Künstler | Dan Deacon | |
Album | Rat Film (Original Soundtrack) | |
Label | Domino | |
Erscheinungsjahr | 2017 | |
Bewertung |
Bei Spotify und Amazon könnte das zu lustigen Missverständnissen führen. Menschen, denen der Elektropop etwa von Hot Chip gefällt oder von Deerhoof, konnte man dort bisher guten Gewissens die Musik von Dan Deacon empfehlen. Sollten solche Menschen nun Rat Film in ihre Playlist oder in ihren Einkaufswagen bekommen, darf man von einem gehörigen Maß an Irritation ausgehen. Denn vom üblichen Sound des Manns aus Baltimore, etwa auf dem zuletzt erschienenen Gliss Riffer, ist dieser Soundtrack sehr weit entfernt.
Wahrscheinlich sind die Algorithmen längst zu clever, um diesen Fall wirklich eintreten zu lassen. Außerdem erhalten sie noch ein bisschen Hilfestellung von der Plattenfirma, denn Rat Film erscheint morgen als erste Veröffentlichung auf dem neuen Ableger „Domino Soundtracks”, ist also auch hinsichtlich dieser Kategorie von den bisherigen vier Alben von Dan Deacon getrennt. Sollte es aber wirklich zu so einer Situation kommen, dürften die Kunden von Spotify/Amazon sehr spannende Entdeckungen machen.
Zum einen lassen sich hier durchaus dezente Parallelen zum regulären Werk erkennen, am deutlichsten im sehr schönen Pelican, das von einer verträumten E-Gitarre dominiert wird, die zu einem sehr dezenten Herzschlag-Beat erklingt. Zum anderen ist die Affinität von Dan Deacon zu experimenteller zeitgenössischer Komposition nicht neu. Er hat am SUNY Purchase Conservatory of Music studiert, mit dem Kronos Quartet, Sigur Rós und So Percussion gearbeitet und ist in Hochkulturtempeln wie dem Lincoln Center, L.A. Philharmonic und dem Barbican aufgetreten. Sogar Soundtrack-Beiträge gibt es von ihm schon, etwa für Francis Ford Coppolas Twixt.
Für den Rat Film lebt er diese Facette seines Schaffens aber so ausgiebig wie nie aus. Seine Musik begleitet den kompletten Dokumentarfilm von Theo Anthony. Im Erstlingswerk des Regisseurs geht es um den Kampf gegen die Rattenplage in Baltimore – seine Heimatstadt ebenso wie die von Dan Deacon – und die Verbindung, die sich daraus zu verstecktem Rassismus bei der Stadtplanung ableiten lässt. “It’s one of the most extraordinary, visionary inspirations in the recent cinema”, hat der New Yorker den Film gefeiert.
Bei der Musik hat Deacon eng mit dem Regisseur zusammengearbeitet. Als Einflüsse nennt er etwa die Soundtracks zu Under The Skin (von Mica Levi) und The Witch (von Mark Korven), außerdem das North Star von Philip Glass. Man hört das schon im Auftakt Redlining mit seinen grellen Klavierakkorden, ebenso in OCME, das keinen Beat und keine Melodie erkennen lässt, sondern nur Sounds, wie auch in Video Game, das – zumal im Vergleich mit den übrigen Tracks auf Rat Film – reichlich Spannung, Dramatik und Konfusion bietet, aus der sich dann eine halbwegs erkennbare Struktur herausbildet. Im Album-Abschluss Map Overlays könnte man glauben, er würde die Tasten des Klaviers erstmals ausprobieren, fasziniert vom Klang der einzelnen Töne.
Rat Poison scheint die Begleitung für einen sehr langsamen, sehr traurigen, aber einigermaßen friedvollen Tod zu sein. Harold ist typisch für das Album, weil es ebenso improvisiert wie faszinierend wirkt. Ein weiteres Kernelement ist die Verfremdung von Instrumenten bis zu einem Ausmaß, das ihre (analogen oder digitalen) Ursprünge kaum mehr erkennen lässt. Horn Phase enthält entgegen des Titels wohl keinerlei Bläser, sondern nur einen Synthesizer, dessen Töne für ein ziemliches Gewusel sorgen. Was in Calhoun erklingt, könnte ein Glockenspiel sein oder eine stark bearbeitete Harfe. In Harolds Lament hat man es vielleicht mit einem Cello zu tun, das schon bald so ähnlich wie ein Didgeridoo klingt. In Reed Clouds scheinen Bläser, vielleicht Saxofone, die Grundlage zu bilden, die dann ebenfalls mit reichlich Effekten, vor allem sehr viel Hall, versehen werden. In Seagull schließlich sind womöglich wirklich Möwen zu hören – und falls das nicht stimmt, dann würden Möwen bestimmt ziemlich gerne solch wundersame Geräusche machen können.