Macklemore Ben Album

Corona-Musik 38 mit Macklemore, Boy & Bear, Silver Moth, Radwimps und Tristan Brusch

Ben Haggerty, wie Macklemore mit bürgerlichem Namen heißt, hat eigentlich mehr als genug zu tun. Neben seiner Solokarriere als Musiker bringt sich der Mann aus Seattle in vielen karitativen Projekten ein. Er macht sich – basierend auf seinen eigenen Erfahrungen – stark gegen Drogenmissbrauch und hat ein Hip-Hop- und Jugendförderungsprogramm in seiner Heimatstadt namens The Residency mitgegründet, engagiert sich bei MusiCares, einer Non-Profit-Organisation, die Musiker*innen mit finanziellen oder gesundheitlichen Problemen unterstützt, und sitzt im Verwaltungsrat von The Underground Museum. Zudem ist er Mitbesitzer eines Profi-Fußballteams und einer Eishockeymannschaft in der NHL, Betreiber einer eigenen Modemarke und Vater von drei Kindern. Wenn man so viel um die Ohren hat, kann einem die zwangsweise Entschleunigung, die eine Pandemie mit sich bringt, vielleicht sogar gelegen kommen. Macklemore hat sich Covid-19 und dessen Folgen sicher nicht herbeigesehnt, aber er hat gemerkt, dass die Einschränkungen ihm gut getan haben. „Ich habe eine Ebene der Reflexion erlebt, die ich in der Vergangenheit wohl nicht wirklich nutzen konnte. Diese Zwangspause und die unverhofft verfügbare Zeit haben ein Maß an Intimität geschaffen, das es sonst nicht gegeben hätte, wäre die Welt so weitergelaufen wie bisher“, sagt er. Diese Erfahrung hat sein gerade erschienenes drittes Studioalbum entscheidend geprägt, das nicht zufällig seinen eigenen Vornamen trägt. „Ich wollte schon immer ein Album machen, das Ben heißt. Ein selbstbetiteltes Album hat etwas, einen Hauch von Voyeurismus. Ich lasse die Leute teilhaben, aber auf eine Art und Weise, die mir vorher nicht geheuer war. Nun ist die Zeit gekommen. Auf diesem Album bin ich authentisch, so wie ich bin. Ich reflektiere darüber, wo ich im Leben stehe. Es hat sich herausgestellt, dass ich eine Menge gelernt habe.“ Eine dieser Lehren lautet offensichtlich, dass es No Bad Days (****) gibt, wie die neue Single heißt. Der Song hat viel Schwung und noch mehr Optimismus, er wird getragen von der mitreißenden Entschlossenheit, das Leben zu nehmen wie es kommt – und vor allem zu genießen. Die Regie für das Video führte übrigens Macklemores sieben Jahre alte Tochter Sloane, wie sie zu Beginn des Clips auch brav erklärt.

