Dendemann – „Da nich für“

Künstler Dendemann

Da nich für Dendemann Review Kritik
Fast zehn Jahre hat Dendemann für sein drittes Album gebraucht.
Album Da nich für
Label Vertigo
Erscheinungsjahr 2019
Bewertung

Seit einer Weile hat sich das ja selbst in nicht für Polygamie bekannten Kulturkreisen als Trend erwiesen: Menschen, die schon verheiratet sind, heiraten einfach noch einmal. Denselben Partner, oft nach Jahrzehnten der Zweisamkeit, als Beleg für die Stärke dieser Beziehung und als Bestätigung dafür, die richtige Wahl getroffen zu haben, sich glücklich schätzen zu dürfen. So ähnlich darf man sich BGSTRG vorstellen, das kurz vor Ende dieses Albums erklingt. Gemeinsam mit den alten Kumpels von den Beginnern (und via Sample noch mit ein paar anderen Acts, die schon vor 20 Jahren diese Sache mit dem deutschen Sprechgesang vorantrieben) wird es ein Liebeserklärung an Rap.

Diese Liebe hat Dendemann weit gebracht und soll nun, das ist als Anspruch auf Da nich für unverkennbar, mit seinem dritten Soloalbum zu neuen Höhen geführt werden. Nach den Anfängen mit Eins, Zwo, dem legendären Solodebüt Die Pfütze des Eisbergs (2006) und dem folgenden Vom Vintage verweht (2010) begann er 2014 mit der Arbeit an diesen neuen Songs und hatte gemeinsam mit dem Produzententeam The Krauts (Peter Fox, Marteria) recht schnell zehn Skizzen im Kasten. „Mit denen hatte ich schon vor Die Pfütze des Eisbergs Kontakt. Moabeat und spätere Krauts waren für mich immer State of the Art“, erklärt Dendemann die Wahl dieser Produzenten, die sich auf Da nich für in der Tat als Glücksgriff erweist: Die Musik ist klasse, eigenständig, abwechslungsreich und zeitgemäß. Neben den Krauts haben auch Kitschkrieg, Dexter, Torky Tork, Reaf und der alte Wegbegleiter I.L.L. WILL daran ihren Anteil.

Die Platte wäre wohl deutlich eher fertig gewesen, wäre dann nicht die Unterbrechung durch das TV-Engagement gekommen, das mit dem Namen „Dendemann“ heute im Prinzip genauso eng verbunden ist wie all seine Meriten aus den Jahren zuvor. Als Sidekick im Neo Magazin Royale steigerte er bis zum Ausstieg im Jahr 2017 nicht nur seine Bekanntheit, sondern lernte auch eine Arbeitsweise kennen, die nun seine Musik prägt. „Wöchentlich abliefern zu müssen, der Kontakt mit den Comedy-Autoren dort und auch das Zusammentreffen mit anderen Rappern war für das Album wichtig“, sagt er.

In Wo ich wech bin blickt er auf die Zeit zurück, in der das alles begann – lange vor einem Plattenvertrag oder einer Fernsehshow. „Du kriegst mich aus dem Dorf, aber das Dorf nicht aus mir“, heißt seine Erkenntnis beim Blick auf das eigene Aufwachsen. Dort weggegangen zu sein, fühlt sich offensichtlich noch immer an wie die beste Entscheidung seines Lebens, der Bass klingt so bedrohlich und monoton wie es das Leben in der Provinz nun einmal sein kann. „Es geht um alle möglichen Dinge, die in meiner Heimatgegend passiert sind. Komplett verständlich ist das wahrscheinlich nur für zwei, drei Leute, die ich kenne“, sagt Dendemann.

Dieses Zitat verweist zugleich auf das zentrale Problem des Albums. Dendemann war schon immer geschätzt dafür, seine eigene Sprache und eigene Welt zu erschaffen, die im Rap ohnehin nicht ganz unwichtige Vorliebe für Selbstreferenz hat er perfektioniert. Das bedeutet aber auch, dass die Tracks auf Da nich für wenig Möglichkeit zur Projektion oder gar Identifikation bieten. Man weiß in der Regel, worum es geht, aber viele Texte sind so verspielt und codiert, dass man auch merkt: Es gibt Ebenen in diesen Songs, von denen ich ausgeschlossen bin. Verstärkt hat sich das offensichtlich durch die Tätigkeit fürs Neo Magazin Royale. Dort hat Dendemann über aktuelle Ereignisse der Woche oder eingeladene Gäste gerappt, also über ganz konkrete Themen. Den Vorrat an diesen Themen (oder die Lust darauf) hat er dabei offensichtlich aufgebraucht. Auf Da nich für geht es deutlich abstrakter zu, oft geradezu impressionistisch.

