Künstler | Dan Deacon | |
Album | Time Trial | |
Label | Domino | |
Erscheinungsjahr | 2018 | |
Bewertung |
Nach dem Rat Film (2017) hat Dan Deacon erneut den Soundtrack für eine Kino-Dokumentation beigesteuert. Ging es damals um Diskriminierung in seiner Heimatstadt Baltimore (und um Ratten), zeigt diesmal schon ein Blick auf die Tracklist, dass wir es bei Time Trial mit einem Film über Radsport zu tun haben. Regisseur Finlay Pretsell hat dafür den Schotten David Millar als Protagonisten gewählt, der 2004 des Dopings überführt worden war, dann zur Tour de France und anderen Rennen zurückkehrte und von der Kamera bei diesem Comebackversuch begleitet wird.
„Der Film ist ein so eindringliches Erlebnis, sowohl während der Radrennen als auch in der Psyche von David Millar, und ich wollte, dass die Partitur einen passenden Ton trifft“, sagt Dan Deacon über seinen Ansatz für Time Trial. „Ich dachte darüber nach, wie sich David während dieser langen letzten Fahrten gefühlt haben muss – am Ende eines lebenslangen Traums zu sein, wissend, dass die Reise vorbei ist und es keine Tickets mehr für eine andere gibt.“
Nicht nur das Wort „Partitur“ in diesem Zitat zeigt: Wie schon beim Rat Film sollte man auch hier keinerlei Schnittmengen zu seinem Pop-Werk erwarten, wie er es etwa mit Gliss Riffer vorgelegt hat. Auf fast schizophrene Weise hat sich Dan Deacon hier eine vollkommen andere künstlerische Persona erschaffen, die sich in der Welt der zeitgenössischen elektronischen Komposition tummelt.
Das Thema ist dafür bestens geeignet. Auch wenn man die Bilder nicht sieht, werden die prägenden Komponenten des Profi-Radsports deutlich, vor allem in den Tracks, die schon über den Titel eine eindeutige Verortung in diesem Metier möglich machen. The Peloton beispielsweise könnte ein verfremdeter Opernchor sein, eingehüllt in Synthie-Gewänder. So wie der einzelne Fahrer im Hauptfeld bei einem Radrennen kaum auszumachen ist, so sind auch hier die einzelnen Quellen der Musik nicht zu erkennen, zugleich wird das Ergebnis ein sich scheinbar selbst strukturierender Organismus.
Die ersten Töne von Training sind ein tatsächlich schmerzhafter Schock, vielleicht die Entsprechung des Moments, wenn man einen völlig übermüdeten und ausgelaugten Körper erneut dazu bringen muss, sich Strapazen auszusetzen. The Breakaway könnte in der ersten Hälfte als Clubmusik funktionieren, es ist die berauschende Erfahrung des Fahrers: Ich bin schneller als die anderen, ich fahre ihnen davon, dem Sieg entgegen. In der zweiten Hälfte scheint sich der Song dann in den Orbit zu verabschieden (oder die Verfolger eben vollends abzuschütteln).
David’s Lament eröffnet den Soundtrack als Säuseln, das sich ganz behutsam annähert, ganz ähnlich funktioniert gegen Ende des Albums Charlie I Can’t Feel My Hands, das zu einer einzigen Welle aus Klang wird, die langsam näher kommt und sich dann bricht. Better Times ist rund um eine Melodie aufgebaut, die erst harmlos klingt und dann Kraft gewinnt, The Melee wird eisig, bombastisch und kakophonisch. Horns And Drums bietet genau das, was der Titel besagt, wobei die Bläser streng und die Trommeln ausgeflippt sind. Worse Times kreist um eine fast hypnotisierende Angst, die Synthies in Finlay’s Anthem scheinen miteinander ein Zwiegespräch zu führen, bis ein ziemlich spektakulärer Beat einsetzt.
Am besten zeigt wahrscheinlich The Dream, wie das Werk von Dan Deacon auf Time Trial funktioniert: Melodie und Atmosphäre dominieren, nicht Beat oder Struktur. Es geht darum, Möglichkeiten offen zu lassen und Impulse zu geben, statt ausformulierte Popsongs abzuliefern. Nicht zuletzt zeigt seine Musik auf diesem Soundtrack, wie professioneller Radsport sich wohl anfühlt: hart und einsam.