Schon den zweiten Abend in Folge spielt Danger Dan an diesem Freitag im Leipziger Felsenkeller. Nicht nur deshalb hat das Konzert eine sehr familiäre Atmosphäre: Auf den Stühlen im Ballsaal (es gibt Klaviermusik, also sitzt man) liegen Einladungen zur Geburtstagsfeier des Künstlers im Juni in Berlin. Während der Show werden Erinnerungen ausgetauscht an vergangene Begegnungen, bei Videodrehs oder Konzerten der Antilopen Gang in Leipzig. Danger Dan gibt zu Beginn artig all jenen eine Einführung („Ich bin der Daniel. Sich als 39-Jähriger noch als Danger Dan vorzustellen, klingt irgendwie lächerlich“), erläutert sicherheitshalber noch einmal, wie es dazu kam, dass er nun mit einem Piano-Programm statt mit Rap auf Tour ist, und teilt mit, was es zum Mittagessen gab (Rotkohl in Connewitz). Das Publikum steht eine Stunde vor Beginn des Konzerts brav draußen in der Schlange, klatscht an den richtigen Stellen, singt manchmal leise mit und ist dann halbwegs pünktlich für Böhmermann wieder zuhause.
So einig sich hier alle sind und so groß offenkundig die Vorfreude ist, können angesichts des Settings und der Ausgangssituation dennoch Zweifel am Gelingen des Konzerts erlaubt sein. Fans der Antilopen Gang, die auf Stühlen sitzen müssen? Ein Mann in bordeauxfarbener Bomberjacke mit farblich passenden Doc Martens, der am Piano sitzt? Eine zu drei Vierteln leere Bühne? Ein Repertoire, das nur ein einziges Album umfasst? Kann das gutgehen? Wird das nicht zwangsläufig, nunja, langweilig? Danger Dan selbst räumt anfangs ein, dass er solche Skepsis gut nachvollziehen kann: „Ein Mann sitzt am Klavier und singt traurige Lieder – dieses Konzept finde ich scheiße.“ Aber natürlich hat er mittlerweile oft genug erlebt, wie wunderbar all das funktionieren kann, und er beweist es auch an diesem Abend wieder auf spektakuläre Weise, für das Publikum ebenso wie für ihn selbst.
„Ich bin aufgeregter als gestern“, gesteht er eingangs, am Ende der Show sagt er dann „Ich bin leergefühlt“, weil er so dankbar dafür ist, wie begeistert die Fans diese Lieder aufnehmen, und weil ihm natürlich nach wie vor klar ist, wie unwahrscheinlich diese Wendung seiner Karriere und der Erfolg von Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt war. Ohne die Zwangspause durch die Pandemie hätte er das Piano im Zebra-Look niemals nach Hause geholt, hätte dort niemals diese Songs geschrieben, hätte nicht zweimal in Folge den Felsenkeller ausverkauft und auch nicht ein zweites musikalisches Standbein erschaffen, das womöglich länger tragen wird als die Karriere mit den anderen Jungs der Antilopen Gang. „Die Geister die ich rief“, nennt Danger Dan das in einer Ansage, als er über sein Verständnis von Militanz spricht. Und dieser Spruch ist in der Tat hilfreich für das Verständnis seiner Musik und für das Gelingen dieser Show. Wenn man ganz genau aufpasst, kann man an diesem Abend im Felsenkeller nämlich die Geister von acht Personen erkennen, und Shitesite hat natürlich aufgepasst und sie für euch identifiziert.
Hildegard Knef: Zu den Klängen von Für mich soll’s rote Rosen regnen kommt Danger Dan auf die Bühne. Das ist zum einen eine Klarstellung: Spätestens mit diesem Auftakt ist klar, dass es heute um Singen statt Skills geht, um Poesie statt Punchlines, um Chanson statt Crew. Zum anderen ist es ein Hinweis darauf, dass diese Musik keineswegs so sehr ein Unikum ist, wie sie anno 2022 vielleicht wirken könnte. Danger Dan verortet sich damit in einer Zeit, in der die Konstellation „Mensch am Klavier singt Lieder vor jungem Publikum“ nicht exotisch war, sondern der Normalfall, und stellt sich in die Tradition von Liedermacher*innen, die schon immer zu seiner musikalischen DNA gehört haben, auch wenn er das über lange Zeit nicht ausgelebt hat.
Lou Reed: Der Gründer von Velvet Underground wird in Lauf davon besungen, mit dem das Konzert beginnt. Er bleibt auch danach so etwas wie ein spiritueller Mahner, der stets denselben Hinweis hat: Dem Leben (und auch dem eigenen musikalischen Schaffen) grundsätzlich aus der Perspektive einer kritischen Opposition zu begegnen, ist keine schlechte Idee. Es ist ein Gedanke, den Danger Dan schon mit der Antilopen Gang verinnerlicht hatte, und den er letztlich mit dem Klavierprogramm auf die Spitze treibt. Dazu passt auch, dass er fünf Songs neu arrangiert, die nicht auf dem aktuellen Album sind (der älteste davon stammt aus dem Jahr 2008), aber im neuen Klanggewand ebenfalls bestens funktionieren.
Georg Kreisler: Dessen Lied Meine Freiheit, deine Freiheit spielt Danger Dan nach einer knappen halben Stunde in Leipzig und benennt den österreichischen Komponisten dabei als großes Vorbild. Noch deutlicher als mit Hildegard Knef zeigt er hier Kontinuitäten, und vor allem zeigt er, wie aktuell angesichts all der Spinner auf Montagsdemos und anderswo der Hinweis ist, dass Freiheit nicht mit Egoismus verwechselt werden sollte.
