Knights Of The Realm Darker Than Leather

Corona-Musik 48 mit Knights Of The Realm, Ennio, Glass Animals, Manuel Louis und RAH & The Ruffcats

Killer Machine (***1/2) heißt die erste Single vom neuen Album, das Knights Of The Realm am 24. Mai vorlegen werden. Man könnte meinen, die schwedischen Metal-Meister hätten damit direkt das Virus tituliert, dem bisher mehr als 20 Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind. Aber dem ist nicht so. Trotzdem hat Covid sehr deutliche Spuren auf Darker Than Leather (so heißt die Platte) hinterlassen. Es geht vereinfacht gesagt um finstere Zeiten (weitere bereits benannte Songtitel lauten beispielsweise Power Of Evil, The Dark und Hell Can Wait) und wie man diesen fertig wird, vielleicht sogar gestärkt aus ihnen hervorgehen kann. Magnus Henriksson erklärt: „Die Pandemie zu überstehen war großartig, aber dann das Leben zu meistern, als die Dinge wieder ’normal‘ wurden, war für uns alle etwas schwieriger. Das Gute daran ist, dass wir etwas davon in die neuen Songs einfließen lassen konnten, was sie meiner Meinung nach kraftvoller und düsterer gemacht hat.“ Killer Machine bestätigt das mit einem brachialen Vorwärtsdrang und viel offenkundiger Liebe zum Metal-Genre, zu seiner Geschichte und seinen Codes (im Videoclip gibt es reichlich Autos mit sehr vielen Zylindern, Zigaretten und Sonnenbrillen), zugleich beeindruckt hier aber auch die beinahe hymnische Melodie. Henriksson (sonst auch bei Eclipse aktiv), Lars Sköld (Tiamat) und Marcus von Boisman (Tank) haben während der Zwansgpause auch Mats Rydström von Avatarium als neues Bandmitglied angeheuert. Der neue Bassist sagt: „Ich bin froh, dass ich in diesem spannenden Kapitel der Bandgeschichte dabei sein darf! Wir hatten immer so viel Spaß bei unseren Auftritten, und ich freue mich darauf, das neue Material für alle da draußen zu spielen!“

Einen neuen Job durch Corona? Den hatte auch Ennio. Genauer gesagt: ganz viele neue Jobs mit reichlich zusätzlichen Aufgaben. Der gebürtige Münchner macht nämlich auch nach den Achtungserfolgen seiner ersten Releases (unter anderem wurde er mit dem New Music Award als „Newcomer:in des Jahres“ 2022 ausgezeichnet) weiterhin alles streng unabhängig und komplett unter eigener Kontrolle. „Die letzten zwei Jahre fühlten sich sehr ‚Ich gegen den Rest der Welt‘-mäßig an. Es war teilweise sehr überwältigend. In der Corona-Zeit war ja eigentlich überall Stillstand angesagt, aber bei mir ging’s komplett gegensätzlich zu. Ich hatte vor 2022 vielleicht insgesamt sieben Gigs in meinem Leben gespielt. Und dann in einem Sommer plötzlich 30, dazu EPs und ein Album.“ Für den 27. September ist nun der Nachfolger angekündigt, der Schlaraffenland heißen wird. „Das Schlaraffenland ist für mich ein Ort, den man sich selber erschafft“, sagt Ennio zum Albumtitel. „Vielleicht ist der Sonnenuntergang dort noch ein bisschen röter und der Mond ein bisschen größer, aber im Prinzip ist mein Schlaraffenland unsere Welt, nur auf 120 Prozent hochgefahren. Mit allen Höhen, aber auch Tiefen.“ Als spektakuläre Kostprobe gibt es bereits Zeit (****), das er gemeinsam mit RIN auf die Beine gestellt hat. Der Track ist ein Kracher mit elegantem Schwung, Mega-Refrain und der rauen Stimme von Ennio, die weiterhin ein beträchtlicher Trumpf für die Eigenständigkeit seines Sounds ist. Zudem bringt der Text wunderbar die Sehnsucht nach einem Glück zum Ausdruck, das in der Ruhe ebenso liegen kann wie in der Eskalation – und sich in der ständigen Zerrissenheit zwischen diesen Polen jedenfalls kaum wird finden lassen. Nach der Album-Veröffentlichung geht Ennio auf Tour und schaut am 17. November im Leipziger Felsenkeller vorbei.

