Künstler*in | Deerhoof | |
Album | Miracle-Level | |
Label | Joyful Noise | |
Erscheinungsjahr | 2023 | |
Bewertung | Foto oben: (C) Joyful Noise Recordings / Mike Bridavsky |
Wer hier öfter unterwegs ist, weiß es sicher schon: Shitesite ist kein Fan von verfrickelter Musik, die gerne ihre Virtuosität zur Schau stellt, oder für sich in Anspruch nimmt, erst unter dem Einfluss von Rauschmitteln vollends verstanden werden zu können. Prog und Jazz stehen deshalb zwar nicht gleich auf einer Roten Liste, aber auch nicht sonderlich hoch in der Gunst. Das sind schlechte Voraussetzungen für das 19. Album von Deerhoof. Denn Satomi Matsuzaki, Ed Rodriguez, John Dieterich und Greg Saunier machen genau solche Musik, die der oben benannten Charakterisierung entspricht. Es gibt auch diesmal von ihnen wieder Songs wie Momentary Art Of Soul!, in denen jedes Instrument ein eigenes, möglichst kompliziertes Lied zu spielen scheint, My Lovely Cat!, das cute und heavy klingt, vor allem aber komplex, oder das instrumentale, dramatische und atonale Jet-Black Double-Shield.
Dennoch passiert auf Miracle-Level etwas Erstaunliches: Satomi Matsuzaki hat die Texte erstmals komplett in ihrer japanischen Muttersprache geschrieben, und das steigert den Reiz dieser elf Lieder erheblich. Es verstärkt sich ein Eindruck, der in ihrer Musik schon immer angelegt ist: Alles ist möglich, jederzeit kann etwas Unerwartetes passieren, eben auch Gesang in einer aus westlicher Sicht exotischen Sprache. Und so reift die Erkenntnis, selbst bei Shitesite, was letztlich den Kern ihres Schaffens bildet: das Auskosten von Freiheit.
Dazu gehört auch, dass sich Deerhoof erstmals in ihrer 28-jährigen Karriere einen externen Produzenten und ein professionelles Aufnahmestudio gegönnt haben. Die Wahl fiel auf Mike Bridavsky, den der Chef ihrer Plattenfirma empfohlen hatte. „Scheinbar aus dem Nichts bot sich mir die wundersame Gelegenheit, Deerhoof zwei Wochen lang im No Fun Club in Winnipeg, Manitoba, zu produzieren. Ich fing an, ihre Alben durchzuhören und stellte fest: Ich habe keine verdammte Ahnung, wie man eine Deerhoof-Platte macht. Aber hat das überhaupt irgendjemand? Sie hatten einen Katalog von durchdachten, wilden und einzigartigen Platten zusammengestellt, jede anders als die vorherige“, erzählt Bridavsky, dem die Anfrage ebenso verlockend wie beängstigend erschien: „Ich stand kurz davor, in einen florierenden kreativen Organismus aufgenommen zu werden, der fast ausschließlich miteinander arbeitete, mit unbegrenzter Kontrolle über jeden Pieps und jedes Geräusch. Das war die Session, von der ich mein ganzes Berufsleben lang geträumt hatte – und ich war entsetzt.“
Die aus heiterem Himmel angebahnte Zusammenarbeit funktionierte dann aber wunderbar. Deerhoof hatten die Songs für Miracle-Level bereits sehr detailliert ausgearbeitet, als sie auf den Produzenten trafen, auch die Chemie mit Bridavsky stimmte. Besonders zugänglich sind dabei die Balladen geworden: The Poignant Melody zeigt, nomen est omen, ihr enormes Talent für tolle Melodien, das auf zauberhafte Weise verletzliche Titelstück könnte ein Schlaflied von den Cardigans sein, das sich heimlich auf eine Party von Tim Burton davon schleicht. Auch Wedding, March, Flower mit seinem prominenten Klavier und dem Gesang von Greg Saunier gehört dazu.
Seine Stimme ist auch im funky und tropisch angehauchten The Little Maker zu hören, und zwar in dem Teil, der in der Welt von Deerhoof wohl ein Refrain ist. Der Album-Auftakt Sit Down, Let Me Tell You A Story ist erst eingängig und niedlich, dann verfrickelt und schließlich erhaben. Die Drums in Phase-Out All Remaining Non-Miracles By 2028 sind monströs hart, die Gitarre stiftet dazu Verwirrung, während der Gesang uns sogar ein paar vertraut wirkende Passagen gönnt.
And The Moon Laughs wird von einem energischen Riff angetrieben, die Drums scheinen aber Starthilfe zu benötigen. So schwer es sein dürfte, dazu Pogo zu tanzen, zu Springen oder zu Headbangen, so eindeutig ist das doch Rockmusik, und zwar harte. Everybody, Marvel ist ebenfalls mal harmonisch im Stile der Silversun Pickups, mal träge, mal brisant. Auch durch die Orgel wirkt das Stück insgesamt vergleichsweise geerdet, bis der „Mina, Mina, Mina“-Teil, den Satomi Matsuzaki singt, wieder deutlich macht: Deerhoof lieben nicht nur die Freiheit. Sie sind auch mindestens ein kleines bisschen verrückt.