniert werden. Sie sind eine Hommage.

Nur deshalb kann der 48-Jährige, der auch als Schauspieler tätig ist, sie so stilecht nachzeichnen. Nur deshalb wird auch im Sound eine Ebene von Ironie möglich, mal in Effekten, von denen er genau weiß, wie altmodisch sie sind, mal in instrumentalen Zitaten, stets auch in den großartigen Arrangements, die auf der mit Martin Schmeing (Die angefahrenen Schulkinder) produzierten Platte wieder mit Orchesterleiter Dr. Martin Haseland entstanden sind . „Ich weiß auch, dass das abgedroschen klingt / ganz besonders, wenn man es auch noch singt“, heißt es treffend dazu in Schöne Menschen, das den Zwang zur optischen Optimierung verteufelt.

Auch Ich breche in die Nacht ist ein gutes Beispiel dafür, es handelt vom Saufen bis zum Erbrechen (einschließlich Anspielung auf Eine Flasche Bier vom 2015er Album Ferien vom Rock’N’Roll), und wird umgesetzt mit einem Sound, der auch wunderbar zu ernsthaften Rock-Größen wie Tom Petty, Bruce Springsteen oder John Mellencamp passen würde. Auch In Budapest beim Schützenfest 1810 ist ein Beleg dafür: Unter anderem mit einem tollen Geigensolo und Polkabeat wird hier die Pseudo-Exotik deutscher Schlager à la „Hossa, Hossa“ oder „Moskau, Moskau“ persifliert.

Nicht zuletzt ist sein Bekenntnis zu Exzess und Hedonismus bei ihm nicht auf zwei Wochen Jahresurlaub beschränkt, wie bei den meisten Ballermann-Besucher*innen. Es ist bei Christian Steiffen eine Lebenseinstellung, ein Credo. „Gute Laune habe ich immer und überall / nur nicht beim Kack kack kack kack Karneval“, singt er hier denen entgegen, die einen festen Termin oder gar eine Vereinsmitgliedschaft brauchen, um auch mal über die Stränge zu schlagen. Im Albumauftakt Hier ist Party betont er: Party ist, was man daraus macht. „Denn die Party, die bist du / the party is in you.“ Er inszeniert sich natürlich mit der von ihm so meisterhaft beherrschten Überhöhung wieder als der König dieses Prinzips, stets potent, maximal trinkfest, und manchmal auch mit der Selbstbezeichnung „großer Philosoph“.

Vielleicht am klarsten wird das Ballermann-Missverständnis, wenn man auf Mallorca nicht zu „Bierkönig“ und „Oberbayern“ blickt, sondern nach Magaluf, das die Engländer*innen zu ihrem dortigen Party-Hotspot gemacht haben. Auch dort wird gerne gesoffen, gevögelt und gesungen, es gibt allerdings keine Entsprechung für die deutsche Ballermann-Musik. Man feiert dort stattdessen zu den Hits von Rihanna, Daft Punk und David Guetta, dazu erklingt der Gangnam Style oder die Party Rock Anthem (all diese Songs finden sich beispielsweise auf einem Sampler namens Magaluf 2013), zur Not holt man Evergreens wie Neil Diamonds Sweet Caroline heraus. Das sind einfach Lieder, die gute Laune machen. Es sind Songs, die Pop sind und als solcher auch ohne den Kontext von Eimersaufen und Sonnenbrand funktionieren. Es ist Musik, die Menschen aus dem Herzen spricht. So wie die Lieder von Christian Steiffen.

Karneval wird zum Horror, das Video.

Website von Christian Steiffen.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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