Mit jedem ihrer Alben haben Boy & Bear in ihrer australischen Heimat die Top10 erreicht, zwei davon haben es dort sogar an die Spitze der Charts geschafft. Man könnte nach so einer Erfolgsserie denken, dass sich Automatismen und Routinen eingestellt haben, vielleicht sogar, dass die fünf Mitglieder der Band nun über ausreichend große Egos oder genügend gemeinsame Erlebnisse verfügen, um sich auf die Nerven zu gehen. Die wichtigste Erfahrung im Entstehungsprozess ihres neuen Studioalbums, das am 26. Mai erscheinen wird, war allerdings die Wiedersehensfreude. „Nach dem Lockdown war es großartig, endlich wieder gemeinsam im Studio sein zu können und die Musik weiterzuentwickeln, die wir zuvor über verschiedene Möglichkeiten des digitalen Austauschs erschaffen hatten. Nichts schlägt das Gefühl, die Band wieder zusammenzuholen und gemeinsam Musik machen zu können“, lautet ihre Erfahrung, die sich auch in den Bildern des neuen Videos gut erkennen lässt. Die selbstbetitelte Platte haben sie in den Golden Retriever Studios in ihrer Heimatstadt Sydney aufgenommen und selbst produziert. „Wir wollten ein Album mit verführerischen Grooves, schwebenden Melodien, modulierten Ambient-Texturen und großartigen Geschichten machen. Wir haben hart daran gearbeitet, das richtige Gleichgewicht zwischen Vintage und modernster Technik zu finden, poliert und sicher, aber auch voller Herz und wilder Momente. Das Experimentieren mit Analog- und Digitaltechnik wurde auf diesem Album zu einem sehr wichtigen Werkzeug, nicht nur in der Art und Weise, wie wir Sounds kreierten, sondern auch in der Art und Weise, wie wir sie schrieben, aufführten und zusammenstellten“, fassen Boy & Bear die Platte zusammen. Die neue Single Apex (***), basierend auf einer sehr originellen Gitarrenfigur, die mit einer erstaunlichen Gelassenheit im Beat und ein paar Überraschungen kombiniert wird, kam dabei ziemlich spät hinzu. Als das Album fast schon fertig war, entdeckte Jon Hart eine ältere Version davon, die allerdings noch keinen Text hatte. Der entstand dann spontan im Studio, und vielleicht hat Corona bei Zeilen wie „But its such a long way, I’m covered in scars“ auch ein bisschen nachgewirkt.

Der Austausch per Zoom wurde auch für Silver Moth zum wichtigen Kommunikationsmedium während der Pandemie. Bei ihnen kommt allerdings noch eine Besonderheit hinzu: Die Band hat sich erst während der Corona-Monate gegründet und viele der sieben beteiligten Musiker*innen hatten sich nie zuvor persönlich getroffen. Die Idee zur Zusammenarbeit ging im April 2021 von Stuart Braithwaite (Mogwai) aus, er holte zunächst Elisabeth Elektra, Evi Vine und Steven Hill dazu, um auf digitalen Wegen ein paar Ideen auszutauschen und Skizzen für das zu entwickeln, was nun zum Debütalbum Black Day geworden ist, das am 21. April erscheinen wird. Mit dem Ausgangsmaterial ging das Quartett in die Black Bay Studios an der schottischen Westküste, wo vier weitere Mitstreiter hinzu kamen: Gitarrist Matthew Rochford (Abrasive Trees), Schlagzeuger Ash Babb (Burning House), Cellist Ben Roberts und Produzent Pete Fletcher (Seachange, Kagoule, Cantaloupe). „Sobald wir dort ankamen, schalteten wir in einen sehr intensiven Kreativmodus. Es war wie eine Blase, in der eine Menge kollektiver Traurigkeit steckte, ein Dampfkochtopf. Aber ich denke, dass etwas wirklich Schönes daraus entstanden ist“, sagt Elisabeth Elektra über die Zusammenarbeit. Alle sechs Songs der Platte wurden in nur vier Tagen gemeinsam geschrieben und aufgenommen, so auch das von Vines und Elektra geschriebene Mother Tongue (***1/2) als Feier der weiblichen Kraft. So, wie sich im Video eindrucksvolle Bilder von weltweiten Demos für Frauenrechte über Landschaftsaufnahmen legen, bildet hier eine hypnotische Gitarre die Basis, die immer wieder von den recht schroffen Klängen einer zweiten Gitarre herausgefordert wird. Dazu kommt die markante Stimme, schließlich Klavier und Schlagzeug, so dass die Wirkung des Lieds zum Ende hin immer beunruhigender und aufwühlender wird. „Ich habe mit jeder Faser meines Körpers darauf vertraut, dass wir etwas Kraftvolles, Schönes und Himmlisches schaffen können, obwohl wir uns noch nie begegnet waren“, schildert Evi Vine ihre Eindrücke von der Zusammenarbeit bei Silver Moth. „Wir verbringen unser Leben mit Wiederholungen, umgeben von Gewissheit. Es ist wichtig, die Dinge, die wir zu verstehen glauben, ab und zu beiseite zu schieben. Denn wenn wir es am wenigsten erwarten, verändert sich alles – und wir sind verloren.“

