Das bessere Leben

Film Das bessere Leben

Das bessere Leben Review Kritik
Anne (Juliette Binoche) links recherchiert über den Nebenjob von Charlotte (Anaïs Demoustier).
Originaltitel Elles
Produktionsland Frankreich, Deutschland, Polen
Jahr 2011
Spielzeit 94 Minuten
Regie Małgorzata Szumowska
Hauptdarsteller Juliette Binoche, Joanna Kulig, Anaïs Demoustier, Louis-Do de Lencquesaing
Bewertung

Worum geht’s?

„Seit du an dieser Geschichte arbeitest, bist da ganz anders“, wirft Patrick seiner Ehefrau Anne vor. In ein paar Stunden kommt sein Chef zu Besuch, und es gilt, das Bild einer harmonischen, bürgerlichen Familie zu transportieren. Die Dame des Hauses soll dabei natürlich einen aufgeräumten, charmanten Eindruck machen. Doch Anne hat neben ihrem Job als Journalistin nicht nur den stressigen Haushalt zu bewältigen, sondern ist in der Tat aufgewühlt von den Ergebnissen ihrer aktuellen Recherche. Sie schreibt über zwei Stundentinnen, die sich prostituieren und über einen Escort-Service ihr Studium finanzieren. Charlotte, die sich Lola nennt, und Alicja, die aus Polen nach Paris gekommen ist, faszinieren sie nicht nur wegen ihrer Erfahrungen mit diesem Nebenjob. Sondern tatsächlich wirken sich die Begegnungen und langen Gespräche mit den beiden jungen Frauen auch auf ihre Ehe aus, sogar auf ihren gesamten Blick aufs Leben.

Das sagt shitesite:

Elles lautet der Originaltitel dieses Films. Das ist nicht nur clever, weil Anne für die Zeitschrift Elle arbeitet, sondern weil in diesem Plural verschiedene Perspektiven von und auf Weiblichkeit deutlich werden, die hier letztlich zentral sind.

Die Handlung von Das bessere Leben könnte man in einem Satz zusammenfassen, dass daraus trotzdem ein interessantes Drama wird, liegt vor allem an Juliette Binoche. Oft ohne Make-Up, unfrisiert und mit geröteten Augen spielt sie eine Frau wie kurz vor dem Zusammenbruch. Der Haushalt ist anstrengend, der jüngere Sohn hat nur Videospiele im Kopf, der ältere hat keine Lust mehr auf Schule, der Vater ist pflegebedürftig und der Ehemann könnte genauso gut eine Schaufensterpuppe sein, so wenig ausgeprägt ist die Kommunikation zwischen beiden. Als Anne die beiden jungen Prostituierten interviewt, erkennt sie, dass auch die Männer in ihrer Familie wie selbstverständlich über sie verfügen, allerdings ohne dass sie dafür die nötige Anerkennung bekommt. Erst dadurch wird ihr klar, wie lange sie sich schon nach mehr Eigenständigkeit sehnt. Es geht ihr nicht darum, die Oberhand zu gewinnen, aber sie will sich Respekt verschaffen und ihre Position innerhalb ihrer Ehe (auch in sexueller Hinsicht) und ihrer Familie neu definieren. Wie kann ich mich als Frau entfalten? Durch die Begegnung mit Charlotte und Alicja fallen ihr auf diese Frage plötzlich ganz neue Antwortmöglichkeiten ein.

Die Art und Weise, wie die beiden Escort-Mädchen gezeichnet werden, ist der zweite Grund dafür, dass dieser Film nicht im Klischee landet. Keine der beiden ist ein ausgebeutetes Opfer, wie der eine Topos für Prostituierte lautet, das „gefallene Mädchen“. Keine von beiden ist nyphoman oder in erster Linie an einer maximalen sexuellen Entfaltung interessiert, wie es für solche Figuren ebenfalls gerne unterstellt wird. Ihr Ansatz ist stattdessen ebenso nüchtern wie selbstbestimmt: Sie lassen sich für Sex bezahlen, weil sie Geld brauchen für ihren erträumten gesellschaftlichen Aufstieg. Sie genießen es, sich ihre Kunden aussuchen zu können und in der Hand zu haben. Sie fühlen sich nicht ausgenutzt und sehen auch keinen Grund für Scham, sondern definieren ihren Escort-Job als Möglichkeit, ihren eigenen Weg zu gehen und ihre Ziele zu erreichen, eben Das bessere Leben für sich selbst zu erschaffen.

