Künstler | Citizen | |
Album | Life In Your Glass World | |
Label | Run For Cover | |
Erscheinungsjahr | 2021 | |
Bewertung |
Wohl jede Band (und wahrscheinlich jeder Mensch) träumt von dieser ultimativen Freiheit: einfach nichts mehr tun müssen, was einem gegen den Strich geht. Für Musiker gibt es drei bekannte Wege zu diesem Ziel. Der erste ist: niemals etwas veröffentlichen, niemals vor Publikum spielen. So kann man ungestört seiner Kreativität nachgehen. Aber natürlich ist die Perspektive der totalen Isolation für Künstler wenig reizvoll. Die zweite ist: So unfassbar erfolgreich, wohlhabend und mächtig werden, dass es niemand mehr wagt, zu widersprechen oder sich einzumischen. Allerdings lehrt uns die Musikgeschichte, wie viele Kompromisse man selbst in dieser Position normalerweise noch machen muss.
Citizen, bestehend aus Sänger Mat Kerekes, Gitarrist Nick Hamm und Bassist Eric Hamm, haben sich für die dritte Variante entscheiden: Für ihr viertes Album Life In Your Glass World hat die 2009 gegründete Band aus Toledo, Ohio, einigen Ballast abgeworfen und alles in die eigenen Hände genommen. Ein wichtiger Schritt dafür war, dass sich das Trio ein eigenes Studio in der Garage von Kerekes gebaut hat. „Es ist super einfach und praktisch. Aber ich hatte auch das Gefühl, dass der Bau des Studios ein Weg war, um zu beweisen, dass wir nichts außer uns selbst brauchen“, sagt der Sänger. Sein Gitarrist bestätigt dieses Gefühl von hinzugewonnener Autonomie: „Wir hatten wirklich jeden Teil des Entstehungsprozesses selbst in der Hand. Es gab überhaupt keinen Druck, und da wir uns in unserem eigenen Tempo bewegten, konnten die Songs ein wenig ausgereifter werden.“
Man findet die Bestätigung für diese Aussage schnell in Songs wie Black And Red, das ebenso viel Punch wie Frische hat. Niemand, der diesen Song (oder Life In Your Glass World insgesamt) hört, könnte ernsthaft auf die Idee kommen, Gitarrenmusik stecke in einer Krise oder liege gar im Sterben. Thin Air ist noch so ein Moment, der viel Rock-Kompetenz zeigt und dazu eine Feinfühligkeit und melodiöse Klasse, wie man das etwa von Nada Surf kennt. Call Your Bluff glänzt mit viel Drive und verweist mit den Versen „I know what it is to hate yourself / I know how it feels to want to be someone else“, dass die Sache mit dem „Sich nicht mehr verbiegen lassen“ ganz offensichtlich nicht nur auf die Band bezogen ist, sondern auf das Leben insgesamt.
Die zweite große Besonderheit, die man diesmal bei Citizen entdecken kann, ist die Lust auf Rhythmus. „Wenn man Songs X Jahre lang auf die gleiche Weise schreibt, will man irgendwann etwas Neues ausprobieren“, begründet Kerekes diesen Schwerpunkt, der umso erstaunlicher ist, weil das Trio nach dem letzten Album As You Please (2017) mit Jake Duhaime wieder einmal einen Schlagzeuger verschlissen und diese Position offensichtlich auch noch nicht neu besetzt hat. Das kann man kaum glauben in einem Track wie Pedestal, dessen Drums wie ein Abrisskommando klingen, was der Song mit genug Ideen und Leidenschaft („There is something inside of me, it’s eating at my brain“) anreichert, um das Resultat nicht primitiv wirken zu lassen. Auch der Auftakt Death Dance Approximately kombiniert einen aggressiven Rhythmus à la Arctic Monkeys oder Queens Of The Stone Age mit einem Schmerz, der nicht akut ist, sondern schleichend und schon lange spürbar, und deshalb so unerträglich geworden ist.
„In diesen Songs steckt eine Menge Wut und wir wollten, dass die Musik das rüberbringt“, sagt Hamm. „Ich denke, viele Leute erwarten, dass Bands ruhiger werden oder sich entspannen, wenn sie an dem Punkt sind, an dem wir stehen. Aber das wollten wir ganz bewusst nicht tun.“ Kerekes sagt angesichts von Stücken wie I Want To Kill You, in dem eine erbarmungslose Snare Drum in den ersten Takten die Richtung vorgibt, bevor der Song dann einer von mehreren tatsächlich tanzbaren Momenten auf Life In Your Glass World wird. „Manchmal hat man das Gefühl, dass man benutzt wird. Viele der Texte sind befreiend. Es geht darum, die Kontrolle zurückzufordern“, sagt der Sänger, was sich hier erneut in dem Bekenntnis niederschlägt, sich nicht mit der bequemen Lösung zufrieden zu geben: „It comes so slow but suddenly / the things that make you happy / they are not enough for me.“
Blue Sunday wird vom Bass dominiert, auch im programmatisch betitelten Fight Beat kann man geradezu von einem Groove sprechen, wie man ihn bisher bei dieser Band nicht unbedingt kannte. Es geht darin um einen Rubikon-Moment, also das Gefühl, eine Entscheidung getroffen zu haben, nach der die Dinge nie mehr so sein können wie zuvor. Glass World setzt auf eine akustische Gitarre, aber selbst hier steckt viel zu viel Energie vor allem im Schlagzeug, um ernsthaft von einer Ballade sprechen zu können. Winter Buds würde schon eher in diese Kategorie passen, etwa vergleichbar mit Pedro The Lion, auch wenn es zwischendurch eine Eruption gibt. Edge Of The World beendet die Platte straight und kompakt als tolles Finale. Es sieht ganz danach aus, dass die Freiheit ein Ort ist, an dem sich Citizen pudelwohl fühlen.