In der Reihe Corona-Musik stellt Shitesite bekanntlich in steter Folge originelle Bewältigungsstrategien von Musikschaffenden zum Umgang mit der Pandemie vor, seien es Videoclips aus der Isolation, Songs über Covid-19 oder Benefiz-Aktionen. Heute gibt es einen Schwerpunkt auf Ersatzlösungen für Livekonzerte, die natürlich nicht nur von den Fans schmerzlich vermisst werden, sondern auch vielen Acts eine wichtige Vermarktungsmöglichkeit und die oftmals größte Einnahmequelle nehmen. Der Überblick umfasst ein virtuelles Deutschrap-Festival, zwei gestreamte Weihnachtskonzerte, ein Livealbum zu Wohltätigkeitszwecken und eine Crowdfunding-Aktion, mit der Deichkind ihre Tour-Crew unterstützen wollen.
Ein Festival im Dezember? In diesem so ungewöhnlichen Jahr, in der Musikwelt und jenseits davon, erscheint das plötzlich wie eine plausible Idee. Erst recht, wenn man weiß, dass es bei Beat The Virus – Blockdown Festival darum geht, die Akzeptanz und Wirksamkeit der Anti-Corona-Maßnahmen bei jungen Leuten zu steigern. Deshalb findet das Deutschrap-Festival, Teil einer Kampagne des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, natürlich virtuell statt, und zwar heute Abend ab 19 Uhr bei YouTube. Zum Line-Up gehören Luciano, SSIO und OG Keemo, die Moderation hat Visa Vie übernommen. Jeder der Acts spielt ein 60-minütiges Set, insgesamt wird somit die durchaus Festival-taugliche Dauer von viereinhalb Stunden erreicht. Auch Talks zwischen den einzelnen Konzerten und interaktive Spiele mit der Live-Community sind angekündigt, zudem werden signiertes Merchandise der Künstlerinnen und Künstler sowie exklusive „Beat The Virus“-Goodies verlost. Ein guter Grund, am Wochenende vor Weihnachten tatsächlich brav zuhause zu bleiben und sich die Isolation musikalisch versüßen zu lassen.
Als Konkurrenzprogramm ist ebenfalls heute bereits ab 18 Uhr Casper auf Sendung. Auch er bietet ein Streaming-Konzert auf seinem YouTube-Kanal an, das Musik, Verlosungen Fragerunden und sogar gemeinsames Glühweintrinken umfassen wird. Das „Bleibt Zuhause“-Format ist die Corona-Entsprechung seiner traditionellen „Zurück Zuhause“-Serie, die in den vergangenen acht Jahren stets als Jahresabschluss-Konzert im Ringlokschuppen in Bielefeld stattgefunden hat. Den Kern der diesmal nur virtuellen Show wird (wie passend) das „Lang Lebe der Tod“-Konzert bilden, das 2017 in der Max-Schmeling-Halle in Berlin aufgezeichnet wurde, und das Casper heute gemeinsam mit seinen Fans anschauen und kommentieren wird. „Das #ZZH-Festival war immer viel mehr als nur das letzte Konzert des Jahres. Es war ein Treffen von Freund*innen, Kolleg*innen, den treusten Fans und Bands, die ich liebe oder das Jahr über entdeckt habe“, erklärt Casper die Idee – wie gut da Streaming als Ersatz funktioniert, kann man heute Abend testen.
https://www.youtube.com/watch?v=XoZkHV6H7qM
Auch die stets sehr geschäftstüchtigen Culcha Candela kündigen ein virtuelles Weihnachtskonzert an, „Culcha X-MAS“ wird morgen um 19 Uhr über GET NEXT gestreamt. „Das Jahr 2020 hat uns alle mehr oder weniger schwer erwischt! Gemeinsam mit der gesamten Veranstaltungsbranche, der allein Deutschland hunderttausende, größtenteil lobbylose Einzelunternehmer angehören, haben uns die Einschränkungen viel abverlangt. Es ist nicht nur der finanzielle Schaden, unter dem wir ächzen, wir mussten auch hergeben, was uns als Band seit jeher am meisten bedeutet: LIVE vor unserem Publikum unsere Musik zu entfalten. Wir hoffen alle auf eine bessere Perspektive im neuen Jahr, aber wollen den Ausgang dieses Kalenderjahres zumindest nutzen, um noch einmal vor Publikum stattfinden zu können“, teilt die Band dazu mit. Tickets für die einmalige Show kosten 15 Euro. Das Konzert soll „aus einer der stylishsten Locations Berlins“ übertragen werden und auch Überraschungsgäste enthalten. Mehr verrät die Band noch nicht.
https://www.youtube.com/watch?v=Fkci9Q9lPXE
Als die Arctic Monkeys am 7. Juni 2019 im Rahmen der Tour zum Album Tranquility Base Hotel & Casino ihr Konzert in der Royal Albert Hall spielten, verband man mit dem Begriff „Corona“ noch eine Biermarke, eine Eurodance-Band oder ein astronomisches Phänomen. Die Covid-19-Pandemie sorgt nun aber dafür, dass der Mitschnitt des Konzerts in anderem Kontext das Licht der Welt erblickt: Am 4. Dezember ist er als erstes Livealbum der Band aus Sheffield erschienen, alle Erlöse von Arctic Monkeys – Live At The Royal Albert Hall gehen an War Child UK. Die Wohltätigkeitsorganisation, die sich für vom Krieg betroffene Kinder engagiert, ist durch die Corona-Krise schwer gebeutelt und hat in diesem Jahr rund 2 Millionen Pfund weniger Spenden erhalten – obwohl das Geld gerade jetzt benötigt wird, um all jenen zu helfen, die am schlimmsten vom Virus betroffen sind, etwa in Flüchtlingslagern. „Die Situation der Betroffenen war 2018 schon schlimm, mittlerweile ist sie verzweifelt. Diese Kinder und ihre Familien brauchen mehr denn je unsere Hilfe“, sagt die Band zu dieser Initiative. War Child UK stellt den Betroffenen beispielsweise Hygiene-Kits, Schutzmasken und Hygieneberatungen zur Verfügung, um die Ausbreitung der Infektion einzudämmen. Familien, die in Lagern festsitzen, erhalten Lebensmittelpakete, Lehrmaterialien und digitale Unterrichtseinheiten sowie Spielzeug und Bücher, damit die Kinder weiter lernen und spielen können.
Wie sehr die Veranstaltungsbranche unter den Corona-Einschränkungen leidet, ist vielfach berichtet worden. Für viele der Betroffenen im Musikbetrieb – vom Truckfahrer über den Roadie bis zum Lichttechniker – sind auch die Hilfspakete der Politik ungeeignet, weil sie als Einzelunternehmer oder Selbstständige die Kriterien nicht erfüllen. Deichkind setzen für die Crew, die sie sonst üblicherweise während ihrer Tourneen unterstützt, deshalb jetzt auf Crowdfunding. Wer die Aktion auf der Plattform Startnext für ihr Team unterstützt, kann unter anderem mit lebenslangen Gästelistenplätzen belohnt werden. Auch Unikate aus ihrem Bühnenbild gibt es als Belohung, Unterricht auf der Bassgitarre von Porky oder einen Bierbraukurs bei Kryptik Joe, ebenso einen Besuch der Band zum Geburtstag oder (es sind Deichkind, also darf auch Charity makaber sein) zu einer Beerdigung. Sobald es wieder erlaubt ist, wollen Deichkind auch ein Solidaritätskonzert für ihre Crew spielen.