Delta Sleep – „Younger Years“

Künstler*in Delta Sleep

Delta Sleep Younger Years Review Kritik
Dortmund spielt eine wichtige Rolle in der Entstehung von „Younger Years“.
EP Younger Years
Label Big Scary Monsters
Erscheinungsjahr 2019
Bewertung

Zwei Dinge scheinen Delta Sleep mit dieser EP im Sinn zu haben: überraschen und verarschen.

Fangen wir mit dem Überraschen an. Younger Years hat sich in keiner Weise angekündigt, es gab keine Vorab-Songs und auch keine anderweitige Promotion. „Nachdem wir bereits mehrfach lange Album-Kampagnen durchgemacht hatten, dachten wir diesmal einfach: Scheiß drauf!“, sagt die in Brighton ansässige Band. „Anstatt unsere Fans sechs Monate lang mit Singles zu ärgern, dachten wir: ‚Lass uns unseren Fans mal eine Freude machen, indem wir die ganze EP ohne große Vorankündigung veröffentlichen. Du willst neue Musik? Ja geil, hier ist unser neues Mini-Album mit ein paar neuen Hits von Delta Sleep!'“ Das leuchtet ein und ist natürlich gerne genommen.

Kommen wir also zum Verarschen. Unter den sechs Stücken findet man Songtitel wie Sofa Boy oder Constant Dreamer. Das soll womöglich den Eindruck erwecken, man hätte es hier mit Slackern zu tun, die den Arsch allenfalls dann hochkriegen, wenn der Dope-Dealer an der Tür steht, oder die echte Welt da draußen nicht einmal vom Hörensagen kennen. Doch natürlich kann davon keine Rede sein. Vielmehr sind Delta Sleep sagenhaft produktiv (das zweite Album Ghost City stammt aus dem vergangenen Jahr, seitdem gab es unzählige Konzerte und eine EP mit Raritäten zum Record Store Day).

Das zeigt sich auch bei Younger Years wieder, denn bereits einen Tag nach Ende ihrer gemeinsamen Tour mit Mineral gingen die vier Musiker direkt wieder in die Middle Farm Studios in Dorset, um die Ideen zu verwirklichen, die sie in Dortmund an einem freien Tag während ihrer gerade absolvierten Konzertreise entwickelt hatten. „Wir hatten ein paar Ideen, mit denen wir schon eine Weile herumgespielt hatten, sodass wir uns an diesem freien Tag hinsetzen, sie auseinandernehmen, wieder zusammensetzen und mit ihnen herumspielen konnten. Irgendwas hat klick gemacht, also haben wir uns direkt wieder in ein Studio eingemietet“, lässt die Band wissen.

Somit gibt es wieder das, was man von Delta Sleep kennt: Math Rock, der virtuos und intelligent ist, aber niemals angeberisch. In The Air eröffnet die EP mit einer extrem cleveren Gitarre, kreativem Schlagzeug, einer tollen Dramaturgie mit vielen Überraschungen und einer verträumten Melodie, die erstaunlich gut zu diesem Klanggewand passt. Das schon erwähnte Sofa Boy wird tatsächlich etwas getragener, aber dadurch auch noch etwas intensiver, dann leitet das meditative Instrumentalstück Martin, Martini zur zweiten Hälfte über.

Constant Dreamer läutet diese mit einer Stimmung zwischen wild und besonnen, hymnisch und verfrickelt ein – und man kann nicht einmal die Teile benennen, zwischen denen sich all diese Wechsel abspielen, weil es solche Konstrukte wie „Strophe“ und „Refrain“ bei Delta Sleep kaum gibt. Das folgende Three Ghosts überrascht als akustisches, beschauliches Stück, bevor dann auch der Titelsong ganz leise beginnt, um schließlich Wucht, Groove, Gelassenheit und sogar ein bisschen Extravaganz zu entwickeln.

Beeindruckend ist dabei nicht nur das Qualitätslevel der Songs auf Younger Years, sondern auch, dass Delta Sleep selbst bei einer so spontanen Aufnahme und Veröffentlichung einen sehr runden Tonträger mit stimmigem Spannungsbogen und einer hörbaren Weiterentwicklung hinbekommen. Dafür kann man sich gerne mal überraschen (und meinetwegen sogar verarschen) lassen.

Es gibt kein Video, dafür aber die gesamte EP bei YouTube.

Delta Sleep bei Bandcamp.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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