Künstler | Clueso | |
Album | Handgepäck I | |
Label | Vertigo | |
Erscheinungsjahr | 2018 | |
Bewertung |
Wie versprochen heißt des erste Lied nach dem Intro auf Handgepäck I. Clueso singt im Text davon, wie er auf einem Berg steht und beinahe die Wolken berühren kann – und tatsächlich erreicht er mit der heute erscheinenden Platte den Gipfel seiner Karriere. Sein achtes Studioalbum zeigt ein Ausmaß an Ernsthaftigkeit, Tiefe und Poesie, wie es dem Erfurter wohl nur wenige zugetraut hätten.
Ausschlaggebend für diesen Höhenflug sind offensichtlich zwei Dinge. Erstens läuft es karrieretechnisch rund bei Clueso. Nach seinem ersten Nummer-1-Album Stadtrandlichter (2014) erreichte er auch mit dem zwei Jahre später folgenden Neuanfang die Spitze der deutschen Charts. Letzteres war nicht nur im programmatischen Titel ein Aufbruch, sondern mutete den Fans tatsächlich einen anderen Clueso zu, der erwachsener und eigenständiger war. Dass das Publikum ihm auf diesem Weg folgte, wird den 38-Jährigen bestärkt haben, nun auch das Konzept von Handgepäck I umzusetzen.
Diese besondere Herangehensweise ist der zweite Schlüssel zum Erfolg. Schon das erwähnte Wie versprochen illustriert dieses Konzept: Der Song wurde teilweise in Neuseeland, teilweise in Zermatt geschrieben. Auch die übrigen Lieder auf Handgepäck I sind auf Reisen entstanden, in Hotelzimmern und Autos, beim Soundcheck oder hinter der Bühne, auf Inseln und Bergen. Clueso hat sie über viele Jahre gesammelt, bei manchen Tracks hört man im Hintergrund noch Stimmen und Geräusche, die auf diese spontane Entstehungsgeschichte verweisen.
“Es gibt Songs, die es nicht so gut vertragen, wenn man sie produktionstechnisch größer macht, weil sie dadurch ihre Magie verlieren“, hat Clueso erkannt. Deshalb hat er solche Kompositionen zuletzt gezielt aufgehoben. Dass Handgepäck I nun keineswegs wie ein Sammelsurium von Archivmaterial klingt, sondern eine sehr stimmige Ästhetik hat, liegt nicht nur daran, dass der Künstler fast alles an diesem Album selbst gemacht hat, sondern auch daran, „dass ich immer schon ein Gefühl für dieses Album hatte“, erzählt Clueso.
Im Zentrum der Lieder stehen seine Stimme und sein Spiel auf der akustischen Gitarre. Beides ist so gut, dass es – trotz der Besinnung auf die eigenen Stärken statt zahlreicher Beiträge von Wegbegleitern, die schon Neuanfang gebracht hatte – manchmal einer Offenbarung gleichkommt. Zugleich schafft es Clueso, trotz dieser sehr vertrauten Zutaten und fast durchweg rein akustischer Arrangements, eine große stilistische Bandbreite in sein Handgepäck zu packen. Einfache Fahrt wird impressionistisch, Landstreicher ist ein lupenreiner Blues, Zwischenstopp erweist sich als Dixieland-Instrumental, Stein strahlt eine Behutsamkeit aus, wie man sie mittlerweile etwa auch von Philipp Poisel kennt, aber mit einem deutlich größeren Geheimnis. Auch als Texter glänzt Clueso hier, etwa in Auf Kredit. „Ich will, dass du mir etwas gibst von deiner Zeit“, heißt eine der Zeilen, und im Song entsteht ein spannender Kontrast aus der Unbarmherzigkeit dieser Aufforderung und der Hilfsbedürftigkeit, die offensichtlich dahinter steckt.
Es ist schon spät beginnt, als wolle Clueso eine Geschichte erzählen, verliert sich dann in einer verträumten Atmosphäre und schließlich in einer kleinen, sehr filigranen Gitarrenfigur. Kurz vor Abflug fängt ebenso beiläufig wie treffend die Transit-Atmosphäre am Flughafen ein. Wüste klingt wie ein Demo, zu dem der Text noch fehlt, Dünnes Eis, das schon aus dem Jahr 2007 stammt, wirkt nur auf den ersten Blick wie ein Liebeslied, ist in Wirklichkeit aber eine erstaunlich unaufdringliche Huldigung an eine offensichtlich erstaunlich großartige Frau.
