Immer unterwegs, überall zuhause: So sah das Leben von Juan Waters aus, bis die Pandemie kam. Was sich zunächst wie ein brutaler Eingriff in seinen Lebensentwurf anfühlte, erwies sich für den Singer-Songwriter dann allerdings schnell als willkommene, vielleicht sogar notwendige Abwechslung. „Während der Covid-Zeit habe ich entdeckt, dass ich tatsächlich Stabilität mag. Aber die Welt sieht mich immer noch als umherziehenden Rebellen“, sagt er. Diese beiden Pole prägten auch die Entstehung seines am 2. Juni erscheinenden sechsten Albums, das er ebenfalls Wandering Rebel genannt hat. Einerseits hat er tatsächlich einen ganzen Monat völlig allein an einem Strand in seiner Heimat in Uruguay verbracht, um dort mit einem iPad seine Ideen für die neue Platte und seinen durch die Pandemie veränderten Blick auf die Welt festzuhalten. Andererseits war er danach wieder umtriebig wie eh und je: Tatsächlich aufgenommen wurde Wandering Rebel in New York, Los Angeles, Brasilien und Argentinien, zu den zahlreichen Kolleg*innen, die dabei eingebunden waren, gehörte auch Greta Kline alias Frankie Cosmos, die an der zweiten Vorab- Single Modus Operandi (****) mitwirkt. Der Song ist niedlich und melodieverliebt, als hätten Simon & Garfunkel den Slacker-Geist für sich entdeckt, die entspannte Attitüde mit Freiraum für die eine oder andere grundsätzliche Betrachtung zum Lauf der Welt passt dabei wunderbar zum Juan Waters in der Post-Covid-Inkarnation.
Die Single Next Exit (****) war einer der ersten Songs, den Vacations für ihr neues Album geschrieben haben. Die Band aus Sydney hatte 2020 mit Forever In Bloom ihren internationalen Durchbruch, einschließlich Gold- und Platinauszeichnungen in diversen Ländern und einer ausverkauften US-Tour. Dort nahmen Frontmann Campbell Burns und seine Mitstreiter Jake Johnson, Nate Delizzotti und Joseph Van Lier bei einem Zwischenstopp in Austin auch das Intro von Next Exit auf. Der Rest fehlte aber noch, erzählt Burns: „Die Idee begleitete mich einige Monate lang, und ich griff sie immer wieder auf und versuchte zu sehen, ob ich sie als etwas Neues interpretieren könnte. Es gab dann eine Session, in der alles klickte. Songwriting ist in diesem Sinne therapeutisch, manchmal verstehe ich es nicht ganz, und ich muss einfach einen Moment dabei sitzen, um alles aufzunehmen.“ Das Lied schildert nach seinen Worten die Situation, „in einer Schleife sich wiederholenden Verhaltens festzustecken. Sich stagnierend zu fühlen und unsicher in die Zukunft blicken. Sie könnten dies leicht auf uns als Band beziehen, die durch Covid navigiert, oder auf einer persönlicheren Ebene mit Beziehungen zwischen Freunden oder romantischen Partnern. Ich mag die Idee der multiplen Interpretationen. Jeder, auch ich, kann seine eigene Bedeutung haben. Zusammen verbinden wir uns immer noch über die Musik.“ Der Song kombiniert Schwung mit Optimismus sowie Eingängigkeit mit einem Hauch von Melancholie – so als sei er einer sehr schönen Schnittmenge aus The Drums und Two Door Cinema Club entsprungen. Wie eine Befreiung nach den Unwägbarkeiten der Corona-Monate fühlte sich für Vacations auch der Videodreh zur Single an, bei dem Jake Johnson als Creative Director fungierte: „Diesen Clip zu machen war, als würde ich dieses massive Gewicht von meiner Brust nehmen. Es gab viele starke Gefühle, die nach den vergangenen Jahren und allem, was uns als Menschen und Künstlern widerfahren ist, herauskommen und ausgedrückt werden mussten. Es war eine wirklich wunderbare, kathartische Erfahrung und die Dreharbeiten waren anders als alles, was wir jemals zuvor versucht haben.“
