Künstler | Danger Dan | |
Album | Reflexionen aus dem beschönigten Leben | |
Label | JKP | |
Erscheinungsjahr | 2018 | |
Bewertung |
Fangen wir mit den drei wichtigsten Fragen an. Erstens: Wird das erste Soloalbum von Danger Dan die Existenz der Antilopen Gang gefährden, bei der er seit 2009 aktiv ist? Zweitens: Taugt Reflexionen aus dem beschönigten Leben etwas? Drittens: Warum zur Hölle macht der Typ mit 35 plötzlich eine Soloplatte?
Zu 1: Klares Nein. So wenig Egotrip wie hier war selten auf einem Solodebüt. Daniel Pongratz, so der bürgerliche Name von Danger Dan, beackert zwar musikalisch ein noch etwas weiteres Terrain als mit seiner Band, von einem Bruch mit der Antilopen Gang kann aber keine Rede sein. In Drei gegen einen sind die anderen beiden Jungs hier sogar als Gäste zu hören, die Botschaft des Tracks bestätigt den Befund, dass zwischen ihnen alles in Ordnung ist. Sie lautet: Wir sind bessere Rapper und bessere Menschen, und das wird nicht als Prahlerei behauptet, sondern einfach auf Basis von Fakten konstatiert, quasi als Naturgesetz.
Zu 2: Klares Ja. Reflexionen aus dem beschönigten Leben ist smart, kurzweilig und authentisch. Es dürfte keinen Fan der Antilopen Gang geben, der an dieser Platte nicht seinen Spaß haben wird, zugleich entwirft Danger Dan hier einen Klangkosmos, der fast keinerlei Kenntnis seines bisherigen Werkes voraussetzt, das gilt auch für die EP Coming Out, mit der er vor zehn Jahren erstmals solo agierte. Zugleich ist das Spektrum etwas weiter als beim Stamm-Trio. Es reicht von Mingvase, das nahe an Rock-Ästhetik ist und die weit verbreitete Mentalität von „Bloß nichts hinterfragen!“ angreift, bis hin zum leichtgewichtigen Die Grundvoraussetzung, das zu Reggae-Beat von seinem Leben als arbeitsscheuer Slacker, überzeugter Faulenzer und bauernschlauer Taugenichts erzählt, sodass man sich fast an eine talentiertere Version von Der Wolf erinnert fühlen kann.
Zu 3: Auch darauf hat Danger Dan eine sehr überzeugende Antwort. Mit Anarchie und Alltag, ihrem dritten Album, hat die Antilopen Gang im vergangenen Jahr die Spitze der deutschen Charts erreicht. Auch wegen des damit verbundenen Trubels hat Danger Dan eine Psychotherapie begonnen. „Im Rahmen der Anamnese sollte ich meine wichtigsten biographischen Eckpunkte benennen. Keine leichte Aufgabe. Ich hatte mittlerweile so viele Lebensläufe gefälscht und beschönigt, dass ich selbst nicht mehr sicher sagen konnte, welche Version denn am ehesten der Wahrheit entspricht“, sagt er. Bei der Recherche in der eigenen Vergangenheit begegnete ihm allerdings ein Track namens Private Altersvorsorge von der Coming Out-EP mit den Zeilen „Hallo Ich in 10 Jahren, ich hoffe es geht dir gut.“ Diese Entdeckung wurde zur Initialzündung für die Reflexionen aus dem beschönigten Leben, „auf denen ich vergeblich versuche mich mir selbst zu erklären“, wie Danger Dan sagt. Er schrieb einen Antwortsong mit einem Rückblick auf das frühere Ich, die damaligen Erwartungen und den Weg, den die Dinge dann genommen haben. Ein Ergebnis dieses Zwiegesprächs ist auch: Ich bin noch derselbe, ich bin mir treu geblieben.
In der Tat kommt die Platte einer musikalischen Autobiographie sehr nahe, auch wenn man nicht um den turbulenten Lebenslauf von Danger Dan weiß. Er besuchte (angeblich) zehn verschiedene Schulen, war danach Anzugsverkäufer, Tontechniker, Marihuanazüchter, Zeitungsbote, Betreuer in einem Kinderheim, Lehrer in einem Zirkus, Statist in einer Seifenoper und Musikpädagoge in einem Kinder- und Jugendhilfe-Projekt. Dass er mit diesem unsteten Werdegang längst seinen Frieden gemacht hat, zeigt ein Song wie Seit du gesagt hast: Er ist Loser und Außenseiter, aber er ist okay damit. Auch der Album-Auftakt Eine aufs Maul schaut schonungslos auf die eigenen Schwächen: Attackiert wird hier – ausgerechnet zu Piano- und Streicherklängen – das Alter Ego, der innere Schweinehund, diese unberechenbare Seite an uns, die der anderen Hälfte das Leben so schwer macht, dass man sie manchmal einfach zusammenschlagen möchte.
„Wenn man so will, ist das Album der missglückte Versuch, eine Art Standortbestimmung in meinem Leben vorzunehmen, der sich selbst aber nur durch sein Scheitern gerecht werden konnte“, fasst Danger Dan diesen Zwittercharakter zusammen. In den zwölf Tracks der selbstproduzierten Platte erkennt er sehr treffend „ein Spannungsfeld, das sich in inhaltlicher Widersprüchlichkeit und musikalischer Inkonsequenz verlieren musste, damit ich mich irgendwo darin wiederfinden kann“.
Das fördert erstaunlich erwachsene Momente zutage wie den Album-Schlusspunkt Die Verwandlung, der tatsächlich auf Kafka anspielt und auf „die Angst, so zu sein wie du warst“. Sand in den Augen thematisiert Genderdebatte, Gleichberechtigung, MeToo und Emanzipation und wie sich der Blick darauf verändert, wenn man neuerdings Vater einer Tochter ist. „Diese ganze Lustigkeit kotzt uns an“, singt er in Wir lachen uns tot und rechnet dabei ab mit der Ironie als Flucht, wenn es gilt, sich wirklich zu etwas zu bekennen, Betroffenheit auszuhalten oder Idealismus ohne Vorbehalte und doppelten Boden zu leben.
In Mein Heroin wird die Droge zur (etwas misslungenen) Metapher für die einzig wahre Liebe, mehr noch für die ultimative Leidenschaft, nach der man sich immer weiter sehnt, so sehr und so oft man auch versucht, von ihr loszukommen und sich mit Methadon (in diesem Bild also: mit anderen Frauen) abzulenken. Piss in den Käfig behandelt Frust und Verzweiflung, die sich auch mal destruktiv Bahn brechen – das klingt manchmal plausibel, manchmal wie die krude Attitüde von Amokläufern. Das heimliche Highlight von Reflexionen aus dem beschönigten Leben ist Die Prinzentragödie über die Band aus Leipzig, die Danger Dan mit 14 geliebt hat und heute eher peinlich findet. Sebastian Krumbiegel (!) höchstselbst berichtet darin als Gaststar, er habe die Sache mit „Du musst ein Schwein sein“ vielleicht missverstanden und „dann eben optisch umgesetzt“. Mehr Selbstironie wird man in diesem Jahr, vielleicht in diesem Jahrzehnt, nicht mehr erleben.