Künstler | Dan Deacon | |
Album | Mystic Familiar | |
Label | Domino | |
Erscheinungsjahr | 2020 | |
Bewertung |
Es ist mir schon wieder passiert. Ich habe diesen Knopf am Kopfhörerkabel gedrückt, der den Befehl „Play“ oder „lauter“ auslöst. Dabei läuft die Musik von Dan Deacon schon längst, und sie ist auf Mystic Familiar auch keineswegs kraftlos oder unscheinbar. Trotzdem hat der Synthie-Pop des Mannes aus Baltimore, und zwar nicht nur bei den drei Instrumentalstücken des Albums, eine einlullende und fluffige Komponente, die dazu führen kann, dass man sie gar nicht wahrnimmt.
Schwaden von Synthesizern, dezente Beats, Stimmen wie aus einer anderen Welt: Das kennt man natürlich von Dan Deacon, nicht zuletzt vom gefeierten Vorgänger Gliss Riffer aus dem Jahr 2015. In der Zeit seitdem hat er Soundtracks für gleich acht Filme gemacht, mit Tanz-Choreograph Justin Peck zusammengearbeitet, mit dem Baltimore Symphony Orchestra gespielt und als Produzent andere Künstler begleitet. Zusätzlich zu dieser künstlerischen Horizonterweiterung hat er unter anderem meditiert, um noch näher an die Quelle seiner Kreativität zu rücken, und das Ergebnis drückt sich nicht zuletzt im Albumtitel aus. Mit Mystic Familiar meint er ein übernatürliches anderes Wesen, das wir stets im Kopf haben, dessen Stimme nur wir hören können und mit dem wir ein endloses Gespräch führen, das unser ganzes Leben überdauert.
Fell Into The Ocean ist eine gute Entsprechung dieses Ausgangspunkts: Dan Deacon singt davon, wie er Teil des Kreislaufs des Wassers und damit des Lebens wird, entsprechend sphärisch ist der Sound. Noch prominenter wird dieser Gedanke in der Arp Suite, die in vier Teile gegliedert ist, von Kindheit und Jugend bis zum Tod, mit etlichen Überraschungen und ein paar Tragödien auf dem Weg. Sie beginnt mit Arp I: Wide Eyed, das eine Sicherheit zelebriert, aus der er sich trotzdem freistrampeln möchte, beziehungsweise freischwimmen, wie sich im nervösen, unruhigen Arp II: Float Away herausstellt. Arp III: Far From Shore setzt das mit einem dezenten New-Order-Beat, ein paar mehr Stimmeffekten und analogen Synthesizern à la Jean Michel Jarre fort, bevor Arp IV: Any Moment einen recht dissonanten, aber nicht erschreckenden Abschluss bildet.
Der Gedanke an Tod und Ewigkeit („It may only last a moment, but a moment can last a lifetime in your mind“) erscheint auch in Sat By A Tree erstaunlich präsent, zumal es hier von allen Stücken auf Mystic Familiar den größten Vorwärtsdrang gibt. My Friend adressiert einen Freund, der in Dan Deacons Bewusstsein immer präsent zu sein scheint, auch wenn er physisch nicht (mehr) anwesend ist. Die Musik dazu vereint wieder Spiritualität mit Elektronik, als hätte sich George Harrison mit OMD zusammengetan, und lässt Phasen großer Dramatik auf sehr entspannte Passagen folgen.
Dass man hier von Esoterik dennoch ein gutes Stück entfernt ist, beweisen nicht zuletzt die spannenden Instrumentalstücke wie Weeping Birch (geschrieben mit Ruby Fulton, deren Streicher hier auch das dominierende Element sind) oder Bumble Bee Crown King (geschrieben mit Dustin Wong, der hier die einzige auf dieser Platte vertretene Gitarre beisteuert). Dan Deacon ist eindeutig noch „hungry for the future“, wie er im Opener Become A Mountain proklamiert, in dem man zum ersten Mal überhaupt in seiner langen Plattenkarriere die unbearbeitete Gesangsstimme dieses Künstlers hören kann, begleitet von schwurbeligen Keys, zu denen sich in der zweiten Hälfte des Songs noch Saxofon, Trombone, Geige und Cello gesellen, was für einen ziemlich majestätischen Gesamteindruck sorgt. Auch das zeigt das Zusammenspiel aus Introspektion und Experiment, aus Bekenntnis und Spielerei, das man auf Mystic Familiar immer wieder finden kann. Letztlich zeigt das Album so auch, was kreative Arbeit für Dan Deacon in erster Linie bedeutet: einen Ausweg aus den eigenen Zweifeln, aus der Dunkelheit und Angst.