Corona und die Folgen, Teil 1: Die Pandemie hat unsere eigene Verletzlichkeit gezeigt und damit womöglich unseren Egoismus noch vergrößert, zugleich hat Covid monatelang so sehr die Schlagzeilen dominiert, dass andere Krisen und Tragödien in den Hintergrund gerückt sind. Diesen Effekt haben Smile And Burn zum Thema der Single Alle verlieren (***1/2) gemacht. Es geht um die Abschottung Europas gegenüber Menschen in Not und um das Sterben von Flüchtlingen insbesondere im Mittelmeer. „Unter dem Eindruck der Pandemie war das Thema komplett aus den Medien verschwunden, die Menschen haben ihren Blick trotz der brennenden Lager komplett auf ihre eigene Lebenswelt fokussiert. Danach kam direkt der Krieg gegen die Ukraine. Wir haben gespürt, dass sich die Gesellschaft abwendet. Für uns ist das Thema aber immer wichtig geblieben oder wir haben versucht, es selbst niemals in Vergessenheit geraten zu lassen. Weil es einen Teil unserer Menschlichkeit ausmacht, oder eben dessen, was davon fehlt“, teilt das Trio aus Berlin mit, das für den Song mit Guido und Jan-Dirk von den Donots zusammengearbeitet hat. Das Ergebnis steckt voller Wut, Feuer und durchaus auch Abscheu über unreflektiert genossene Privilegien und derart seltsam verschobene Prioritäten („Wir waren viel zu beschäftigt / das Paradies aufzufressen“) bei fast allen von uns. „Wir haben das Pferd von hinten aufgezäumt. Wir hatten zuerst die Textzeile ‚Am Ende wird alles gut, aber eben nur am Ende‘. Die Frage lag auf der Hand: Was wird auch am Ende nicht gut sein, welche Narbe wird unserer Generation ein Leben lang aufgerissen bleiben, egal ob wir das Problem lösen oder nicht? Was werden uns zukünftige Generation vorwerfen, wo wird man uns Menschlichkeit absprechen? Unsere Antwort liegt auf der Hand.“ Smile And Burn untermauern diesen Aktivismus mit einer Spezialausgabe ihres Podcasts „Konfettikanonen im Jammertal“, in dem unter anderem das Buch Namen statt Nummern vorgestellt wird, verfasst von der italienischen Gerichtsmedizinerin Cristina Cattaneo. Sie beschreibt darin, wie sie seit 2013 versucht, Opfer von Bootsunglücken zu identifizieren, ihnen ihre Namen wieder zurückzugeben und damit Angehörige bei der Trauerarbeit zu unterstützen. Im Herbst ist die Band zudem auf Tour und schaut am 16. November in der Moritzbastei in Leipzig vorbei.
Corona und die Folgen, Teil 2: Es bringt auch nichts, den Kopf komplett in den Sand zu stecken. Zu diesem Schluss kommt jedenfalls Rosali, und sie hat daraus Bite Down (***) gemacht. „Im ersten Jahr der Pandemie hatte ich eine Reihe von Gesprächen mit engen Freunden und Familienmitgliedern, in denen es immer wieder darum ging, dass sich alles sinnlos anfühlt. In Bite Down geht es um das Durchhalten in der ertrinkenden Depression mit der Bitte, nach Luft zu schnappen und weiterzuleben“, sagt sie. Das Lied ist behutsam und getragen, zugleich aber auch dezent swingend und funky. Man erkennt, wie schwer es sein kann, sich aufzuraffen, um ein Tief zu überwinden. Man erkennt aber auch, welch enorme Belohnung dafür womöglich winkt. „In unserer Isolation ist es notwendig, Gemeinschaft und Unterstützung zu finden. Wir können Freiheit finden, wenn wir Demut und Mitgefühl für andere aufbringen und in der Lage sind, dasselbe zu empfangen. Jede Aktion hat eine gleichwertige und entgegengesetzte Reaktion, alles hat einen Preis – energetisch gesprochen – wir sind füreinander und für alle Lebewesen verantwortlich“, sagt die 42-Jährige, die unlängst von Philadelphia nach North Carolina gezogen ist. Bite Down wird auch ihr viertes Album heißen, das am 22. März erscheint.
