Es klingt wie ein Versprechen für die Zeit nach der Pandemie: Party Time heißt das aktuelle Album von EUT (man spricht das wie „Üt“ aus) aus den Niederlanden. Auch der Titel der aktuellen Single What Gives You The Kicks (***1/2) unterstreicht die Entschlossenheit des Quintetts, sich die Laune nicht verderben zu lassen. „Wenn du jemanden verführen willst, ist das eigentlich ganz einfach: Du musst nur herausfinden, was dein Gegenüber kickt, und dann gibst du ihm oder ihr genau das. Doch wenn man dann erstmal zusammen ist, muss man dieses Spiel aufrecht halten, und dieser Song handelt vom Verheddern in diesem Netz“, sagt Sängerin Megan de Klerk. Als Themen für das seit einigen Tagen verfügbare Album, an dem die Band zwei Jahre lang gearbeitet hat, benennt sie „Lust, Sex und Einsamkeit“, die zehn Songs seien gemacht ist für „Tanzen auf der leeren Tanzfläche, auf der man besser einfach liegenbleibt, wenn man über seine eigenen Füße gestolpert ist“ – oder eben auch für eine Kampfsportschule mit (Kick-)Boxring, wie das Video zeigt. Dass de Klerk ihre Mitstreiter Tessa Raadman (Gitarre), Emil de Bennie (Gitarre), David Hoogerheide (Bass/Keyboards) und Jim Geurt (Schlagzeug) an der Musikhochschule in Amsterdam kennengelernt hat und die ersten Songs von EUT als Examensarbeiten fürs Studium entstanden sind, merkt man der Single kaum an: Der Song ist zwar vielschichtig, aber auch unmittelbar, genauso gekonnt wie von unverbrauchten Lust auf Pop getrieben. Den Release Day hat die Band, die Blur, St. Vincent und The Cardigans als Vorbilder benennt, vorbildlich mit einer Home Party gefeiert. Für den Livestream spielten sie ein paar der neuen Lieder, verlosten Merchandise und beantworteten Fragen von Fans.
Wenn man auf die Auswirkungen von Covid-19 auf den Musikbetrieb blickt, fallen natürlich ausgefallene Konzerte, verschobene Plattenveröffentlichungen und darbende Clubs oder Festivals ins Auge. Was man oft vergisst: Eine Band ist auch ein soziales Gefüge, die während Lockdown und Kontaktbeschränkungen nicht selten dazu verdammt ist, den Menschen nahe zu sein, die nicht nur Kollegen sind, sondern Freunde. Real Estate können ein Lied davon singen. Seit der Gründung der Band im Jahr 2009 dürfte es wohl keinen Zeitraum gegeben haben, in dem Martin Courtney (Gesang, Gitarre), Alex Bleeker (Bass, Gesang), Matt Kallman (Keyboards) und Julian Lynch (Gitarre) so lange nicht gemeinsam musiziert haben. Jetzt geht es zumindest virtuell wieder los: Die EP Half A Human erscheint am 26. März, mit dem gleichnamigen Song haben sie gerade den ersten Vorboten veröffentlicht. Das Grundgerüst der sechs Stücke auf der EP stammt noch aus den Sessions für das 2020er Album The Main Thing, während der Pandemie wurden sie dann weiterentwickelt. Der Titelsong (***1/2) repräsentiert diesen Zwitter-Charakter ebenfalls: Real Estate haben den Song schon ein paar Mal als Jam live gespielt, aber erst jetzt hat er eine endgültige Form erhalten. Das Ergebnis ist entspannt und sehnsüchtig, das Lied scheint einerseits einiges von seinen Kräften eingebüßt zu haben und andererseits auf ein klares Ziel fixiert zu sein. Ironischerweise handelt der Text davon, die Schnauze voll zu haben vom Leben auf Tour, doch diese Sinnkrise haben Real Estate offensichtlich überwunden: „Das Leben verändert sich, ständig kommen neue Verantwortlichkeiten und Belastungen hinzu, aber unsere Band ist noch da“, sagt Martin Courtney. „Als ich viele dieser Songs geschrieben habe, fühlte es sich ein wenig seltsam an, in einer Band zu sein. Im Sinne von ‚Wieso gibt es so etwas überhaupt noch?‘ Es kam mir albern vor, und zugleich schlüssig. Schließlich ist es das, worin wir gut sind, was wir lieben und was wir weiterhin machen wollen.“
Für Timo Scharf war es umgekehrt: Beim Sänger aus Braunschweig hat der Lockdown zu einem Wiedersehen geführt, und zwar mit Rod Jones. Der Gitarrist von Idlewild hatte Timo Scharf einst als Straßenmusiker in Edinburgh entdeckt. Die Corona-Zwangspause im Frühjahr 2020 haben beide nun genutzt, um gemeinsam Songs zu schreiben, die sich nun auf der EP Everything Ever Always Is All Forgotten (erscheint am 19. März) finden. Im Video zu Groundhog Day (***) wirkt Rod Jones auch gleich mit, der Clip findet zudem schöne Archivbilder für die im Songtitel angedeutete Endlosschleife, für vergebliche Bemühungen und vermeintliche Fluchten aus dem Hamsterrad. Den Sound dazu gestaltet Timo Scharf, der schon im Vorprogramm von Judith Holofernes und Bosse zu sehen war, sehr romantisch, wehmütig und mit der richtigen Prise an Hoffnung.