Ich Dende, also bin ich eröffnet das Album mit Selbstbewusstsein ohne Selbstüberhöhung, später wird in Drauf & Dran (mit einem Sample von MIA) das Weitermachen als eine Qualität an sich gefeiert. Alle Jubilare wieder nimmt mit Casper als Bruder im Geiste die Oberflächlichkeit und hohle Dekadenz insbesondere der Berliner Partyszene ins Visier. Wie anstrengend es sein kann, wenn man eine Frau hat, die ständig auf Party aus ist, während man selbst lieber Gemütlichkeit will, zeigt Littbarski (mit Trettmann). Der Hook von Keine Parolen basiert auf einem Refrain von Slime, dazu passt auch der Vorwurf „Unser Rückgrat ist stufenlos verstellbar.“ Eine ähnliche Stoßrichtung hat Müde: Der Track setzt nicht nur sehr prominent ein Sample von Hildegard Knef ein, sondern analysiert die Lage des Landes auch als zermürbend für jeden Aufrechten. Hinzunehmen ist der Status Quo natürlich trotzdem nicht, macht Dendemann klar: Er will Bekenntnis, sogar Aktion.

In anderen Momenten ist der Kern der einzelnen Tracks ebenfalls noch gut zu erfassen. Um die Texte, einzelne Zeilen oder Reime, wirklich als herausragend erkennen zu können, müsste man indes das passende Bezugssystem haben – aber dieses Bezugssystem kennt bei Dendemann nur Dendemann, und das ist für den Hörer manchmal Segen und Fluch zugleich. Einem Stück wie Zauberland, das den gleichnamigen Song von Rio Reiser sampelt, merkt man das an, auch Nochn Gedicht, das die Platte abschließt, mit Lounge-Sound, und einem Text, in dem Versmaße zu Pflanzen werden.

Ein paar Mal schwächelt Da nich für auch richtig. Menschine kritisiert die falsche Priorität, nur an Arbeit zu denken, wird aber etwas langweilig, weil es zu sehr in den eigenen Sound verliebt ist. „Endlich wieder Zeit, um Stellung zu beziehen“, heißt es in Zeitumstellung. Als Verstärkung ist Armin Teutoburg-Weiss von den Beatsteaks dabei, aber weder dieser Gast noch dieses Wortspiel sind stark genug, um den gesamten Track zu tragen, auch wenn ihnen diese Aufgabe zugemutet wird, weil es sonst nicht viel Aufsehenerregendes gibt.

„Rap war noch nie so vielfältig. Dabei geholfen haben die Technik, das Internet und der anhaltende wirtschaftliche Erfolg, der die Marke HipHop und seine Helden konstant aufwertet. Früher unumstößliche Grenzen und Gesetze sind heute nur noch Makulatur“, sagt Dendemann und klingt dabei wie ein Theoretiker und Historiker seines eigenen Genres. Er weiß, wie viel er selbst zu dieser Erfolgsgeschichte beigetragen hat, zu der auch Da nich für ein weiteres Kapitel hinzufügen wird. Sein Eintauchen in diese Kunst namens Rap ist hier aber manchmal so tief, dass dabei die Anschlussfähigkeit zu unser aller Leben verloren geht, manchmal sogar die Nachvollziehbarkeit. Der Wunsch, Dendemann würde einmal ein Album machen, das so unmittelbar funktioniert wie seine Stimme, bleibt auch nach Da nich für unerfüllt.

Keine Hymne aufs Sauerland: das Video zu Wo ich wech bin.

Der Februar wird prall gefüllt sein mit Konzerten von Dendemann.

04.02. Hannover – Capitol
05.02. Bremen – Pier 2
06.02. Osnabrück – Hyde Park
07.02. Dortmund – Warsteiner Music Hall
09.02. Münster – Skaters Palace
10.02. Frankfurt – Batschkapp
11.02. Heidelberg – halle02
12.02. Stuttgart – Im Wizemann
13.02. München – Tonhalle
16.02. Karlsruhe – Substage
17.02. Köln – Carlswerk Victoria
18.02. Wiesbaden – Schlachthof
23.02. Dresden – Reithalle
25.02. Leipzig – Werk2
26.02. Hamburg – Mehr! Theater
27.02. Hamburg – Mehr! Theater
28.02. Berlin – Columbiahalle

Website von Dendemann.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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