Cullen Omori – „The Diet“

Künstler Cullen Omori

Cullen Omori The Diet Review Kritik
Etliche Mitstreiter hat Cullen Omori zu „The Diet“ eingeladen.
Album The Diet
Label Sub Pop
Erscheinungsjahr 2018
Bewertung

Blöderweise hat Cullen Omori schon sein Solodebüt vor zwei Jahren New Misery genannt. Denn der Titel würde auch jetzt für den Nachfolger wieder bestens passen. „Niemand ist gestorben und ich musste auch keine schlimmen körperlichen Verletzungen erleiden, aber emotional war da eine Menge, das ich verkraften musste“, sagt Omori über die Zeit seit 2016. Was genau so schlimm war, erfahren wir nicht, es ist letztlich auch nicht relevant. Ist man am Ende dieser Platte angekommen, weiß man: Hier hat man es mit einem Menschen zu tun, der gerne leidet, ziemlich gerne über sich selbst nachdenkt – und dabei zu dem Schluss gekommen ist, dass er eigentlich ziemlich genial ist (was das Leidenmüssen natürlich noch ungerechter macht).

Selbstmitleid ist also eine wichtige Zutat auf The Diet, ebenso ein gekränktes Ego und die Idee, als Künstler müsse man der Welt gegenüber eine besondere Sensibilität an den Tag legen. Aber das ist kein Problem. Immerhin hat der frühere Frontmann der Smith Westerns erkannt, dass er im Sinne des eigenen Wohlbefindens an ein paar Stellschrauben drehen sollte. „Ich habe das Album The Diet genannt, weil eine Diät eben bedeutet, dass man bestimmte Dinge weglässt und bei anderen Dingen die Zufuhr reduziert. Um das zu tun, muss man aber erst einmal einen Überfluss von etwas haben, das man dann reduzieren kann. Ich war emotional und spirituell so erschöpft, dass es sich anfühlte, als sei mein einziger Überschuss der an Negativität und Selbsthass“, sagt Cullen Omori. „Ich habe versucht, diese Gefühle zurückzufahren und dagegen anzukämpfen, und zwar mit sehr produktiven Methoden. Ein wichtiger Bestandteil davon war es, all die Routinen zu unterlassen, die damit einhergehen, wenn man ein professioneller Musiker ist oder zumindest sein möchte. Danach konnte ich wieder Musik ohne irgendeine Art von Verstellung schreiben.”

Wie das gemeint ist, zeigt schon das erste Lied des Albums. Four Years schwelgt in Gitarrenseligkeit, Harmoniegesang und der Ermahnung daran, sich das eigene Glück immer wieder klarzumachen. “You do so many things / and I love you for it / but I usually forget”, singt der Mann, der aus Chicago mittlerweile wieder nach Los Angeles gezogen ist. Als Beispiele für das Ungekünstelte kann man auch das kompakte Last Line begreifen oder Black Rainbow – eines von vielen Liedern, das ein wunderbarer Rausschmeißer für The Diet gewesen wäre. In Natural Woman singt Cullen Omori: “So many lonely people, but I ain’t one” – entweder feiert er diese Erkenntnis oder, was wahrscheinlicher erscheint, er redet sie sich ein.

Die Platte hat eine sehr einnehmende, stimmige und warme Atmosphäre. Praktisch jedes Lied kann als Prototyp für den Sound des gesamten Albums gelten, ohne dass dieser dadurch eintönig würde. Einen großen Anteil daran hat Produzent Taylor Locke. „Er kann singen und spielt viele Instrumente, darüberhinaus ist er Produzent. Die Zusammenarbeit mit ihm hat meine Art des Songwritings perfekt ergänzt. Die Platte würde nicht halb so gut klingen, hätte Taylor sie nicht aufgenommen und hätte ich nicht auf all die großartigen Musiker zugreifen können, die darauf spielen”, schwärmt Cullen Omori, der nämlich noch etliche andere helfende Hände hatte: „Bei New Misery war ich einen Monat lang mit einem Produzenten in einem Raum isoliert. Diesmal wollte ich, dass die Aufnahmen ein Kommen und Gehen werden: verschiedene Musiker, verschiedene Menschen, verschiedene Ästhetiken. (…) Entgegen meiner inneren Natur habe ich ganz aktiv nach Mitstreitern gesucht.”