NMZS: Das 2013 verstorbene Mitglied der Antilopen Gang ist zwischen den Zeilen auch hier sehr präsent. Sein Tod war es nicht nur, der den verbliebenen Mitgliedern nach einmal einen Kickstart für die ganze HipHop-Sache gegeben hat. Er hat Danger Dan offenkundig auch vor Augen geführt, wie schnell alles vorbei sein kann und wie wenig selbstverständlich es ist, all das zu erleben, was sein Musikerdasein ihm beschert. Er weiß, wie viel zusammen kommen muss, damit sich die Entscheidung gegen eine akademische Laufbahn oder eine bürgerliche Existenz und für das Leben als Künstler nicht rächt. Diese Demut ist in seinen Songs ebenso spürbar wie in den Ansagen und sie sorgt auch dafür, dass die an und für sich anmaßende Position eines Mannes, der allein auf der Bühne über die Lage der Welt singt, hier niemals selbstgerecht wirkt.
Hans Drach: Von ihm stammt der 1935 verfasste Text zu Mein Vater wird gesucht. Ein kleiner Junge erzählt darin, wie sein Vater von der SA verfolgt wird, wie die Familie schikaniert und geschlagen wird, um den Aufenthaltsort des Papas zu verraten. Es ist eine wahre Geschichte: Der Vater von Hans Drach war ein führender Sozialist, er selbst floh vor den Nazis in die Sowjetunion, wurde allerdings 1939 an die Gestapo ausgeliefert und kam 1941 im KZ ums Leben. Danger Dan hat Mein Vater wird gesucht als Beispiel für Lieder ausgegraben, die zwischen 1933 und 1945 entstanden und heute in Deutschland weitgehend vergessen sind. Sein Appell dazu lautet: Die Erinnerung an NS-Herrschaft und Holocaust einfach auszulöschen, so wie viele der damals entstandenen Lieder ausgelöscht wurden, ist das gefährlichste und dümmste, was unser Land tun könnte. Im Felsenkeller wird das Lied als sehr anrührende Instrumentalversion von einem Streicherquartett rund um Jonathan Heck umgesetzt, das dann auch die folgenden Lieder begleitet.
Rosa Luxemburg: Sie hat 1913 die prophetischen Worte „Solange das Kapital herrscht, werden Rüstungen und Kriege nicht aufhören“ gesagt, und zwar genau auf der Bühne, auf der jetzt Danger Dan steht. Natürlich kennt er diesen historischen Bezug und benennt ihn gegen Ende des Konzerts auch ehrfürchtig. Und auch wenn es sicherlich zu hoch gegriffen ist, ihn als politischen Erben dieser Arbeiterkämpferin zu sehen, hat er natürlich die Rolle als Mahner und Augenöffner übernommen.
Rio Reiser: Man kann im Kopf von Ton Steine Scherben den Geist der Rebellion verkörpert finden, den auch die Lieder von Danger Dan haben. Besonders deutlich wird das beim letzten Song des Abends: Da gibt es den Oi-Punk-Kracher Deutschland muss sterben von Slime in einer sensationellen Version mit Klavier und Streicherquartett. Noch mehr passt der Vergleich zu Rio Reiser aber, weil live noch offensichtlicher wird, dass die Lieder von Danger Dan nicht nur intelligent und provokant sind, sondern eben auch romantisch sein können, rührend, zum Heulen schön. Eine gute Nachricht macht das besonders deutlich und ist ein absolutes Highlight.
Hagen Rether: Anders als die anderen sieben Personen in dieser Liste lebt der Kabarettist noch, man darf also streng genommen vermuten, dass sein Geist noch nicht durch die Welt schwebt und sich manchmal in den Felsenkeller verirrt. Die Paralellen zu politischer Piano-Satire (etwa in Das schreckliche Buch) oder auch der schieren Lust auf Klamauk am Klavier, wie man das gelegentlich etwa auch bei Rainald Grebe erleben kann (Ölsardinenindustrie ist ein Beispiel dafür), sind beim Konzert in Leipzig trotzdem erstaunlich groß. Denn nicht zuletzt schafft es Danger Dan durch diese Verwandtschaft auch, inmitten des Settings „Mann am Klavier mit traurigen Liedern“ für genug Entertainment und sogar Interaktion zu sorgen. In Nudeln und Klopapier darf das Publikum einen Teil des Texts füllen, vor der Ode an den Mord wird ein Papierbogen mit Zeichnungen verschiedener Mordmethoden durch die Reihen gereicht, am Ende von Trotzdem darf der Saal im We Will Rock You-Stil kollektiv mit den Füßen trampeln.
So wird der Abend in Leipzig tatsächlich sehr kurzweilig, zum das reguläre Set abschließenden Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt gibt es stehende Ovationen, sogar ein paar Leute, die direkt vor der Bühne im Felsenkeller tanzen. Auf dem Heimweg kann man noch einmal darüber staunen, wie wenig man noch vor drei Jahren mit solcher Musik von diesem Künstler gerechnet hätte, zumal mit so viel Erfolg. Man kann aber auch einfach beGEISTERt sein.
Die komplette Setlist von Danger Dan in Leipzig:
1 Lauf davon
2 Nudeln und Klopapier
3 Ode an den Mord
4 Topf und Deckel
5 Ingloria Victoria
6 Das schreckliche Buch
7 Meine Freiheit, deine Freiheit (Georg Kreisler)
8 Mein Vater wird gesucht (Hans Drach)
9 Ölsardinenindustrie
10 Ich verpügelte die Sextouristen in Bangkok
11 Eine aufs Maul
12 Private Altersvorsorge
13 Private Altersvorsorge 2
14 Mingvase
15 Trotzdem
16 Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt
Zugabe 1 Eine gute Nachricht
Zugabe 2 Tesafilm
Zugabe 3 Deutschland muss sterben (Slime)