Radwimps haben in ihrer mehr als 20-jährigen Karriere schon viel mitgemacht. Die Band aus Japan kommt bisher auf neun Studioalben und hat sich (vor allem international) außerdem durch etliche Soundtrack-Beiträge einen Namen gemacht. Die Musik des Trios ist beispielsweise in den erfolgreichen Animes Weathering With You, Your Name, One Piece oder jüngst Suzume zu hören. Gerade diese Songs haben dazu beigetragen, dass es eine sehr internationale Fan-Community für sie gibt, ihre für 2020 eigentlich geplante Welttournee musste wegen der Corona-Pandemie allerdings abgesagt werden. „Als alles stehen blieb, mussten wir uns wieder der Musik widmen, um bei Verstand zu bleiben“, sagt Sänger Yojiro Noda über diesen Moment. So begann die Arbeit am Album Forever Daze, das in ihrer Heimat schon 2021 veröffentlicht wurde und bei Spotify seitdem bereits mehr als 30 Millionen Streams gesammelt hat. Am 14. April wird die Platte auch in Europa und Nordamerika veröffentlicht, ebenso sollen in diesem Jahr einige der außerhalb Japans geplanten Konzerte nachgeholt werden, darunter Shows am 26. Mai in Köln und am 30. Mai in Berlin. Was die Fans erwartet, demonstriert beispielsweise der Titelsong (***1/2). Der Rhythms klingt nach Eighties, die Gitarre würde zu Coldplay passen, an die auch der hymnische Refrain und die betont zuversichtliche Botschaft erinnern. Noda sieht diese Songs schließlich auch als Zeichen der Hoffnung, sagt er: „Die 18 Monate, in denen das Album entstand, fühlten sich an wie im Schwindel. Also schrieben wir Musik, die in die Zukunft schaut und sich der Sonne zuwendet, weil mich das glücklich macht. Das Leben ist manchmal schwierig, aber ich bin mir sicher, dass ich immer weiter Musik machen werde, weil sie mich durch das Leben trägt.“

Auch so kann man natürlich die Pandemie verbringen: als Liebespaar. Während draußen die Clubs und Kinos schließen, Kontakte reduziert und Reisen vermieden werden, kann man sich frisch verliebt sogar noch ein bisschen besser in der eigenen Blase einrichten als das im Rausch der Hormone ohnehin passiert. Wenn Freundeskreise und Verabredungen uninteressant werden, weil nichts spannender ist als noch mehr über diesen einen besonderen Menschen zu erfahren, den man nun an seiner Seite hat und am liebsten rund um die Uhr dort haben will, sind Corona-Vorschriften vielleicht die ideale Ausrede. Von so einer Situation erzählt Tristan Brusch in Seifenblasen platzen nie (****), einem Lied seines neuen Albums Am Wahn. “In einem Jahr Pandemie / haben wir uns für immer geliebt”, singt er darin, und diese Verse zeigen ebenso wie der Songtitel, dass diese vermeintlich ewige Liebe die Dauer des Lockdowns letztlich doch nicht überlebt hat. Mit schönen, irritierenden Bildern erzählt Brusch davon, wie berauschend es sich anfühlt, nicht genug voneinander zu bekommen, und wie erschütternd es sich anfühlt, wenn sich dieser Glaube dann als Selbsttäuschung erweist. Das Arrangement, umgesetzt mit Produzent Tim Tautorat sowie Marcel Römer (Schlagzeug), Felix Weigt (Bass und Klavier), Damian Dalla Torre (Bassklarinette und Tenorsaxofon) und Ralph Heidel (Saxofon), könnte einen dieser besonders romantischen Dramen von Nancy Sinatra untermalen – und das Thema würde natürlich auch bestens zu ihr passen. Am Wahn erscheint am 24. März.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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