Corona-Musik 9 mit Beatsteaks, Netta, Jack Savoretti, Sukie und Coin

Beatsteaks EP Monotonie Review
Die Beatsteaks zelebrieren „Monotonie“. Foto: Community / Chris Guse

Vor einer Woche ist die neue EP der Beatsteaks erschienen, als erster neuer Tonträger der Band seit dem Album Yours vor drei Jahren. Natürlich gehen auch an ihnen die Eindrücke von Pandemie, Lockdown und Social Distancing nicht vorbei. Es ist also eindeutig kein Zufall, dass als Single eine Coverversion von Ideal ausgewählt wurde: Monotonie (***1/2). Schließlich sind momentan keine Reisen möglich, auch nicht in die Südsee, und zuhause bleibt auch oft nur tatenlose Langeweile. Dass sie den Text im Vergleich zum Original aus dem Jahr 1981 leicht angepasst haben, geht klar: Die Beatsteaks haben sich dafür eigens das Okay von Annette Humpe geholt, die das Stück damals gesungen hatte. Wie viel Spaß die Berliner beim Umgang mit dem Material aus fremder Feder hatten, zeigen nicht nur die Tanzeinlagen von Bassist Torsten Scholz im Video, das noch mit ein bisschen Klassenkampf und Stock Footage angereichert wird, sondern auch der Song selbst. Die EP In The Presence Of enthält fünf weitere Coverversionen, auch diese wurden alle im Original von Frauen gesungen. Darunter sind Songs beispielsweise von L7, Hildegard Knef und Portishead.

Coin gehören zu den Bands, die 2020 eigentlich ihr aktuelles Album Dreamland promoten wollten. Die dazugehörige Tour musste aber nach nur zwei Konzerten gestoppt werden. „Als wir nach Hause kamen, waren wir irgendwie ziellos. Aber wir fingen uns schnell wieder und entdeckten eine neue Liebe zur Musik und zum Songwriting. Wir schauten zurück in unsere Vergangenheit und auf den Weg, der uns dahin gebracht hat, wo wir jetzt stehen“, erzählt Leadsänger Chase Lawrence. Ergebnis dieses Prozesses ist nun ebenfalls eine EP, genauer gesagt eine EP-Trilogie namens Rainbow MixTape. Jede Veröffentlichung ist nach einer Farbe benannt, die erste EP heißt Indigo-Violet. Die neue Reihe soll nicht nur während der Corona-Zeit die Coin-Maschinerie am Laufen halten, die dem Trio aus Nashville bisher unter anderem 90 Millionen Streams und Konzerte im Vorprogramm von The 1975 eingebracht hat, sondern auch eine neue Art der Verbindung und neue Einblicke in die künstlerischen Koordinaten von Coin ermöglichen, wie Lawrence sagt: „Wenn man Musik im Internet konsumiert, ist das manchmal, als würde man eine 2D-Version eines Künstlers sehen. Wir hatten die Idee, unserem Publikum ein vollständigeres Bild von uns und unserer aktuellen Stimmung zu geben. Jede EP kommt aus einer anderen Ecke unseres Gehirns – klanglich wie textlich – vom Rock der frühen 2000er Jahre über Lovesongs aus den 1960ern bis hin zu modernem HipHop, und vom Menschsein ganz allgemein über Liebe bis zu gebrochenen Herzen. Rainbow Mixtape ist ein Hologramm von Coin.“ Die Single Sort It Out (***1/2) passt mit ihrer Botschaft, dass früher oder später alles wieder gut wird, natürlich sehr schön in die Covid-19-geplagte Welt. Die animierten Spielzeuge im Video konkurrieren mit dem Gesang von Chase Lawrence in puncto Niedlichkeit, dazu gibt es angenehme, aber nicht zu konventionelle Rock-Behutsamkeit. Die Tour ist ins Jahr 2021 verschobenen.

 

