Courtney Barnett – „Tell Me How You Really Feel“

Künstler Courtney Barnett

Tell Me How You Really Feel Courtney Barnett Kritik Rezension
Stärker nach außen blick Courtney Barnett auf ihrem zweiten Album.
Album Tell Me How You Really Feel
Label Marathon Artists
Erscheinungsjahr 2018
Bewertung

„Seltsam, man gesteht es dem Künstler, der und dessen Werk ein wichtiger Bestandteil der eigenen Erinnerung, Biographie und Identität ist, nicht zu, dass er – ohne Absprache – neu mit dem alten Material umgeht. Man will einfach alles so wie immer, weil ja alles andere nicht mehr so ist wie früher, die alte Musik darf sich nicht verändern, wir wollen uns mit ihr zurücksehen, wir wollen keine Überraschungen. Der Künstler hat bitte schön eine Jukebox zu sein. Und wenn wir da unser Münzgeld oben reinwerfen, soll unten gefälligst konservative Erinnerung herauskommen, Sentimentalität.“

Das hat Benjamin von Stuckrad-Barre über den Moment geschrieben, wenn ein Künstler, der einem sehr ans Herz gewachsen ist, ein neues Werk vorlegt und man befürchtet, es könne zu sehr von den eigenen Erwartungen abweichen. Bei Courtney Barnett kann man diesen Effekt gut am eigenen Leib erfahren, und zwar erstaunlicherweise bereits, nachdem sie nur ein einziges Album veröffentlicht hat. So sehr man sich wünscht, diese Künstlerin bei ihrem Schritt auf die nächste Entwicklungsstufe zu begleiten und eine neue Inkarnation von ihr kennenzulernen, so sehr bangt man doch, dabei könne der unverwechselbare Charakter der Australierin verloren gehen, der ihr für das Debüt Sometimes I Sit And Think, And Sometimes I Just Sit so viel Lob und Bewunderung eingebracht hat. Vor allem gilt das, weil man nach dieser ersten Platte gewiss sein konnte, dass in Courtney Barnett so viel Talent, Intelligenz und Einzigartigkeit steckt, dass dies noch für mindestens zwei, drei weitere umwerfende Alben reichen würde, ohne allzu große stilistische Veränderungen erforderlich zu machen.

Wie geht man mit dem fast einhellig großartigen Feedback für das Erstlingswerk um? Wie schärft man sein Profil, ohne seine Wurzeln zu kappen, aber auch ohne zu stagnieren? Man merkt dem heute erscheinenden Tell Me How You Really Feel an, wie sehr auch Courtney Barnett selbst diese Fragen beschäftigt haben. Vielleicht kann man auch die Zusammenarbeit mit Kurt Vile auf dem im vergangenen Jahr erschienenen Album Lotta Sea Lice in dieser Richtung interpretieren: Statt einen Schritt nach vorne, nach hinten oder auf der Stelle machen zu müssen, ist Courtney Barnett damit einen Stück zur Seite getreten, hat Zeit, Horizont und Inspiration gewonnen für die Definition der eigenen Weiterentwicklung.

Erfreulicherweise finden sich auf Tell Me How You Really Feel keine Spuren von Jammern über Erfolgsdruck und Erwartungshaltung. Es gibt kein „Hilfe, jetzt bin ich berühmt!“ oder „Verdammt stressig ist dieses Jetset-Rockstarleben!“ Was es aber sehr wohl gibt, ist die Erkenntnis, dass die Diskrepanz zwischen innen und außen seit dem Erfolg des Debüts noch verstärkt wurde. Wenn man sich unsicher, trotzig oder verletzlich fühlt, wie es auf Sometimes I Sit And Think, And Sometimes I Just Sit der Fall war und auch auf der neuen Platte gilt, dann ist das eben noch schwieriger zu verstehen, wenn man bei Festivals von ein paar Tausend Menschen bejubelt wird oder als Nominierte für den Grammy und Brit Award über den roten Teppich schreiten kann.