Ihre Tragik liegt zum einen darin, dass die Unabhängigkeit, die sie sich einreden, natürlich brüchig ist. Beide berichten der Journalistin von erniedrigenden Erfahrungen, beide müssen erhebliche Anstrengungen unternehmen, um ihr Doppelleben zu organisieren. Die eine hält ihre Escort-Tätigkeit vor ihrem Freund geheim, die andere will vor ihrer Mutter nicht verraten, woher plötzlich das viele Geld kommt. Zum anderen ist offenkundig: Das bessere Leben ist ein höchst trügerisches Ziel. Anne ist in diesem vermeintlich längst angekommen. Sie hat keinerlei Geldsorgen, einen interessanten Job, soziales Prestige. Aber ihr Leben fühlt sich festgefahren an, hohl, monoton, einsam und natürlich auch ohne das erotische Prickeln, das Charlotte und Alicja erleben, wenn sie die Fantasien ihrer Kunden erfüllen.

Eine Schwäche des Film sind die vielen Sprünge zwischen Interviewsequenzen, Annes Alltag in der leeren Luxuswohnung und den Szenen, in denen als Rückblenden die Begegnungen von Charlotte und Alicja mit ihren Freiern beschrieben werden. Ein paar dieser Sprünge sind unnötig, ebenso wie einige weitere Szenen (etwa Alicjas flüchtige Begegnung mit einem Studenten kurz nach ihrer Ankunft in Frankreich oder Annes Besuch bei ihrem Vater im Krankenhaus). Sie sollen wohl den Eindruck von Überforderung und Verwirrung betonen, der aber ohnehin omnipräsent ist.

Ebenso irritiert die letztlich nicht vorhandene Positionierung. Das bessere Leben, in allen wichtigen Positionen (Hauptrollen, Regie, Drehbuch und Produktion) ausschließlich von Frauen erschaffen, hat wahrscheinlich einen feministischen Ausgangspunkt, lässt aber weder eine Identifikation mit der liberal-pragmatischen Sicht der Studentinnen noch mit der konservativ-zögernden Perspektive der Journalistin erkennen. Prostitution als Gewerbe, Vergewaltigung als Berufsrisiko, Hausfrauen als Gratis-Personal – all das wird nicht kritisiert, sondern hingenommen. Viel eher als die schwierige Position von Frauen wird dabei die Tendenz unserer Gesellschaft thematisiert, Geld als Währung für alles zu betrachten: Status, Körper, Anerkennung, Aufmerksamkeit. Das gilt für die Stundensätze der Studentinnen ebenso wie für den bourgeoisen Lebensstil von Anne. Er ist es letztlich, der sie daran hindert, auszubrechen – weil sie weiß, dass sie wiederum Geld brauchen wird, um ihre Unabhängigkeit umsetzen zu können, weil sie auch erkennt, dass sie auf dem Markt, auf dem Charlotte und Alicja agieren, als deutlich ältere Frau mit weitaus größeren moralischen Bedenken über weitaus weniger Kapital verfügt. Auch das macht diese Figur allerdings reizvoll und noch mehr zum Fundament, auf dem dieser Film aufbaut: Anne ahnt, wie gefährlich die Ideen und Sehnsüchte sind, die in ihr durch die Begegnungen mit Charlotte und Alicja wachsen. Denn sie umsetzen zu wollen, stellte in letzter Konsequenz ihre gesamte Existenz infrage.

Bestes Zitat:

„Ich glaube, das sind nicht einfach nur Nutten. Jedenfalls nicht mehr als andere.“

Der Trailer zum Film.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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