Waldrandlichter, in dem ein paar Teile von Angus Stones The Blue Door integriert sind, besingt Fernweh, Rastlosigkeit und den Traum vom Ausbruch, wie man das etwa schon von Chicago kennt, und ist das vielleicht beste Beispiel für die klasse Arrangements auf dieser Platte. „Das Unbekannte ruft“, heißt passend dazu eine Zeile in Morgen ist der Winter vorbei. „Jeder kennt doch dieses Gefühl am letzten Tag des Urlaubs, diese Mischung aus Wehmut und Vorfreude auf zu Hause“, beschreibt Clueso den Ausgangspunkt für dieses Lied. „Ich bin relativ oft verreist, wenn es in Deutschland kalt wurde. Am liebsten alleine oder höchstens mit einer weiteren Person. Runterkommen, zu einer gewissen Autonomie finden, das ist mir auf solchen Reisen wichtig. Und darum geht es in dem Song: Um Sehnsucht und Fernweh, aber auch darum, wie es ist, alleine auf einer Insel zu sein.“
Ein bisschen vom Leben als Vagabund steckt auch in Zimmer 102, genauer gesagt: eine Erinnerung an die gemeinsame Tour mit Udo Lindenberg. Aufgenommen wurde das leicht psychedelisch wirkende Stück nach einer Show mit dem Hutmenschen im Zimmer 102 des Hotels Fürstenhof in Leipzig. “Alle waren total in dem Moment gefangen, haben gefeiert und Musik gemacht. Das wollte ich unbedingt festhalten“, sagt Clueso. In gewisser Weise ist die sehr schwungvolle Single Du und Ich das Gegenstück dazu, denn sie warnt einerseits davor, sich vorschnell ein Urteil über Mitmenschen zu bilden, und handelt andererseits vom Heimkommen nach Erfurt, wie Clueso erzählt “Es gibt ja diese Zeit, wo man keinen Bock mehr auf die Eltern hat und sich abnabelt. Im Song geht es aber auch darum, wie schön es irgendwann wieder ist, nach Hause zu kommen, wenn man diese Phase hinter sich gelassen hat. Man erinnert sich daran, wo man herkommt, was einen ausmacht.“
Dieses Wissen um die eigene Identität und die eigenen Stärken, das man bei Clueso lange vermisst hat, wird auf Handgepäck I immer wieder deutlich. Der Album-Abschluss Paris ist dafür der beste Beweis: Das Lied erzählt vom ersten Auftritt als Festival-Headliner und gleichzeitig von einer Erinnerung an ein romantisches Wochenende in der französischen Hauptstadt. Es ist herrlich nostalgisch und romantisch, vor allem aber: enorm souverän. Das gilt auch für die beiden Coverversionen, die sich hier finden. Vier Jahreszeiten an einem Tag ist eine sehr feinfühlige und (zumindest in der Strophe) recht wortgetreu übersetzte Version eines der schönsten Songs im Oeuvre von Crowded House. Wenn ein Mensch lebt kennt man schon von etlichen Konzerten. “Als die Wende kam, war ich neun und bis dahin habe ich alles gehört, was aus dem Osten kam. Den Text von Wenn ein Mensch lebt fand ich schon immer schön“, sagt Clueso über einen der bekanntesten Ostrock-Klassiker überhaupt. „Ich habe später den Song für mich auf der Gitarre gespielt und ein, zwei Akkorde umgewandelt und plötzlich gingen Zeilen wie ‘Ich hab mich in ihren Schatten gelegt‘ total unter die Haut. Da fiel mir noch mal doppelt auf, was für ein wundervoller Text es ist.“ Tatsächlich schafft er es, dem Lied der Puhdys fast so etwas wie Grazie zu verleihen – und das ist, wie das gesamte Album, keine geringe Leistung.
Ein Höhepunkt: Auf Kredit, hier als Akustikversion.
Schon bald gibt es weitere Konzerte von Clueso.
01.09.2018 – Berlin (Deutschpoeten)
02.09.2018 – Dresden (Junge Garde)
03.09.2018 – Aachen (Kurpark Classix)
09.09.2018 – Dortmund (Westfalenpark)