Wer einer der Menschen war, die Punk losgetreten haben, und es regelmäßig in der Nähe der Toten Hosen aushält, lässt sich natürlich auch von einer weltweiten Pandemie nicht unterkriegen. TV Smith, einst Sänger von The Adverts und als Solist seit vielen Jahren unermüdlich unterwegs, begegnet Corona deshalb gleich mit einem ganzen Album. Lockdown Holiday wird am 27. November erscheinen. Zwar ist weder die Idee eines im Homestudio aufgenommenen Konzeptalbums besonders Punk noch die Tatsache, dass in den darauf enthaltenen elf Songs als einziges Instrument eine akustische Gitarre zu hören ist. Aber die Stärken von TV Smith kommen auf Songs wie Send In The Clown (***1/2) dennoch hervor: Inbrunst, Überzeugung und gute Texte, die natürlich nicht von Viren, Epidemiologie oder Langeweile in der Isolation handeln, sondern von den sozialen Folgen der Pandemie, ihren Profiteuren und unserer Unfähigkeit, kurz auf Hedonismus und Konsum zu verzichten, um unser eigenes Leben zu retten. Im Fall von Send In The Clown bekommen Boris Johnson und sein (Nicht-)Management der Corona-Krise ihr Fett weg. Campino bringt es auf den Punk(t): „Dass TV Smith die Zeit der Krise aus dem Stegreif in große Kunst übersetzt, zeigt einmal mehr seine unglaublichen Fähigkeiten als Texter. Für die Toten Hosen ist er seit vielen Jahren Freund und Vorbild – wir sind stolz, Lockdown Holiday bei unserer kleinen Plattenfirma zu veröffentlichen.“
Die Christian-Drosten-Lobhudelei Ich habe Besseres zu tun (***) von ZSK hat Shitesite an dieser Stelle ja bereits vorgestellt. Die Punks aus Berlin haben keineswegs schon einen nächsten Corona-Hit auf Lager, aber die erstaunliche Geschichte, die sich aus dieser Witz-Idee entwickelt hat, soll hier trotzdem weitererzählt werden: Nicht nur, dass die Band (entgegen der eigenen Erwartung) genug Interesse bei Twitter generierte, um den Song überhaupt umzusetzen. Das Stück hat sich auch zum YouTube-Hit entwickelt (derzeit knapp 200.000 Views). Mittlerweile wurde auch eine Unikat-Vinyl-Single von Ich habe Besseres zu tun gepresst, und diese durften ZSK ihrem Corona-Helden höchstselbst überreichen. Der Virologe versprach sogar einen gemeinsamem Live-Auftritt: „Ich freue mich sehr, tolle Aktion! Sobald Konzerte wieder erlaubt sind, komme ich gerne vorbei und spiele das Lied auf der Gitarre mit“, sagte Drosten bei der Übergabe der Platte. Sänger Joshi war nicht nur deshalb sehr angetan von der Begegnung in der Charité: „Wir haben uns eine halbe Stunde sehr nett über gute Musik und böse Viren unterhalten. Es freut uns sehr, dass Drosten und sein Team den Song mögen.“ Auf das Angebot des Wissenschaftlers, bei einem der hoffentlich bald wieder anstehenden Konzerte mit ZSK aufzutreten, geht die Band natürlich gerne ein, sagt er: „Viel üben muss er für den Auftritt nicht. Das Lied hat ja nur vier Akkorde!“
Einen Produktivitätsschub erlebten die Drive-By Truckers während der Pandemie. Mit The New OK haben sie Anfang des Monats bereits ihr zweites Album in diesem Jahr veröffentlicht, ab 18. Dezember wird das Werk auch als physischer Tonträger verfügbar sein. Die Platte behandelt, wen wundert es, Corona und die Folgen. Ursprünglich wollte die amerikanische Band lediglich eine EP mit unveröffentlichtem Material aus den Sessions zum im Januar erschienenen Vorgänger The Unraveling veröffentlichen, um in der Zeit der Quarantäne ein Lebenszeichen zu senden. Einmal am Werk, entstanden aber sofort neue Songs, schließlich fand Frontmann Patterson Hood reichlich Themen in der Zeit, die er als „endlosen Sommer voller Proteste, Unruhen, politischen Betrügereien und dem Horror der Pandemie“ beschreibt. Der Titelsong (***1/2) begegnet dem mit einer feinen Balance aus Tom-Petty-Entspanntheit und Bob-Mould-Aufruhr, die auch plausibel macht, dass die Drive-By Truckers die neue Platte mit einer erstaunlich authentischen Coverversion von The KKK Took My Baby Away (Ramones) abschließen. „Ein neues Album fertig zu haben und zur Untätigkeit verdammt zu sein, während so viel, was ich liebe und was wir am Herzen liegt, vor meinen Augen auseinander fällt, war eine intensive, herzzerreißende, wütend machende und sehr deprimierende Erfahrung“, erzählt Hood. The New OK soll deshalb auch ein Zeichen der Hoffnung sein.