https://www.youtube.com/watch?v=disSftgYaV0
Give One Take One wird das neue Album von ’68 heißen, aber die Noise-Punks aus Atlanta meinen damit ziemlich sicher nicht die Covid-19-Infektionskette. Trotzdem hat Corona die am 26. März erscheinende Platte gehörig geprägt, wie das furiose Bad Bite (****) als erster Vorab-Track nicht nur musikalisch, sondern auch mit seinem Video zeigt. Sänger und Gitarrist Josh Scogin hat die Bilder von Hand gemalt und selbst animiert, auch als Zeitvertreib während des Lockdowns und als Beschäftigungstherapie, als die eigentlich geplanten Auftritte im Vorprogramm von Korn und Faith No More nicht zustande kamen. „Die ‚unterschwelligen‘ Botschaften sind eigentlich so etwas wie ein Tagebuch für mich geworden. Eine Art ‚Liebestagebuch‘ während dieses tollen Jahres 2020. Mein Computer ist alt und langsam, also musste ich an diesem Video in kleinen, jeweils dreisekündigen Stücken arbeiten. Es gab definitiv Momente, an denen ich dachte, dieses Video wird nie das Licht der Welt erblicken. Aber ich musste es zu Ende bringen, weil ich mir vor ein paar Jahren mal geschworen habe, dass ich alles zu Ende bringe, was ich beginne“, sagt er. „Ich habe angefangen aufzuschreiben, was immer ich zu der Zeit gefühlt habe (irgendwo müssen auch Star Wars-Referenzen zu sehen sein, da ich irgendwann mal alle Filme durchgebinged habe). Als ich mit der Animation fertig wurde, setzte ich alle Teile zum ersten Mal zusammen und renderte das Video, was ganze 24 Stunden gedauert hat. Ich war so begeistert! Und ich wusste, dass es roh bleiben und meine ‚Fehler‘ erkennbar bleiben sollten – als Gegengewicht zu allem, was heutzutage so perfekt, makellos und echt scheint. Ich wollte, dass es MENSCHLICH ist. Bevor ich alles zusammengefügt habe, hatte ich wenig Hoffnung, dass die Idee aufgeht. Schlussendlich hat es mich dann doch umgehauen. Ich liebe es“, schwärmt er. Wie bei der 2020er EP der Band Love Is Ain’t Dead haben ’68 wieder mit Produzent Nick Raskulinecz (Foo Fighters, Rush, Alice In Chains) gearbeitet und anhand dieser Kostprobe könnte man fast meinen, so eine Pandemie sei in ihrem Fall eine gute Idee, um noch mehr Feuer, Coolness und Biss aus ihnen herauszukitzeln.
Auch Kero Kero Bonito haben für ihr neustes Video auf Animation gesetzt (von Dan W. Jacobs) und sind demnächst ebenfalls mit einer neuen EP am Start: Die drei Tracks auf Civilisation II sind komplett mit Vintage-Hardware entstanden, erscheinen am 21. April und setzen eine 2019 begonnene Reihe fort. Auch diesmal geht es bei Sarah Midori Perry, Gus Lobban und Jamie Bulled wieder um die Frage, wie Alternativen zu unserer Welt aussehen könnten. Im Falle der ebenso niedlichen wie cleveren Single The Princess And The Clock (***) führt das zu einem Quasi-Märchen um eine Prinzessin, die während einer Segelreise rund um die Welt von einer primitiven Gesellschaft entführt und in einem Glasturm festgehalten wird, wo sie zugleich Geisel und Ikone ist. „Sie ist in ihrer Kammer eingesperrt und verbringt Jahre damit, von einer Flucht zu träumen, bis sie eines Tages verschwindet“, beschreibt die Band aus London die Geschichte, die durch die Corona-Situation eine neue Bedeutungsebene bekommen hat. „The Princess And The Clock haben wir geschrieben, bevor Covid ausbrach, auch wenn sich jetzt wohl viele mit den langen, einsamen Stunden und den Träumen von Ausbruch identifizieren können. Es ist ein Song für jeden, der sich einmal in der Falle gefühlt hat, verloren und einsam.“