Künstler*in | Deerhoof | |
Album | Actually, You Can | |
Label | Joyful Noise | |
Erscheinungsjahr | 2021 | |
Bewertung |
In ihrem Roman Superbusen hat Paula Irmschler an einer Stelle sehr treffend geschildert, wie ursprünglich die Freude an Musik sein kann, wenn man sie ganz ohne Scheuklappen wahrnimmt. „Jedes Kind, das den Zauber von Musik kennenlernt, weiß nichts über die Relevanz des Vorherigen. Es kennt keine Referenzen, keine Genres, es ist alles neu, einmalig, nie dagewesen, wie man selbst eben auch“, schreibt sie da. Nach diesem Prinzip funktioniert auch die Musik von Deerhoof. Die Gitarristen Ed Rodriguez und John Dieterich, Bassistin Satomi Matsuzaki und Schlagzeuger Greg Saunier erschaffen einfach die Klänge, die ihnen Spaß machen, und dann fügen sie diese Klänge zusammen. Egal, wie unterschiedlich diese Klänge sind. Egal, ob irgendjemand so etwas schon einmal gemacht hat. Egal, ob stilistische Konventionen so etwas erlauben oder nicht.
Erstaunlich ist zum einen, wie interessant die dabei entstehenden Ergebnisse sind. Man denke nur an die letzten beiden Longplayer dieser Band. Future Teenage Cave Artists (2020) war ein Konzeptalbum, das im selben Jahr folgende Love-Lore zugleich ein Live- und ein Coveralbum, mit dem Deerhoof unter anderem Parliament, Sun Ra und Stockhausen vermengten. Dass dies nicht nur funktioniert hat, sondern sogar gefeiert wurde, hat der Band aus San Francisco zusätzlichen kreativen Auftrieb verliehen. „Wir fühlten uns dadurch noch freier und sind uns mit noch weniger Vorurteilen begegnet“, sagt Greg Saunier.
Zum anderen ist es faszinierend, wie sehr diese vermeintlich kindliche Herangehensweise weiter funktioniert bei einer Band, die 1994 gegründet wurde und heute mit Actually, You Can ihr achtzehntes Album vorlegt. Das liegt auch daran, dass sie neue Einflüsse gefunden haben, unter anderem aufgrund der Covid-19-Pandemie. Es ist in der Musik von Deehoof nicht unüblich, dass die Bandmitglieder zunächst für sich alleine an Demos arbeiten, auch der Austausch dieses Materials via Internet gehörte schon Prä-Corona zu ihrer Arbeitsweise. Diesmal waren sie aber tatsächlich auf dieses Zusammenwirken ohne (physisches) Zusammensein angewiesen.
Quasi als Gegenpol strebten sie allerdings an, dass alle neuen Songs auch live (wann immer das wieder möglich sein wird) reproduzierbar sein sollten. „Dieses Album sollte ausschließlich aus zwei Gitarren, Bass und Schlagzeug bestehen“, sagt die singende Bassistin Satomi Matsuzaki. Auch Saunier erzählt, die Idee eines zumindest virtuellen gemeinsamen Spielens sei ihnen so wichtig gewesen, dass es sich in der Erinnerung fast anfühle, als seien sie tatsächlich im selben Raum gewesen.
Stattdessen waren sie unter anderem in Mexiko, wo Rodriguez viel Bolero gehört hat, und in Japan, wo Dieterich unter anderem bei einer Erntedankfeier neue Ideen durch die traditionellen Gesänge der anderen Gäste entwickelt hat. „Es ist eine wirklich fröhlich klingende Musik, auch wenn sie streng und undurchsichtig ist“, sagt er über diese Erfahrung. Eine weitere Inspirationsquelle für Deerhoof waren Demonstrationen gegen Polizeigewalt in verschiedenen Regionen der Welt, denen die Band so etwas wie Gebrauchsmusik verschaffen wollte, die aktivierend und motivierend ist, wie Dieterich erläutert. Auch Matsuzaki betont den Willen zum Optimismus, der Actually, You Can zugrunde liegt: „Ich habe in den vergangenen Jahren begonnen, Pflanzen anzubauen. Bei mir zuhause sah ich dann jeden Morgen ihr Wachstum. Das hat mich stets ermutigt, den Tag zu beginnen. Pflanzen neigen immer zum Sonnenlicht, genau wie ich.“
Passend dazu tauchen im Text von Be Unbarred, O Ye Gates Of Hell, dem Auftakt des Albums, dann gleich Tomaten und Zwiebeln auf, die Musik verkörpert Kraft und Chaos, ebenso wie Schönheit und Freude. Häufig bildet eine reizvolle Gitarrenmelodie den Ausgangspunkt für die Songs, wie in Our Philosophy Is Fiction, wo sie dann auf Niedlichkeit im Stile der frühen Cardigans und ein paar beinahe klassisch wirkende Elemente trifft. Das ist wohl gemeint, wenn Deerhoof als künstlerischen Ansatz für diese neun Songs das Motto ”Barock trifft Do it Yourself” oder auch „Rokoko trifft Garage“ benennen. „Wir wollten unsere eigene Version von anspruchsvoll, mit all den Opernverzierungen und dem Glitzern und Funkeln“, sagt Saunier.
Department Of Corrections ist so hyeraktiv, virtuos und verspielt wie viele Stücke dieser Band, mit We Grew, And We Are Astonished zeigen sie, dass sie auch ruhiger und repetitiver agieren können. Scarcity Is Manufactured greift die Melodie von La Bamba auf, ebenso überraschend ist Plant Thief als so etwas wie Funk-Rock mit dominantem Bass und erstaunlicher Härte. Bei diesen Klängen erscheint es nicht mehr ganz so erstaunlich, dass sie nicht nur mit Radiohead, sondern auch mit den Red Hot Chili Peppers auf Tour waren.
Divine Comedy beschließt das Album nicht unbedingt wie ein Puzzle, aber wie eine Collage. Auch hier wird noch einmal deutlich, wie wichtig digitale Tools für diese Band sind, bis hin zum Begreifen ihrer Musik als Ergebnis von Versatzstücken. Zugleich kommt auch hier noch einmal der eingangs erwähnte Ansatz von „Alles ist erlaubt, solange es gut und aufregend klingt – egal, wie verwirrend das vielleicht für unsere Hörgewohnheiten sein mag“ in Erinnerung. Greg Saunier führt das darauf zurück, dass dieser Effekt bei Deerhoof auch intern wirkt: „Wenn so etwas wie eine besondere Chemie zwischen uns entsteht, dann liegt das auch daran, dass wir selbst nicht verstehen, was die anderen in der Band da gerade für Musik machen.“