Passend dazu wird in den Texten auf The Diet sehr oft jemand direkt adressiert, auch das Zwiegespräch mit sich selbst pflegt der Künstler hier immer wieder. In All By Yourself artikuliert er wieder den guten Vorsatz, diese Sache mit dem Zwischenmenschlichen künftig besser in den Griff zu bekommen. Queen durchströmt eine Wehmut, die ein Abschied ausgelöst zu haben scheint. In Quiet Girl darf die E-Gitarre für ein paar Momente aggressiv werden, der Rest fängt gut die Traumwelt ein, in der dieses stille Mädchen zu leben scheint. Borderline Friends ist mit seiner dezenten Psychedelik und dem sehr schönen Refrain ein weiteres gutes Beispiel für den Sound des Albums.

„Nur ein paar Lieder handeln davon, eine tatsächliche Person zu lieben oder nicht mehr zu lieben. Es gibt auch Liebeslieder, die sich an meine Antidperessiva richten oder einfach davon handeln, wie ich mir mein Leben mit 27 mal vorgestellt habe”, sagt Cullen Omori. Unverkennbar ist allerdings in Happiness Reigns eine echte Liebste gemeint: „Es kommt nur selten vor, dass ich wirklich über Mädchen in meinem Leben schreibe. Aber wenn ich es tue, soll es sein wie in einer Verschwörung mit meiner Muse. Bei Happiness Reigns habe ich ganz bewusst versucht zu verhindern, dass der Song zu dieser einseitigen Ode an eine Muse wird. (…) Also habe ich sie dazu gebracht, es mit mir gemeinsam zu schreiben. Ich dachte, es könnte interessant sein, auch ihre Sicht auf sich selbst und unsere Beziehung mit einzuflechten.“ Das Ergebnis ist in der Tat ein Highlight, nicht nur wegen des vergleichsweise energischen Schlagzeugs und des himmlischen Refrains, sondern auch, weil es hier eben keine Macho-Perspektive gibt, sondern einen fassungslosen Fan dieser Frau, der auch seine eigenen Schwächen besingt.

Fast genauso gut ist das gloriose Master Eyes, hier verleihen die Bläser zusätzliche Größe. Millenial Geishas wird etwas weniger fluffig als der Durchschnitt auf The Diet, wobei die hohe Gesangsstimme und auch der “Whoo-hoo”-Chor sicherstellen, dass man niemals “kernig” oder “bodenständig” dazu sagen würde. A Real You demonstriert, was Cullen Omori meint, wenn er sagt, er habe mit den Songstrukturen experimentieren wollen, „nicht immer Strophe, Refrain, Strophe, Refrain oder laut, leise, laut, leise”. Der Song ist noch etwas verspielter als die anderen auf dieser Platte und zeigt gleich mit mehreren Zeilen (“Trying to work out the feelings in my head”, “If you think I’m your cure”): Diese Lieder sind nicht nur Teil einer Selbstfindung, sondern einer Therapie.

„Es ist keine Neuerfindung, sondern eher ein anderer Zugang zu dem Problem, mit dem ich schon auf New Misery gekämpft habe: wie ich die Essenz all meiner Einflüsse in etwas verwandle, das dem entspricht, was ich als Musiker hören und als Songwriter ausdrücken möchte“, sagt der 27-Jährige. „Mit Anfang 20 habe ich in dem romantischen Irrglauben gelebt, die besten Songs würden durch Leiden entstehen. Als ich dann, bewusst oder unterbewusst, in den vergangenen Jahren ein paar wirklich schmerzhafte Erfahrungen gemacht habe, wurde mir klar, dass sie meine Persönlichkeit als Künstler gestärkt haben. (…) Während der Arbeit an The Diet sind mir meine Songs natürlich sehr häufig begegnet, und wenn ich sie dann angehört oder die Texte gelesen habe, wurde mir klar, dass etwas sehr Hilfreiches und Kathartisches passiert ist.”

Cabriofahrerinnen singen Cullen Omori beim Karaoke, lehrt das Video zu Happiness Reigns.

Cullen Omori bei Instagram.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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