Künstler | Circa Waves | |
Album | Sad Happy | |
Label | Prolifica | |
Erscheinungsjahr | 2020 | |
Bewertung |
„Es gibt nicht größern Schmerz, als sich der Zeit des Glückes zu erinnern im Unglück.“
Diese Erkenntnis aus Dante Alighieris Göttlicher Komödie teilen offensichtlich auch Circa Waves. Die Dichotomie von Freude und Trübsal und die enorme Nähe, die diesen beiden scheinbar so gegensätzlichen Gefühle oft haben, stellt die Band aus Liverpool in den Mittelpunkt ihres vierten Albums. Eine Seite der Platte heißt Happy, die andere heißt Sad, sie enthalten jeweils sieben Songs, sind zuvor bereits einzeln auf Streamingplattformen veröffentlicht worden und werden nun im Albumformat zusammengeführt.
„Wir leben in einer Welt, die in zwei extreme Hälften geteilt ist. In einem Moment bist du von der existenziellen Krise des Klimaschicksals erfüllt und im nächsten wirst du von irgendeinem banalen Inhalt abgelenkt, der dich laut zum Lachen bringt. Ich finde diese Nähe von immenser Traurigkeit und Glück so erschütternd, bizarr und faszinierend. Unser Gehirn rasselt durch Emotionen mit einer solchen Geschwindigkeit hin und her, dass sich Glück und Traurigkeit nicht mehr gegenseitig ausschließen. Diese Idee war die Blaupause für Sad Happy und ist das Leitmotiv für das Album“, sagt Frontmann Kieran Shudall.
Es ist dabei keineswegs so, dass Sad Happy eine A-Seite hat, bei der man durchweg auf dem Bett hüpfen möchte, und eine B-Seite, zu der man am liebsten die Rasierklingen herausholen würde. Kieran Shudall und seine Mitstreiter Joe Falconer, Sam Rourke und Colin Jones sind auch auf dem Nachfolger zum Top10-Album What’s It Like Over There? (2019) zu klug und zu vielseitig für solch ein plumpes Konzept. Euphorie ist für die ersten sieben Lieder trotzdem ein wichtiges Stilmittel.
Die Single Jacqueline eröffnet das Album voller Lebensfreude und wird dank afrikanischer Rhythmen und der Ankündigung „Good times are coming around the bend“ sofort mitreißend und ansteckend. Das folgende Be Your Drug ist erkennbar filigran, in einigen Momenten aber auch unvermittelt hart und Riff-verliebt wie etwa die Arctic Monkeys. Move To San Francisco könnte man sich auch von den Wombats vorstellen, auch wenn die bekanntlich nach New York ziehen wollten (und ein bisschen mehr Eifer hineingepackt hätten).
Wasted On You würde auch gut zu Two Door Cinema Club passen, für die Circa Waves bereits Vorgruppe waren: Der Song bietet viele gute Ideen und einen klaren Fokus, der sicherstellt, dass sie sich dabei nicht verzetteln. Call Your Name erweist sich als sagenhafter Hit, wie The Cure auf Stereoiden und mit noch etwas mehr Kraft und Punch als der Rest der Happy-Hälfte. Mit The Things We Knew Last Night gibt es darauf auch eine waschechte Ballade, die nicht direkt traurig ist, aber melancholisch: In der hier besungenen Erinnerung steckt keine Wehmut, sondern ein verschwörerischer Stolz. Auch das ebenso elegante wie romantische Love You More zeigt rund um die Zeile „Darling, I love you more than you could ever love me“, wie nah Erfüllung und Verzweiflung zusammen liegen können. Zu Streichern und Bläsern besingt Shudall eine große Sehnsucht, aber eine, die womöglich (teilweise) erfüllt wird.
Entsprechend gibt es auch auf der zweiten Seite ein paar lichte und schwungvolle Momente. Der an Travis erinnernde Titelsong Sad Happy eröffnet diese Hälfte und zeigt das bereits: Das Lied ist betrübt, aber extrem eingängig und sogar tanzbar. Battered & Bruised ist recht kraftvoll und zwischendurch geradezu pompös, aber etwas gebremst. Wake Up Call würde mit seiner Leichtig- und Fluffigkeit gut zu Phoenix passen, auch weil es am Ende beinahe ausgelassen wird. Die Zeile „I don’t need the sympathy of anyone“ in Sympathy ist natürlich unglaubwürdig, wenn Shudall das untröstlich zur Akustikgitarre vorträgt.
Das vergleichsweise elektronisch geprägte Hope There’s A Heaven bietet im Refrain die vielleicht schönste Melodie des Albums, nach dem kurzen Instrumental Train To Lime Street schließen Circa Waves mit Birthday Cake die Platte dann mit einer Niedlichkeit und Sensibilität wie Nada Surf und einem sehr schönen Arrangement ab. Sad Happy ist damit ein Album, das aufbauen kann, wenn man down ist, oder einfach ein bisschen Beistand leistet, wenn man gerne ein bisschen im Downsein verharren will. Was will man mehr?