Entsprechend mehr Raum nimmt auf Tell Me How You Really Feel deshalb der Blick auf Umwelt und Mitmenschen ein, als Resonanzkörper für das eigene Innenleben, aber auch als Spiegel dafür. Was macht meine Musik mit diesen Menschen? Was machen sie mit mir? Diese Fragen prägen die Platte. Need A Little Time ist ein gutes Beispiel dafür, mit einer tollen Atmosphäre zwischen Weltschmerz, Fernweh und Faust in der Tasche. I’m Not Your Mother, I’m Not Your Bitch versprüht Gift und Galle und Unerbittlichkeit, das fast ein wenig funky geratene Crippling Self Doubt And A General Lack Of Self Confidence hätte auch als Titel für dieses Album gepasst.

Eröffnet wird das Album von Hopefulessness, das alle Bedenken hinsichtlich eines womöglich befürchteten radikalen Wandels in Sekundenschnelle zerstreut: Die Gitarre wird am Anfang noch einmal nachgestimmt, scheint aber dann trotzdem die ganze Zeit neben sich zu stehen – selbst am Ende des Lieds, als sie viel Kraft gesammelt hat, wird sie durch das Feedback infrage gestellt. Die ersten Wörter lauten „You know what they said“, und durch diese direkte Ansprache und den Verweis auf Die Anderen als Objekt beschwört Courtney Barnett sofort ein „Wir gegen sie“ herauf, ein Vertrauensverhältnis, einen Geheimbund.

Auf Nameless, Faceless ist sie im Text so böse wie vielleicht nie zuvor, der Sound ist erstaunlich zahm für die hier angesprochenen Themen: Vom Klagen über anonyme, bösartige und auch noch unkreative Internet-Trolle (“I could eat a bowl of alphabet soup / and spit out better words than you”) leitet sie über zur Angst, die Frauen leider auch in #MeToo-Zeiten noch immer vor sexuellen Übergriffen und Gewaltverbrechen haben müssen (“I want to walk through the park in the dark / men are scared that women will laugh at them / I want to walk through the park in the dark / women are scared that men will kill them / I hold my keys between my fingers”, baut sie im Refrain ein legendäres Zitat der Schriftstellerin Margaret Atwood ein). Erst ganz am Ende zeigt die Musik die Spannung und den Furor, der diesem empörenden Zustand gleichkommt.

Auffällig ist das noch einmal erweiterte musikalische Spektrum, auf das die 30-Jährige hier zurückgreifen kann. Das großartige Charity hat einen guten, schmissigen Groove und eine etwas dreckige Lässigkeit, als wäre es in einer geheimen Schatztruhe von Tom Petty entdeckt worden. City Looks Pretty setzt auf Drive und Ungeduld, bis es in einer Selbstvergessenheit landet, das vergleichsweise entspannte Walkin On Eggshells hat die vielleicht hübscheste Melodie, die man jemals von Courtney Barnett gehört hat. Auch der Album-Abschluss Sunday Roast ist nichts anderes als herzzerreißend schön. Vielleicht besonders repräsentativ für die Methode von Tell Me How You Really Feel ist Help Your Self: Es täuscht Primitivität vor, ist aber extrem gewitzt (nicht nur bei Songtitel) und durchaus komplex.

Alle Sorgen erweisen sich somit als unebgründet. Courtney Barnett hat ein Zweitlingswerk gemacht, das ihren Charme und Charakter bewahrt, zugleich neue Facetten integriert und eine Weiterentwicklung nicht nur als Musikerin, sondern auch als Persönlichkeit zeigt. Wir dürfen sie einfach weiter lieben.

Im Video zu Need A Little Time wird Courtney Barnett zur Astronautin.

Im Juni gibt es zwei Deutschlandkonzerte von Courtney Barnett.

11.06.18 – Astra Kulturhaus (Berlin)
13.06.18 – Live Music Hall (Köln)

Website von Courtney Barnett.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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