Die Möglichkeit, per EP einen kompakten und einigermaßen spontanen Schnappschuss ihres aktuellen künstlerischen Daseins zu veröffentlichen, hat auch Sukie aus Hamburg genutzt. Love And Impatience heißt die Ende Oktober erschienene Platte, die zugleich ihre erste Veröffentlichung ist. Dass das Timing nicht gerade ideal ist für Newcomer, weiß sie genau. „Ich habe auf keinen Fall alle Hoffnung verloren, aber ich denke auf jeden Fall auch, dass es im Angesicht eines solchen globalen Notstandes (und das nicht nur bezogen auf Covid) für viele schwierig ist, einfach mit dem weiter zu machen, was zur gleichen Zeit im letzten Jahr noch ganz andere Aussichten oder sogar Ziele hatte“, sagt die 22-Jährige, die parallel zum Musikerdasein noch Ethnologie und klassische Archäologie studiert. „Ich glaube, was besonders belastend ist, ist dabei die Unsicherheit, die mit hineinspielt: Wann lockern sich Maßnahmen, was hat das für langfristige Einwirkungen auf den Markt, in dem ich mich beruflich aufhalten will? Und wenn man darüber nachdenkt, hat es die Veranstaltungsbranche am schlimmsten erwischt. Und das ist das, was mir und allen Berufsmusikern in meinem Umfeld wirklich Freude bringt: spielen. Wenn man nicht mehr weiß, wann man das machen darf und ob die Clubs, in denen man das machen will, überhaupt noch da sind, ist das schon ein sehr unschönes Gefühl. (…) Bis das wieder geht, wabert man halt so ein bisschen rum: Soll ich mir jetzt einen Bürojob suchen, um die Miete zu zahlen? Oder darf ich nächstes Jahr auf Festivals spielen? Die Ungewissheit ist schon sehr plagend und drückt auf jeden Fall aufs Gemüt, vor allem, weil man so sehr dafür brennt und im Endeffekt nichts an der Situation ändern kann.“ Die Zeile „I don’t want to be sober“ aus der Single Sober (***1/2) passt natürlich bestens zu dieser erzwungenen Abstinenz von Nachtleben, Kontakt und anderen Dingen, die Spaß machen, auch wenn sie in diesem Track auf den Wunsch bezogen ist, den Rausch einer leidenschaftlichen Beziehung nicht aufgeben zu wollen. Der Song paart große Coolness mit einer entsprechend reduzierten Produktion, die mit cleveren Details glänzt, bevor dann am Schluss auch ein bisschen Club-Euphorie/Eskapismus hinzukommt. Nach diesem ersten Eindruck muss man schwer hoffen, dass Corona die Karriere von Sukie nicht stoppt, bevor sie richtig begonnen hat.

Aus der vergleichsweise bequemen Perspektive des etablierten Künstlers erlebt Jack Savoretti die Pandemie, schließlich hat sein 2019er Album Singing To Strangers die Spitze der Charts im UK erreicht. Auch ihn bringt Corona dabei auf die Idee einer EP. Auf dem heute (nur digital) erscheinenden Under Cover, der Titel deutet es an, interpretiert der 37-Jährige fünf Songs anderer Künstler neu, die Aufnahmen sind während der Quarantäne im Frühjahr komplett in Eigenregie entstanden. Im Falle von Leonard Cohens Bird On The Wire (**1/2) erreicht er zwar bei weitem nicht die Intensität des Originals, überrascht aber mit Klavier (statt Gitarre) als zentralem Instrument und erstaunlichem Mut zu Ecken und Kanten in der Stimme.

Noch eine EP mit Coverversionen, allerdings einer ganz anderen Entstehungsgeschichte: Netta, die Eurovision-Gewinnerin des Jahres 2018, hat während der Pandemie das Format „Netta´s Office“ auf YouTube entwickelt und darin immer wieder ihre Interpretationen der Lieder anderer Künstler präsentiert. „In diesem Jahr wollte ich eine direkte Verbindung zu meinen Fans aufbauen. Ich fühlte, dass ich sehr viel mitzuteilen und zu geben hatte. Ich wollte die Fans für dieses Projekt zu meiner direkten Inspirationsquelle machen“, sagt sie. „Jede Folge gibt mir die Möglichkeit zu experimentieren und viel Spaß während dieser Improvisation zu haben. Wie eine leere Leinwand, die nicht an die Regeln der Musikindustrie gebunden ist. Ich kann mich dabei ganz verwirklichen. Meine ganz eigene, schräge Musikversion eines Podcasts.“ Die Ergebnisse werden nun als The Best Of Netta´s Office – Vol.1 im EP-Format veröffentlicht, dazu gehört auch Supercalifragelisticexpialidocious (***1/2), der Klassiker aus Mary Poppins, der hier mit reichlich Auto-Tune und vielen anderen Stimmexperimenten angereichert wird und so plötzlich mehr nach Nicki Minaj klingt als nach Judy Garland. Die Vorlagen der anderen Tracks stammen von Bob Dylan, Flo Rida, Eiffel 65, Aqua und Mr. President. Wer das Format noch 2020 erleben will, hat an Silvester mit dem „Netta´s Office New Year`s Eve Party!“-Livestream dazu die Chance.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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