Corona und die Folgen, Teil 3: Wenn man viel, viel weniger zu tun hat als bisher und zugleich die Auswirkungen einer unsichtbaren Bedrohung erlebt, kann man schon einmal esoterisch werden. So ist es jedenfalls Laura Carbone ergangen. Sie hatte zwar schon zuvor einen Hang in diese Richtung (man kann bei der in Berlin lebenden Künstlerin mit deutsch-italienischen Wurzeln beispielsweise auch Readings und Sound-Healings buchen), doch erst durch Covid hat dieses Element auf dem neuen Album The Cycle (erscheint am 27. April) voll auf die Musik durchgeschlagen. Weil Carbone nun nicht mehr sehr regelmäßig als Teil des Bandprojekts Deine Jugend aktiv war oder als Solomusikerin auf der Bühne stehen konnte, spürte sie ihren (nach eigenen Angaben) angeborenen hellsinnigen Fähigkeiten nach und ließ beispielsweise Alchemy Crystal Bowls in den Sound der 13 neuen Songs einfließen. Thematisch geht es um den Jahreskreis und eine Heldinnenreise, klanglich wirkt es auf Tracks wie Silver Rain (***) ein bisschen, als hätten ein paar Leute von der Impfgegner-Demo eine Coverband irgendwo zwischen Patti Smith und Fleetwood Mac gegründet.
Corona und die Folgen, Teil 4: Den Ausnahmezustand einer Pandemie kann man auch nutzen, um eine Fanbase aufzubauen. So hat es Zeck gemacht, dessen EPs Sorry, I’ve Been Asleep und Fatal Fragility wunderbar in die zugleich lähmenden und aufwühlenden Lockdown-Monate passten. Nachdenklich, aber nicht hoffnungslos, verängstigt, aber nicht in sich gekehrt – so klingt auch die neue Single Breathe (***). „An manchen Tagen wacht man auf und weiß nicht, ob die Sonne gerade unter- oder aufgeht. Da ist nur eine dicke graue Schicht, die sowohl den Himmel als auch deinen Verstand bedeckt. Du befindest dich in einer Stadt voller Möglichkeiten, hast aber keine Kraft, eine davon zu ergreifen“, beschreibt Zeck die Ausgangslage für das Lied, in dem er dann sogleich auch die Lösung präsentiert: eine Pause machen, tief Luft holen. Besonders reizvoll sind dabei die Ecken und Kanten, die er Breathe verleiht, durch den recht strengen Rhythmus, ein paar Experimente mit Effekten und nicht zuletzt durch seine Stimme, die etwas von der angenehmen Rauheit von Jake Bugg hat. Das Debütalbum Daydream Therapy soll im Herbst kommen.
Corona und die Folgen, Teil 5: Wenn der Club geschlossen bleiben muss, kannst du eben ein Studio daraus machen. So sind The Lets mit dem Downtown Bluesclub in Hamburg verfahren, der mehr als 25 Jahre im Landhaus Walter zuhause war. Zusammen mit Produzent Thomas Barth (alias Toma Moon) haben sich Joey Blümel (Gesang, Gitarre), Lasse Stamer (Gitarre, Gesang), Artjom Feldtser (Bass, Gesang) und Hanser Schüler (Schlagzeug, Gesang) dort 2021 während des dritten Lockdowns einquartiert. Ergebnis ist das Debütalbum New Over Known, das am 14. Juni herauskommen wird. Schon in ein paar Tagen erscheint die Single There Is No Time (***) als erster Vorbote und dürfte mit seiner originellen Gitarrenarbeit im Refrain und dem großen Vorwärtsdrang wohl Fans etwa von Jet oder den Black Crowes bestens gefallen, in der ruhigeren Passage des Songs kann man auch an Incubus oder Pearl Jam denken. Und eine tröstliche Botschaft im Hinblick auf die Pandemie haben The Lets auch reingepackt: „Fear is an illusion.“