Dagobert Jäger Review Kritik

Dagobert – „Jäger“

Künstler*in Dagobert

Dagobert Jäger Review Kritik
Dagobert hat „Jäger“ in der Schweizer Heimat aufgenommen.
Album Jäger
Label Dagobert
Erscheinungsjahr 2021
Bewertung

Dagobert liest gerne Science-Fiction-Romane. Sein Künstlername stammt aus einer Comicreihe. Auf Fotos zeigt er sein Gesicht fast immer im Halbschatten. Man sieht daran schon: Was auch immer er ist, der in Berlin lebende Schweizer ist ein Mann, der sich in der Realität, wie wir sie alle kennen, ein wenig fehl am Platz fühlt. Er wünscht sich nach Afrika oder in eine Welt ohne Zeit (so die Titel zwei seiner bisherigen Alben), am liebsten aber auch diesmal offensichtlich wieder (ausgerechnet) in die Achtziger.

Das kryptische Aldebaran zeigt das besonders deutlich, auch Für Dagobert als Lobpreis der (eigenen) Individualität und der Kraft der Musik in einem Powerballaden-Sound irgendwie zwischen La Boum-Kitsch und Celine-Dion-Bombast. Man kann nur hoffen, dass das ironisch gemeint ist, sich da bei diesem Typen aber wieder einmal nicht sicher sein. Der heilige Gral lässt an der Eighties-Vorliebe ebenfalls keinen Zweifel mit seiner Verbindung aus Astronomie, Raumfahrt und Naturwissenschaft mit unglücklicher Liebe, großer Schwärmerei und unstillbarer Sehnsucht.

Ohnehin zeigt sich Dagobert erstaunlich oft in der Position als schüchterner, verklemmter, chancenloser Bewunderer aus der Ferne, der einen sehr präzisen Blick für die Schönheit der Welt (und insbesondere der Frauen) hat, und es deshalb umso schmerzhafter findet, dass er sie nicht für sich haben kann, jedenfalls nicht für sich allein und nicht in einem sexuellen Sinne. Das zeigt sich in Das Mädchen aus der schönen Welt („Mein Herz klopft so laut wie zuletzt 1999 / es fühlt sich an als würde Jesus gekreuzigt“), ebenso im Auftakt For The Love Of Marie, dessen Klangkulisse eher Beat und Schlager wird, mit opulenten Streichern und Bläsern sowie stoischem Schlagzeug. Das Lied klingt erst nach typischem „Du undankbares Miststück hast mein Herz gebrochen“-Selbstmitleid, bis Dagobert dann mit einer netten Pointe überrascht. In Nie wieder arbeiten verwandelt sich die Zuneigung in eine gefährlich obsessive Variante. „Es ist Liebe und du wirst es spüren, Baby“ klingt jedenfalls nach einer handfesten Drohung.

Sein viertes Album hat Dagobert erneut mit Konrad Betcher aufgenommen, der schon den Vorgänger Welt ohne Zeit produziert hatte. Sie sind dafür in die Schweizer Berge gegangen, wie man etwa auf dem Plattencover erkennen kann. Der Albumtitel ist aber auch für zwei weitere Interpretationen offen: Dagobert ist ein Jäger, die große Liebe könnte dabei ebenso sehr seine angestrebte Beute sein wie eine neue Songidee. Und nicht zuletzt ist Lukas Jäger eben sein bürgerlicher Name.

Wer daraus schließt, dass es hier autobiographischer wird als bisher, liegt zumindest nicht ganz falsch. 2070 ist ein Blick in die (weit entfernte) eigene Zukunft: Dagobert singt aus dem Grab heraus, komplett verwest, aber immer noch schwer verliebt. Noch deutlicher wird der Bezg im Titelsong Jäger. Der Anfang des Stücks klingt wie der pflichtschuldige Small Talk, den man bei Telefonaten mit oder Besuchen bei der Familie gerne von sich gibt, dann wird es nach und nach intimer und zeigt: Selbst, wo man sich vermeintlich kaum noch etwas zu sagen hat, ist da trotzdem oft eine tiefe, untrennbare Verbindung, die hier nicht glorifiziert oder verdammt wird, sondern einfach hingenommen. „Familie sind wie die Regeln im Spiel / hält man sich nicht an sie / verhält man sich doch wie sie“, lautet die klügste Zeile des Albums, umgesetzt mit einem fast gespenstischen Sound.

Der findet sich auch in Im Wald, das mit der uralten Romantik-Vorstellung vom Wald als finsterer, gefährlicher, mystischer Ort spielt und atmosphärisch sehr dicht wird, auch wenn sein weiches Schwyzerdütsch dazu nicht so recht passen mag. Wunderwerk der Natur, das in seinen Konzerten schon lange sehr beliebt ist, wird spinnert und auch etwas anstrengend. Die Klavierballade Ich will noch mal ist ein typisches Beispiel für den nicht immer zufriedenstellend aufgelösten Anspruch aus Naivität/Unmittelbarkeit und Tiefsinn/Komplexität, die Jäger bieten will, was die Platte insgesamt krude wirken lässt: Der Songtitel könnte von einem Kind stammen, das gerade eine Runde auf dem Karussell gefahren ist, oder von einem Liebhaber, der nach dem ersten Orgasmus noch längst nicht genug hat. Es geht dann aber, nichts weniger, um Wiedergeburt.

Auf der Pirsch ist Dagobert im Video zu Jäger.

Website von Dagobert.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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