Ein Golfturnier. Ausgerechnet. Damit beginnt der Afrikanische Nationalkongress (ANC) die Feierlichkeiten zu seinem 100-jährigen Bestehen. Viele sehen darin ein Zeichen: Die einstige Befreiungs- und Untergrundbewegung ist zur Bonzen-Partei Südafrikas geworden.
So einfach ist die Lage freilich nicht. Zum Festprogramm gehören beispielsweise auch Gottesdienste und ein Tieropfer – Referenzen an die Wurzeln der Organisation, die am 8. Januar 1912 als Afrikanischer Eingeborenen-Kongress in Bloemfontein gegründet wurde. Mehr als 100.000 Teilnehmer wollen den Geburtstag des ANC feiern – eine Größenordnung, die bei einem Parteijubiläum in Deutschland undenkbar wäre und die Rechtfertigung ist für den Anspruch des ANC, das Volk Südafrikas zu vertreten. 46 Staats- und Regierungschefs werden den Feierlichkeiten beiwohnen – Beweis für die Anerkennung, die das einst isolierte Südafrika knapp 20 Jahre nach Ende der Apartheid mittlerweile in der Staatengemeinschaft genießt.
Südafrika ist heute ein respektierter Rechtsstaat. Der ANC ist die Kraft, die das ermöglicht hat. «Eine riesige Eiche, die seit Urzeiten dagestanden und die gesamte Umgebung beherrscht und bereichert hatte» – so beschreibt Nelson Mandela in der unveröffentlichten Fortsetzung seiner Autobiografie Oliver Tambo, der von 1967 bis 1991 Präsident des Afrikanischen Nationalkongresses war. Es ist eine Charakterisierung, die auch auf den gesamten ANC zutrifft.
Seit 1994, als Schwarze in Südafrika erstmals wählen durften und Mandela zum Präsident des Staates wurde, ist der ANC ununterbrochen an der Macht. Mit Mandela an der Spitze hat er den friedlichen Übergang von einem rassistischen Regime zu einer der wenigen funktionierenden Demokratien auf dem schwarzen Kontinent geschafft. Schwarze und Weiße sind weitgehend versöhnt, die Wirtschaft wächst.
Der ANC, von 1960 bis 1990 verboten, hat also guten Grund, sich feiern zu lassen. «Wir haben nicht nur für Südafrika viel erreicht, sondern für ganz Afrika», sagt ANC- und Staatspräsident Jacob Zuma. «Unser Befreiungskampf sollte ein Afrika schaffen, in dem die Völker frei sind von Kolonialismus, Rassismus und Armut.» Ähnliche Worte wird er heute bei der zentralen Feierstunde an die 40.000 Menschen im Stadion von Mangaung richten.
Südafrika ist trotzdem weit davon entfernt, ein Land ohne Probleme zu sein. Viele hatten sich schnellere Fortschritte erhofft, seit 1990 mit der Freilassung Mandelas nach 27 Jahren Haft ein neues Zeitalter für Südafrika begonnen hatte. Bei rund 36 Prozent liegt nach wie vor die Arbeitslosenquote, bei jungen Menschen ist sie fast doppelt so hoch.
Der ANC verfügt im Parlament über eine bequeme absolute Mehrheit, und niemand zweifelt daran, dass er auch aus den nächsten Wahlen als Sieger hervorgehen wird. Doch der Organisation wird immer wieder Korruption vorgeworfen. Auch der 69-jährige Zuma steht in der Kritik, vor allem wegen seines aufwendigen Lebenswandels und seiner Frauengeschichten. Er ist nicht der einzige einstige Guerillakämpfer (Zuma saß wie Mandela auf Robben Island in Haft), der meint, sich für jahrzehntelange Entbehrungen nun mit einem Luxusleben entschädigen zu können.
Zudem zieht die Organisation dubiose Gestalten an. «Der ANC wird regieren, bis Jesus wieder auf die Erde zurückkommt», hatte Zuma im Jahr 2008 vorhergesagt. Längst besetzt der ANC quasi alle wichtigen Positionen im Staat. Das ist nicht weit entfernt von den Methoden und dem Selbstverständnis, die die SED in der DDR an den Tag legte. Wer in Südafrika Karriere machen oder sich bereichern möchte, muss den Weg in den ANC suchen.
Die Probleme überschatten auch das Fest-Wochenende. «Eigentlich sollte das hundertjährige Jubiläum ein rauschendes Fest werden», sagt der Politologe William Gumede der Frankfurter Rundschau, «stattdessen wird es zum Trauerspiel». Ein Beispiel: Simbabwes Präsident Robert Mugabe, international geächtet, wird heute als «Kampfgenosse» empfangen. Ein weiterer Kritikpunkt: Julius Malema, suspendierter Chef der ANC-Jugendliga, soll bei der Selbstbeweihräucherung möglichst keine Rolle spielen. Der 30-Jährige gilt als profiliertester Gegenspieler Zumas.
Die beiden Reizfiguren symbolisieren zwei der zentralen Versäumnisse des ANC. Malema möchte beispielsweise die Banken verstaatlichen und weiße Farmer enteignen. Mit diesen radikalen Positionen verkörpert er eine fast vergessene Traditionslinie des ANC, der einst als kommunistisch galt und sich von Anfang an nicht nur rechtliche Gleichheit der Schwarzen, sondern auch sozialen Ausgleich auf die Fahnen geschrieben hatte.
Mugabe ist das schlimmste Beispiel für einen einstigen Freiheitskämpfer, der die Freiheit nun nicht gegen sich gerichtet sehen will und darob zum Diktator geworden ist. Dass Demokratie im Zweifel auch Opposition bedeuten oder sogar dazu führen kann, dass der ANC seine Macht verliert – das will in der Partei niemand hören. «Die traurige Wahrheit ist, dass ausgerechnet der ANC heute zur Gefahr für unsere Freiheit, für unsere Verfassung und für unseren Wohlstand geworden ist», meinte unlängst Enthüllungsjournalist Max du Preez, ein langjähriger Unterstützer des ANC.
Was der Afrikanische Nationalkongress derzeit vielleicht am dringendsten braucht, ist eine Führungsfigur mit dem Weitblick, der moralischen Autorität und der Bescheidenheit Nelson Mandelas. Dem ANC verdanke er «alles in seinem Leben Erreichte», hat der Friedensnobelpreisträger einmal gesagt, der seit Ende der 1940er Jahre Führungspositionen im ANC inne hatte und von 1991 bis 1997 an seiner Spitze stand. Doch Mandela wird am Jubiläum nicht teilnehmen, sondern lediglich eine Grußbotschaft schicken. Der 93-Jährige sei zu gebrechlich, so die Partei. Manch einer in der Führungsriege wird nicht traurig darüber sein. Denn neben der Lichtgestalt Mandela würden viele der aktuellen ANC-Führer blass wirken – oder wie Halunken.
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