Citizen – „As You Please“

Künstler Citizen

As You Please Citizen Kritik Rezension
„As You Please“ ist das dritte und vielseitigste Album von Citizen.
Album As You Please
Label Run For Cover
Erscheinungsjahr 2017
Bewertung

Medicine heißt das vierte Lied auf diesem Album. Es klingt zu Beginn wie Jimmy Eat World, am Ende lässt es viel Wut und Feuer erkennen, die offensichtlich aus einer tief sitzenden und lange genährten Frustration gespeist werden. Kein Wunder, vor allem bei diesem Songtitel: Citizen kommen aus Toledo, Ohio, und dort ist „Medizin“ schon lange kein positiv besetzter Begriff mehr.

Denn die massenhafte Verschreibung von Schmerzmitteln ist – zusätzlich zum Konsum illegaler Drogen – ein massives Problem in diesem Bundesstaat und im gesamten Rust Belt der USA geworden. Ein Landkreis ist Ohio (genauer: Scioto County) war es, der 2010 als erster in den Vereinigten Staaten angesichts dieser Situation den Gesundheitsnotstand ausrief. Trotz der ergriffenen Gegenmaßnahmen ist dort heute noch etwa ein Fünftel der Bevölkerung abhängig von Drogen oder Medikamenten. Im gesamten Bundesstaat stieg die Zahl der an Opiaten und illegalen Drogen verstorbenen Menschen nach Angaben der Gesundheitsbehörede von 296 im Jahr 2003 auf 2590 im Jahr 2015.

Es verwundert also nicht, dass Citizen auf ihrem dritten Album vor allem den Niedergang thematisieren, der in ihrer Heimat allgegenwärtig ist. Eine Zeile wie „You remind me of something I have lost“ (aus Fever Deys) bekommt so eine ganz besondere Bedeutung. Der Bass im Titelsong As You Please bleibt stoisch, gerade deshalb klingen Gesang und Gitarre so wehmütig. Das „Don’t let me down“ im von einer Orgel getragenen You Are A Star klingt tatsächlich sehr flehentlich, vielleicht auch, weil die 2010 gegründete Band zuletzt im eigenen Bekanntenkreis erlebt hat, wie häufig solch ein Hilferuf nicht erhört wird.

As You Please ist damit nicht nur etwas hoffnungsloser und politischer als der Vorgänger Everybody Is Going To Heaven (2015). Songwriter und Sänger Mat Kerekes hat den Liedern von Citizen auch viele zusätzliche Facetten verpasst. Es gibt oft überraschende Wendungen und Elemente in den Kompositionen wie den beinahe süßlichen Background-Chor im getragenen In The Middle Of It All oder den zunächst pompös wirkenden Beat in Control, zu dem der Rest des Songs allerdings dezent genug bleibt, um das Gesamtergebnis nicht cheesy werden zu lassen. Pitchfork sieht in der Platte deshalb recht passend „a more subtle signaling that they’re a band their fans can grow up with rather than out of“.

Ein Lied wie das zu Beginn akustische Flowerchild zeigt vieles von dem, was sie dazugelernt haben, auch auf I Forgive No One (wie Placebo auf Steroiden, wenn man das in diesem Kontext sagen darf) oder den sehr klassischen Album-Auftakt Jet trifft das zu. Ugly Luck hat nicht nur den besten Refrain des Albums zu bieten, sondern zeigt auch die Grunge-Ursprünge der Band. Descrete Routine ist vom Klavier geprägt und geradezu verträumt – man könnte problemlos „Ballade“ dazu sagen, wenn sich gegen Ende nicht die Gitarre doch noch entschieden gegen diesen Begriff auflehnen würde.

In ein paar Passagen ist As You Please zu gewöhnlich, in ganz wenigen Momenten auch ein wenig langweilig. Insgesamt haben Citizen hier aber genug Power und vor allem genug Ideen, um ein wirkungsvolles Statement gegen das Hinnehmen des Verfalls abzugeben.

Auch im Video zu Jet klinken sich die Menschen aus der Realität aus.

Citizen bei Bandcamp.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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