Künstler*in | Das Paradies | |
Album | Transit | |
Label | Grönland | |
Erscheinungsjahr | 2022 | |
Bewertung | Foto oben: (C) LaSoundCheck / Frederike Wetzels |
Es gibt einen erstaunlichen Effekt, wenn man Transit mit Kopfhörern hört. Immer wieder denkt man kurz, da sei ein Geräusch irgendwo im Raum, nach dem man kurz schauen sollte. Eine klappernde Tür, ein vertrauter Mensch, ein elektronisches Gerät, das sich aus Versehen selbst eingeschaltet hat. Drückt man dann auf „Pause“ und nimmt die Kopfhörer ab, bemerkt man: Diese Geräusche kommen gar nicht aus der Umgebung, sondern aus den Kopfhörern selbst. Sie sind Teil der Musik. Mehr noch: Sie sind vielleicht sogar die Zutat, die das zweite Album von Das Paradies so besonders macht.
„Die klangliche Dichte in den Songs ist nach und nach zum Konzept geworden. Es ging darum, die Hierarchie zwischen den Instrumenten aufzubrechen. All diese Töne und Geräusche sollten sich gegenseitig festhalten“, sagt Florian Sievers, der Mann hinter Das Paradies, über seinen Ansatz für die heute erscheinende Platte und liefert damit wohl zugleich die Erklärung für den erwähnten Kopfhörer-Effekt. Das „wohl“ in diesem Satz sollte man allerdings unbedingt beachten: Wie schon auf dem 2018er Debüt Goldene Zukunft bewegt sich seine Musik bevorzugt im Ungefähren. Sie ist mysteriös und gefühlvoll, aber viel zu klug, um mystisch oder esoterisch zu sein. Sie ist abstrakt und assoziativ, aber niemals sperrig oder selbstgefällig.
Die Single Die stroboskopen Jahre, die den Auftakt von Transit bildet, zeigt das auf herrliche Weise: Jede einzelne Spur, jedes einzelne Instrument, jeder einzelne Ton ist schön, trotzdem hat das Lied auch etwas Irritierendes, durch Zeilen wie „Da ist etwas erodiert / wir sind nervös, irgendwie verstört“, durch vorsichtige Elektronik, auch durch die Bläser, die unter anderem von Wencke Wollny (Karl die Große), Antonia Hausmann (eine preisgekrönte Jazzmusikerin) und Sven Regener (Element Of Crime, mit denen Das Paradies auch bereits auf Tour war) gespielt werden.
Auch Wenn ich dir entkommen will kann man als typisch ansehen für diese Platte, die Sievers in seinem Studio im Leipziger Westen aufgenommen und selbst produziert hat: Das Stück integriert mit seinem sehr weiten musikalischen Horizont teils exotische Einflüsse, ist zweifelsohne hoch komplex, tief durchdacht und filigran umgesetzt. Trotzdem wirkt alles spontan und organisch. Im Chor singt unter anderem Albrecht Schrader mit, der zuvor schon auf der Paradies-EP Sammlung 1/ Pause an der Kurve in Vektoria (2020) zu hören war.
Die Lust auf Kollaborationen passt einerseits zu Sievers, unterstreicht sie doch sein Interesse an Neuem, an Inspiration und Experiment. Zum anderen muss man allerdings staunen über die recht lange Liste der Transit-Beteiligten, denn mehr denn je wirkt die Musik von Das Paradies einzigartig und kryptisch – so, als könne sie von niemand anderen erschaffen worden sein (und von niemand anderen völlig verstanden werden) als von Florian Sievers selbst.
Aussagen wie „Vielleicht ist Transit das zweite erste Album vor dem dritten ersten Album“ unterstreichen das, mehr noch seine Texte. „Dieses Lied ist ein Missverständnis / und es knirscht zwischen Klang und Wort“, heißt es in Die Dinge, die wir uns heute sagten, das viel Spaß daran hat, Naivität vorzugaukeln. Zum Album-Abschluss kann man in Im Graben an der Straße ins Licht wieder so etwas wie Expressionismus ausmachen („Da ist ein Instinkt, der sich / da am Horizont so freut und winkt“) und erkennen: Man möchte nicht nur die Welt so sehen können wie dieser Künstler, man möchte sogar in so einer Welt leben.
Songs wie Im Orbit ohne Zucker würde man vielleicht „spinnert“ nennen, wären die Melodien nicht so klasse, der Sound nicht so elegant und die Stimme nicht so unschuldig. In Rosa Luft, das erstaunlich viel Punch und Druck, Tanzbarkeit und Eingängigkeit entwickelt, wird das Wort „Gegenwart“ im Text (und zwar nur dieses eine Wort) derart stark mit einem Vibrato unterlegt, dass es zittert, wie etwas, das womöglich gar nicht existiert. Bei so viel Enigma hält man es sogar für möglich, dass ein Songtitel wie Gebissen wurde ich nur in Wien womöglich auf einer realen Begebenheit beruht.
Auch in Hund & Sterne kann man nicht greifen, was der Künstler genau mit diesen Worten meint, aber es klingt hoch romantisch und überaus reizvoll. Beim Gitarrensolo gegen Ende des Lieds hört man dann förmlich, wie sehr er den Klang jedes einzelnen Tons genießt. „Das Schreiben, das Aufnehmen und das Klangsuchen: All das hat sich gegeneinander angezogen und abgestoßen“, sagt Sievers, und wieder ist es seine Musik, die so eine scheinbar wirre oder gar widersprüchliche Aussage völlig plausibel und schlüssig erscheinen lässt.
Über dem Asphalt die Hitze ist im Prinzip der einzige Song auf Transit, bei dem man ein paar halbwegs passende Referenzen benennen kann. Es gibt ein Notwist-Pluckern, schräge Lyrik wie bei Die Höchste Eisenbahn und eine informierte Abenteuerlust à la Animal Collective. Mit Verkleidet als Mensch hat Das Paradies dann auch noch einen richtigen Hit zu bieten. „Ich glaube, in Zwischenräumen finden wir neue Ideen und Perspektiven, da werden neue Türen aufgestoßen und neue Verbindungen geknüpft“, sagt Florian Sievers. Das klingt wieder ein bisschen blumig und nach gewollt viel Interpretationsspielraum. Aber es stimmt natürlich.