Wenn in der Hauptstadt eine Seuche umging, zogen die reichen Leute aus dem antiken Rom bekanntlich aufs Land, um sich dort in Sicherheit zu bringen. So ähnlich kann man sich die Position von Arthur Jeffes, dem Kopf von Penguin Cafe, in der Corona-Zeit vorstellen. Er verbrachte sie in einem Haus in der Toskana, das früher mal ein Kloster war und das seine Eltern (sein Vater Simon leitete das legendäre Penguin Cafe Orchestra, seine Mutter ist die Bildhauerin und Malerin Emily Young) vor zwölf Jahren gekauft hatten, also in dem Jahr des Debütalbums von Penguin Cafe. Das Landhaus in Italien war einerseits ein Idyll, andererseits waren die ersten Epizentren der Pandemie ganz nah. Entsprechend aufgewühlt und verunsichert war die Atmosphäre, entsprechend erleichtert und aufgerüttelt sind nun die Lieder des neuen Albums Rain Before Seven, das am 7. Juli erscheint. Die Single In Re Budd (****) ist der erste Vorbote auf das fünfte Studioalbum der Band. „Das war das allererste Stück, das ich jemals auf dem Balafon geschrieben habe – und zwar an jenem Tag, an dem ich vom Tod Harold Budds erfuhr“, sagt Arthur Jeffes. Diesen Pionier der Ambient-Musik habe er „zwar nie persönlich kennengelernt, aber seine Arbeit bewundere ich schon immer. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass gerade die Ungereimtheiten dieses Tracks wie gemacht dafür sind, um ihm dieses Stück zu widmen.“ Zu diesen Ungereimtheiten zählen das Aufeinandertreffen von Streichern, die vom Balkan zu kommen scheinen, und Rhythmen aus Lateinamerika, auch die Kinderfernsehen-Melodie und die kleinen Widerhaken im Arrangement reiben sich auf wunderbare Weise aneinander.
Als „Linzer Schule“ bezeichnet Die Partie den Sound, der demnächst auf ihrem Debütalbum Beziehungsweisen zu hören sein wird. So hochtrabend diese Genre-Bezeichnung klingt, so banal war der Ausgangspunkt für ihre Musik: Langeweile. Jan und Emil, die den Kern der Band bilden, hatten während des Lockdowns nichts zu tun, zudem fiel ihnen in ihrer WG die Decke auf den Kopf. Also schrieben sie ein paar Lieder, holten schließlich mit Gandi und Frodo die passende Rhythmus-Unterstützung dazu, spielten (als es wieder erlaubt war) ein paar Konzerte und hatten schnell einen Plattenvertrag in der Tasche, was aus den einstigen Hobby-Musikern plötzlich Hoffnungsträger machte. Den DIY-Spirit haben sie aber beibehalten und vom Albumcover bis zum Mastering von Beziehungsweisen alles an der Platte selbst gemacht, gemeinsam mit vielen Freunden. Ein Song wie Nackt sein (***1/2) zeigt, worin ihr Charme liegt: Manches ist rasant und beinahe heavy wie bei Thin Lizzy, es gibt eine Verspieltheit à la Die Höchste Eisenbahn und einen Stolz auf die eigene Nerd-Schüchternheit, wie man das auch bei The Screenshots erleben kann. Die Plattenfirma verspricht schon einmal: „Das nächste Album wird schneller, lauter und ist bereits in Arbeit!“
Strange World (****) heißt der dritte Vorbote auf das selbstbetitelte Album von Boy & Bear, das am 26. Mai erscheinen wird. Der Titel passt natürlich wunderbar in die Pandemie-Zeit mit all ihren verwunderlichen Erscheinungen. In der Tat hat die Band aus Sydney das Lied genau in der Zeit geschrieben, als die Auswirkungen von Corona spürbar wurden. „Jon und ich arbeiteten an einer Idee, und genau in dieser Zeit kam Covid und machte unsere Australien-Tournee zunichte“, erzählt Dave Hosking. „Nachdem uns eine vorangegangene krankheitsbedingte Zwangspause lange Zeit vom Touren abgehalten hatte, schien es so, als könnten wir endlich wieder zu dem zurückkehren, was wir liebten, und dann wurde alles eingestampft. Das war der Moment, in dem die Texte für Strange World zu fließen begannen.“ In der Tat erzählt das Lied nun davon, wie verwirrend sich das Leben mit all seinen Widrigkeiten anfühlen kann, wie alternativlos es aber ist, dennoch darin zurechtzukommen und im besten Fall sogar ein bisschen Freude zu finden. Das neue Album soll nach den Worten der Band „das richtige Gleichgewicht zwischen Vintage und modernster Technik finden, poliert und sicher, aber auch voller Herz und wilder Momente sein“. Wie das gemeint sein könnte, zeigt Strange World sehr exemplarisch, indem es digitale Möglichkeiten nutzt, aber trotzdem organisch bleibt. Vor allem aber lebt das Lied vom Wissen um die Bedeutung von Empathie und Kampfgeist, wie auch das wunderbare Video unterstreicht.