Künstler*in | Das Lunsentrio | |
Album | 69 Arten den Pubrock zu spielen | |
Label | Tapete | |
Erscheinungsjahr | 2021 | |
Bewertung | Foto oben: Tapete Records / Karin und René Frauenkron |
Räumen wir erst einmal mit den Lügen auf, die diese Band mit ihrem dritten Album in die Welt setzt.
Erstens: Das Lunsentrio ist keineswegs zu dritt, sondern ein Quintett bestehend aus Hank Schmidt in der Beek (Gesang), Nick McCarthy (jawohl, ehemals Gitarrist von Franz Ferdinand, hier jetzt für die Tasteninstrumente zuständig), Sebastian Kellig (Schlagzeug), Albert Pöschl (Bass) und Martin Tagar (Gitarre). Dazu kommen auf dieser Platte noch acht Gastmusiker.
Zweitens: Statt 69 Arten den Pubrock zu spielen gibt es auf diesem Album genau 13 Lieder. Mindestens fünf davon sind eindeutig kein Pubrock, stattdessen gibt es beispielsweise einen Disco-Track über türkisches Gebäck (Sieben Simitringe), gleich zweimal so etwas wie Dada-Ska (Aufruf), eine wundersame Polka mit türkischem Text (in Insan sind Gogol Bordello nicht fern, obwohl das Lied eine Coverversion von Kobra aus Berlin ist) und einen Reggae für Peter-Paul Zahl, der sich als Spaziergang mit nummerierten Stationen durch das literarische Werk dieses Underground-Dichters und -Verlegers erweist.
Drittens: Pubrock evoziert als Genre natürlich Gedanken an solides Handwerk, wenig Einfallsreichtum und ein Element von Beliebigkeit. Nichts davon findet man hier. Stattdessen bietet Das Lunsentrio eine manchmal gut kaschierte, aber insgesamt unüberhörbare Musikalität, viel Lust auf Abseitiges und manchmal gar auf Provokation, vor allem aber viel Charakter und Individualität. Die Instrumentierung und die gerne feuchtfröhliche Atmosphäre auf 69 Arten den Pubrock zu spielen würden auch zu Erdmöbel passen, ebenso wie die Attitüde, dass dies Musik im Zweifel eben (nur) für Eingeweihte ist. Speis und Trank sind beliebte Themen, ebenso gerne wird in Vergessenheit geratenen Figuren der Gegenkultur gehuldigt.
Ein Beispiel für Ersteres ist der Opener Die Offenbacher Küchenzerstörung, das wie ein Kochrezept beginnt und dann Chaos in der Küche zelebriert. Es ist eine herrliche Vorstellung, wie eine ganze Arena (oder eben wenigstens ein ganzes Pub) am Ende den Refrain von „Das ist die Offenbacher Küchenzerstörung“ mitsingt, sollte Das Lunsentrio demnächst Gelegenheit haben, das Lied live aufzuführen. Die Kultfiguren haben beispielsweise Im Irish Pub ihren Platz: Sänger Hank Schmidt in der Beek platziert darin etliche Schüttelreime über die Schwierigkeit, zu einer festgesetzten Deadline einen Liedtext abzuliefern – inklusive Anspielung auf ein Zitat aus einem Film mit Werner Enke, der wiederum einst von der Liga der gewöhnlichen Gentlemen besungen wurde, die man in vielerlei Hinsicht durchaus als geistesverwandt betrachten darf.
Der Mann am Siegestor lebt von einer gemütlichen Verspieltheit und Lust auf Skurrilitäten im Text wie Die Höchste Eisenbahn, der Song besteht aus Versatzstücken der Lyrik von Erich Mühsam, wie auch das letzte Slime-Album, das hier natürlich ebenfalls erwähnt wird. Gertrudisplatz (Oi! The Tresen) benennt legendäre Orte aus London und Berlin, genau dazwischen liegt dieser Platz in Wattenscheid, der vielleicht nicht so berühmt ist, aber eben Heimat.
Manchmal scheint Das Lunsentrio mehr Lust darauf zu haben, einfach Musik zu machen, als wirklich etwas Relevantes zu sagen zu haben (Nix ist bei strenger Betrachtung schon das zweite Lied des Albums, das eigentlich davon handelt, dass ihnen kein Text einfällt), umso mehr überrascht Das weiche Wasser (eine Coverversion des Songs von Die Bots aus dem Jahr 1981) als Anti-Atomwaffen- und Anti-Kriegs-Lied kurz vor Ende des Albums. In den Zillertaler Alpen kombiniert eine Strophe als kitschige Klavierballade mit einem sehr kraftvollen Refrain, passenderweise greift im Text dann auch die Natur all jene an, die sie gerne zu Kunst machen wollen.
Das beste Lied von 69 Arten den Pubrock zu spielen hat sich Das Lunsentrio für den Schluss aufgehoben. Die ewige Apfelweinschänke Pompidou ist fast fünfeinhalb Minuten lang und vereint sehr harmonisch die Stärken dieser Band: Geselligkeit und Lokalkolorit, Eigensinn und Fantasie.