Nebenjobs brauchen Dave Bayley (Gesang), Drew MacFarlane (Gitarre, Keyboards), Edmund Irwin-Singer (Bass, Keyboards) und Joe Seaward (Schlagzeug) seit dem Mega-Erfolg von Heat Waves (der Song stand unter anderem fünf Wochen lang an der Spitze der US-Charts) sicher nicht mehr. Doch die vier Briten, besser bekannt als Glass Animals, haben während der Pandemie wohl trotzdem so etwas wie eine Weiterbildung absolviert, nämlich als Community-Manager. Weil nach der Veröffentlichung von Dreamland (2020) zunächst kein regulärer Tour-Betrieb möglich war, setzten Glass Animals eine Open-Source-Website auf und sammelten dort Feedback von Fans. Die Idee greifen sie jetzt auch für ihr viertes Studioalbum auf, das am 19. Juli mit dem Titel I Love You So F***ing Much erscheinen wird. Diesmal enthielt die Webpage nur den Hinweis „Panic. Answer the question please.“ Das ist natürlich nicht nur eine Anspielung auf Douglas Adams, sondern womöglich auch die Zusammenfassung der Reaktion der Band auf ihren neuen Status mit weltweit mehr als 12 Millionen verkauften Exemplaren von Dreamland. „Das Leben kann sich dramatisch verändern, aber manchmal ist man nicht in der Lage, sich auch auf der persönlichen Ebene so schnell zu verändern“, beschreibt Dave Bayley eine der wichtigen (natürlich auch auf den Umgang mit der Corona-Erfahrung passenden) Erkenntnisse, die das zehn Songs umfassende neue Album geprägt haben. Auch in der Vorab-Single Creatures In Heaven (****) geht es nach seinen Worten „darum, dass ein Moment, sei es ein Sekundenbruchteil oder ein Jahr oder was auch immer, die Fähigkeit hat, enorm prägend und lebensverändernd zu sein“. In diesem Fall ist es der Moment, in dem man sich in eine andere Person verliebt, was sich fortan so anfühlt, als sei es eine vorherbestimmte Konstellation gewesen, wie die Begegnung zweier Himmelskörper mit fester Umlaufbahn. So schlicht wie dieser Gedanke wird die Message des Songs („I don’t think I realize / just how much I miss you sometimes“), trotzdem hat das eine schöne Dynamik zwischen der erstaunlich zurückgenommene Strophe und dem massiven Refrain und vor allem eine enorme Eingängigkeit.

Es gibt ein Restaurant namens Orílé in Lagos. Online werden die großen Portionen und die leckeren Cocktails gelobt. Womöglich ist es dieser Ort, der nun auch im Albumtitel Orile To Berlin steckt. Die gleichnamige erste Platte von RAH & The Ruffcats wird am 12. Juli erscheinen und ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit, die in Nicht-Pandemie-Zeiten wohl nie in dieser Form zustande gekommen wäre. Auf der einen Seite haben wir Rapturous Apollo Helios (also RAH), der aus Lagos stammt und sich mit seinem Solo-Debütalbum How Far? (2008) und diversen Live-Aktivitäten (etwa seinen Swag-Lessons) längst einen exzellenten Namen in der Berliner HipHop-Szene gemacht hat. Auf der anderen Seite steht eine Band (also die Ruffcats), in der acht größtenteils sehr renommierte Session-Musiker schon seit 2007 zusammen spielen. Neben ihren eigenen Auftritten in Berliner Locations standen sie als Begleitband etwa für Acts wie Georgia Anne Muldrow, Sweet Charles, Lady Alma, Flomega, Ivy Quainoo, Jaguar Wright oder Miles Bonny auf der Bühne. Ihre Zusammenarbeit mit RAH begann schon vor der Corona-Zeit und wurde dann durch die Lockdowns unterbrochen. Womöglich waren es aber gerade die auch danach noch immer fehlenden oder reduzierten Auftrittsmöglichkeiten, die den musikalischen Austausch so intensiv werden ließen, dass er jetzt in eine gemeinsame Platte mündet. Die Vorab-Single Agidi (****) ist der erste Song, den RAH & The Ruffcats für das Album aufgenommen haben, basierend auf einem Loop, den die Band während einer Jamsession kreierte. Sie reichten ihn an RAH weiter, der sich die kämpferische Vocal-Line ausdachte. Der Songtitel beschreibt in der Sprache der Yoruba einen Sturkopf, und natürlich kann man auch da spielend leicht einen Covid-Bezug herstellen: Die Unfähigkeit, die eigenen Positionen, Routinen und Privilegien in einer Phase zu überdenken, in der sich die Rahmenbedingungen rasant ändern, ist während der Pandemie ja leider an vielen Stellen deutlich geworden („We need leaders / tough leaders / not egocentric leaders“, stellt RAH im Text fest). Wie bereichernd der Ansatz von „Gemeinschaft statt Egotrip“ sein kann, unterstreicht Agidi dann auch mit einem herrlich lebendigen Afrobeat-Funk, in dem alle Beteiligten ihre Musikalität in den Dienst der Atmosphäre des Tracks stellen statt für sich nach dem Platz im Rampenlicht zu streben.

Auch für Manuel Louis brachten die Covid-Einschränkungen mit sich, dass er mit dem 2021 veröffentlichten Longplayer Immer nicht auf Tour gehen konnte. Statt die Gitarre einzupacken und durchs Land zu reisen, blieb er kurzerhand direkt im Studio und schrieb neue Lieder. Zehn davon sind auf der neuen Platte Brücken zu finden, die am 24. Mai erscheint. Der Hamburger nennt Acts wie James Taylor, Sting und John Mayer als Referenzen, was die Single Andere Welt (**) bestätigt. Das ist harmloses Pop-Handwerk mit Lust auf die große Geste, man könnte auch sagen: Irgendwo in der Mitte zwischen Johannes Oerding und Fury In The Slaughterhouse (wenn die auf Deutsch singen würden). Manuel Louis greift diesmal Themen wie den Mut zur Veränderung, das Erkennen der eigenen Stärken und die Besinnung aufs Miteinander auf – auch da wirken die Erfahrungen der Pandemie-Zeit sicher noch nach.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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