Danger Dan – „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“

Künstler Danger Dan

Danger Dan Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt Kritik Review
Mit „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ erfüllt sich Danger Dan einen Traum.
Album Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt
Label Antilopen Geldwäsche
Erscheinungsjahr 2021
Bewertung

Als fiktive Figur spricht Lou Reed im ersten Lied dieser Platte eine Empfehlung an Danger Dan aus, ganz wörtlich. „Lauf davon, so schnell du kannst / und fang irgendwo noch mal von vorne an.“ Die Zeilen gehen zurück auf eine Erkenntnis, die ihm der reale Lou Reed im Sommer 2012 vermittelt hat, wenn auch indirekt: Damals lebte Danger Dan noch in Aachen, kam ganz gut zurecht als Mitglied einer Reggae-Band, mit gelegentlichen Rap-Versuchen und Arbeit am Theater. Bei einem Trip nach Bordeaux erlebte er dann ein ziemlich enttäuschendes Konzert seines Helden: „Wir sind da tatsächlich mit 50 Leuten über den Zaun, durch den daraus ausgelösten Tumult habe ich aber all meine Freunde verloren. Danach kam ich mir ein bisschen verloren vor. Ich wollte Velvet Underground sehen, aber davon war nicht mehr viel übriggeblieben.“

Die Szene des nicht mehr allzu inspirierten Künstlers, der einst Bahnbrechendes geschaffen hatte und nun (knapp anderthalb Jahre vor seinem Tod) bloß noch ein Schatten war, brachte auch Danger Dan ins Grübeln: Bin ich zufrieden mit dem, was ich tue? Und will ich es die nächsten 50 Jahre noch machen? Die Antwort lautete: Nein. Was daraus wurde, ist bekannt: Der Weg von Aachen über Bordeaux führte nach Berlin, dort wurde er als Mitglied der Antilopen Gang zu einem der wichtigsten Vertreter des aufrechten, engagierten Deutschrap.

Lauf davon thematisiert diesen Aufbruch, der damit beginnt, das süße Gift von Routine und Komfortzone rechzeitig als solches zu erkennen, und dann den Mut zu haben, daraus auszubrechen. Die Form dafür ist angesichts des Kontexts geradezu spektakulär: Das Stück ist eine Klavierballade im Stile von Liedermachern wie Franz Josef Degenhardt, Reinhard Mey oder Hannes Wader – und genau diesen Sound findet man durchweg auf Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt. „Ich kenne diese ganzen alten Platten von meinen Eltern. Wader, Degenhardt, Konstantin Wecker, aber auch jemanden wie Bernie Conrads habe ich als Kind eher zwangsläufig gehört. (…) Seit ich mir meine Musik selbst ausgesucht habe, hatte ich damit eigentlich abgeschlossen. Trotzdem kenne ich diese Musik und ihre Sprache natürlich und weiß, wie das geht“, sagt Danger Dan.

Dass diese Prägung nun in einem eigenen Album mündet, hat zwei Ursachen. Die erste lautet, dass diese Platte schon immer in ihm schlummerte und herauswollte, seit er als Sechsjähriger mit dem Klavierspielen begann. „So ein Album zu machen, hatte ich also schon sehr lange vor, vielleicht schon immer. Ich wollte immer schon so einfache, schöne Lieder schreiben. Schnulzen gewissermaßen, keine Comedy“, erklärt der 37-Jährige. Die zweite ist die Corona-Zwangspause, zu der die Antilopen Gang inmitten der Aufbruch, Aufbruch-Tournee gezwungen wurde. Statt das fürs Live-Set genutzte Klavier so wie die anderen Instrumente einlagern zu lassen, nahm Danger Dan es mit nach Hause, spielte wieder mehr und entwickelte spontane Ideen wie den Corona-Song Nudeln und Klopapier, der nun nicht auf dem Album enthalten ist, aber mit über einer halben Million YouTube-Aufrufen zeigte, was mit diesem Konzept möglich ist.

In der Tat funktioniert die Transformation vom im Zweifel auf Teufel komm raus provozierenden oder ironisch überhöhten Rapper zum feingeistigen Chansonnier blendend, denn die Stärken von Danger Dan bleiben auch in dieser Inkarnation erhalten, wie etwa der Titelsong Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt zeigt: Er ist schlau, informiert und reflektiert, die Empörung und Sorge sind ebenso echt wie die Empathie. Der Verweis auf die Narrenfreiheit, der im Titel steckt, wird vor allem genutzt, um kein Blatt vor den Mund zu nehmen.

Auch in Ode an den Mord fließt die Wut ebenso subtil in die Klaviertasten wie in einen kreativen Text. In Ich verprügelte die Sextouristen in Bangkok wird Penelope Cruz zur linken Co-Aktivistin. Ingloria Victoria enthält Erinnerungen an die schlimme Zeit am Gymnasium in Aachen, das sich heute nichtsdestotrotz mit seinem Namen als prominenter Ex-Schüler schmückt. Das schreckliche Buch zeigt, dass die Realität des Jahres 2021 in einigen Ausprägungen so surreal geworden ist, dass man sie nicht einmal als Roman-Manuskript glauben würde. Beginne jeden Tag mit einem Lächeln verhöhnt zum Abschluss des Albums Erbauungsmusik und Esoteriksprüche durch eine komplett wahnsinnige zweite Stimme und ein schmerzhaft kakophonisches Finale.

Wichtige Beiträge zur musikalischen Umsetzung haben Charlotte Brandi (ihr Akkordeon ist unter anderem im schrägen Topf und Deckel zu hören) und Mine geleistet, die beispielsweise die spektakulären Streicher im eher assoziativen Tesafilm komponiert und arrangiert hat. Daneben glänzt Danger Dan hier immer wieder auch in den eher romantischen Passagen als toller Texter, etwa in Trotzdem, das auf sehr clevere Weise die Rap-typische (und bei ihm natürlich augenzwinkernde) Arroganz einfließen lässt, oder in Eine gute Nachricht, dem wahrscheinlich besten Lied der Platte. Darin wird die Zweisamkeit als Trost inmitten des unvermeidbaren Untergangs besungen, und man kann durchaus an Rio Reiser denken bei diesem Mix aus zärtlicher Bedürftigkeit und großem Fatalismus.

„Die Texte sind wahnsinnig schwierig“, gesteht Danger Dan. „Als Rapper kannst du im Grunde alles sagen, da löst eine Zeile die andere ab und selbst die kitschigsten Lines wirken irgendwie ironisch. Wenn du aber alleine am Klavier sitzt, bekommen die Worte viel mehr Gewicht. Einige Sachen gehen dann einfach nicht mehr.“ Das ist auf diesem Album phänomenal gut gelöst. Worauf er vielleicht am meisten stolz sein kann: Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt wäre in der aktuellen deutschen Musiklandschaft auch dann ein erstaunliches Album, wenn es nicht von einem bekannten Rapper käme.

Das Video zu Lauf davon erzählt auch von der Liebe zum Klavier.

Website der Antilopen Gang.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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