Ganz ähnlich klingt die Botschaft von Früher wird alles besser (**1/2), der aktuellen Single von Querbeat. „Das Leben ist Rausch“, lautet die zentrale Zeile in diesem Appell für Zuversicht, Ausprobieren und Mut, natürlich umgesetzt mit reichlich Blechbläsern. Das 13-köpfige Kollektiv muss den Song lieben: Zur Premiere haben sie ihn zwölf Stunden am Stück live gespielt, und zwar für einzelne Fans in privaten Zoom-Calls, für die man sich vorher anmelden konnte. „Es war so schön, endlich wieder die direkte Verbindung zu den Menschen zu haben, die sich mit uns in unserer Musik wiederfinden. Es war anstrengend, unterhaltsam und irgendwie euphorisierend. Nach dieser langen Livepause wissen wir jetzt wieder genau, warum wir das machen“, erzählt die 2001 gegründete Band aus Köln. „Es gab viele Highlights in diesem 12-Stunden-Marathon“, lautet die Bilanz von Bandleader Jojo Berger. „Wir haben für Küchen-, Garten und Grillparties gespielt, für Junggesellenabschiede, für ein Paar mit einer hochschwangeren Frau, die uns am nächsten Tag schrieb, dass ihr Kind nur drei Stunden später zur Welt kam, für Menschen, die alleine in Quarantäne waren, und für einen Fan, der gerade auf dem Fußballplatz stand, um sein Landesliga-Team zu supporten. Während wir für ihn spielten, fiel das entscheidende Tor!“ Da kann man nur sagen: Querbeat 1, Corona-Koller 0. Aus den insgesamt fast 50 Performances hat die Band ein Video zusammengeschnitten, im neuen Jahr soll ihr drittes Album mit „Progressive Future Brass Punk“ folgen.
Noch ein komplettes Corona-Album: Als im UK der Lockdown verkündet wurde, hatte auch A. A. Williams kaum noch Möglichkeiten, ihr Debütalbum Forever Blue zu promoten. Stattdessen startete sie die Reihe Songs From Isolation, in der sie zuhause im Norden Londons verschiedene Lieder mit meist sehr reduzierten Mitteln coverte. Welche Songs sie dabei spielte, wurde von ihren Fans entschieden. Die neun Coverversionen von Acts wie den Pixies, Deftones, Nick Cave, Nine Inch Nails, Smashing Pumpkins oder Radiohead kamen so gut an, dass sie nun unter gleichem Titel von Bella Union herausgebracht werden. Ein Höhepunkt ist ihre famos intime Piano-Version von Lovesong (***1/2), ursprünglich von The Cure. „Das war eines der ersten Lieder, die Fans vorgeschlagen haben. Es war auch eines der Stücke, deren Überarbeitung mir am meisten Spaß bereitet hat. Das Original weckt viele nostalgische Gefühle, dieses Element wollte ich unbedingt beibehalten. Die Text ist sanft und wunderschön, ihn wollte ich in meiner Version besonders herausstellen“, sagt A. A. Williams. Veröffentlichungsdatum der Songs From Isolation ist der 12. Februar 2021.