Wenn in Nürnberg Monat für Monat die frohe Botschaft verkündet wird, dann reklamiert regelmäßig auch Thomas Reitz einige der Lorbeeren für sich. Denn dass die Bundesagentur für Arbeit sinkende Arbeitslosenzahlen vermelden kann, ist auch seiner Firma zu verdanken. Reitz ist Geschäftsführer von Manpower, einem der größten der rund 7000 Personaldienstleister in Deutschland.
Manpower vermittelt und überlässt anderen Firmen Arbeitskräfte. Das Unternehmen ermöglicht seinen Kunden mehr Flexibilität und verschafft Menschen den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt, lautet Reitz‘ Argumentation. Es höhlt mit seinem Geschäftsmodell den Sozialstaat aus und sorgt langfristig für sinkende Löhne, sagen die Gewerkschaften. Reitz stellt sich im Gespräch diesen Vorwürfen und spricht zudem über Mindestlohn, Fachkräftemangel und den Arbeitsmarkt der Zukunft.
„Niemand sollte mehr davon ausgehen, dass er dort auch in Rente gehen wird, wo er seine Ausbildung gemacht hat. Diese Zeiten sind in Deutschland vorbei, und diesem Kulturwandel müssen wir uns stellen“, sagt er.
Manpower ist an 250 deutschen Standorten vertreten. Das Unternehmen setzt durch die Vermittlung von Mitarbeitern im Jahr gut eine halbe Milliarde Euro um. Das Geschäft boomt: 2006 entfiel bundesweit die Hälfte aller neu geschaffenen Stellen auf die Zeitarbeit, 2007 noch jede dritte. Rund 750.000 Zeitarbeiter gibt es heute in Deutschland, das entspricht 2,4 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten – Tendenz steigend.
Die IG Metall hat die Ausbreitung von Zeitarbeit bereits als „unkontrolliertes neues Virus“ bezeichnet. Doch Reitz sieht das anders. Gerne erzählt er die Geschichte vom Buchhalter, der hoch qualifiziert war und in einem Beruf tätig, der sehr gefragt ist. Aber nach einem halben Jahr Arbeitslosigkeit kam er völlig ungepflegt in die Frankfurter Manpower-Zentrale und galt deshalb als unvermittelbar. „Auf solche Dinge muss man die Leute hinweisen. Oft wissen sie gar nicht, warum ihre Bewerbungen abgelehnt werden. Wir haben den Mann zum Friseur geschickt, ihm einen Anzug verpasst und dann mit ihm Vorstellungsgespräche geübt. Gleich beim ersten Kunden kam er so gut an, dass er heute noch dort arbeitet.“
Im Gespräch merkt man schnell: Reitz ist kein skrupelloser Menschenhändler. Der 43-jährige gelernte Maschinenbau-Ingenieur kennt die Situation seiner Klientel. Ältere Arbeitnehmer, „die oft unverschuldet in die Arbeitslosigkeit rutschen“. Die Überwindung, für einen neuen Job umzuziehen, „wenn man gerade erst sein Reihenhaus abbezahlt hat“. Die Schwierigkeiten, nach einem Erziehungsurlaub wieder in die Berufswelt zurückzukehren. „Für die Kunden sind wir Problemlöser und für die Bewerber sind wir immer öfter Karriereberater“, erklärt Reitz seine Philosophie.
Doch ein Samariter ist er auch nicht. Zeitarbeitsfirmen machen ihr Geschäft mit der Not der Unternehmen. Mehr als ein Viertel der deutschen Arbeitgeber hat Schwierigkeiten, qualifiziertes Personal zu finden. Viele Firmen wollen kurzfristiger auf Veränderungen der Auftragslage reagieren können. „Die Unternehmen brauchen mehr Flexibilität. Die Zeitarbeit ist eines der Instrumente, um darauf zu reagieren“, sagt Reitz.
Personaldienstleister machen ihr Geschäft aber auch mit der Not der Menschen. Sie schöpfe aus dem riesigen Reservoir der 3,6 Millionen Arbeitslosen. „Hauptsache Arbeit“ ist für viele davon die Devise. Dass sie in Firmen eingesetzt werden, in denen sie für die gleiche Arbeit zum Teil nur halb so viel verdienen wie fest angestellte Kollegen und ihren Job schnell wieder verlieren können, nehmen sie in Kauf.
Manpower hat im vergangenen Jahr über 34.000 Menschen eingestellt. 92 Prozent von ihnen waren vorher arbeitslos, jeder Siebte länger als ein Jahr ohne Job. Reitz ist erkennbar stolz darauf, jungen Menschen ihre erste Stelle überhaupt zu verschaffen (ein Drittel der Mitarbeiter ist jünger als 25 Jahre) oder scheinbar hoffnungslosen Fällen wieder eine Perspektive zu geben. Rund 40 Prozent der Zeitarbeiter landeten früher oder später in einer Festanstellung beim Kunden, bei hoch qualifizierten Mitarbeitern wie Ingenieuren oder Computerexperten seien es bis zu 90 Prozent. In solchen Fällen bekommt Manpower eine Ablösesumme vom Kundenunternehmen. Rund ein Viertel der Mitarbeiter sucht laut Reitz sogar bewusst nach einer Zeitarbeitsfirma, weil sie das Arbeitsmodell attraktiv finden und nicht ein Leben lang den selben Job für die selbe Firma machen wollten.
Manpower ist mit solchen Werten allerdings der Musterknabe der Branche. Denn die Firma beschäftigt einen großen Anteil an Fachkräften, andere Personaldienstleister konzentrieren sich stärker auf gering qualifizierte Mitarbeiter. Und dort sieht die Situation oft anders aus. Ein Logistiker, für dessen Verleih die Firma Randstad 14 Euro pro Stunde vom Kunden bekommt, klagte in einer Studie der IG Metall: „Von 14 Euro, die meine Arbeit wert ist, bekomme ich brutto 6,07 Euro. Das schreit doch zum Himmel.“ Und eine der vielen Leiharbeiterinnen bei BMW in Leipzig erzählt: „Wenn man die festangestellten Kollegen manchmal so in der Kaffeepause reden hört, was sie sich alles leisten können mit ihren Zuschlägen, ihrer betrieblichen Altersvorsorge, dann muss man schon aufpassen, dass man kein Gallenleiden kriegt.“
Weniger als die Hälfte der Leiharbeiter bleibt länger als drei Monate bei der Zeitarbeitsfirma unter Vertrag. Einen Urlaub, eine größere Anschaffung oder schlicht das eigene Leben zu planen, ist unter solchen Umständen kaum möglich. Rund jeder zehnte Leiharbeiter bezieht nebenher trotz Vollbeschäftigung noch Hartz IV. Eine Situation, die auch Reitz inakzeptabel findet. „Da bin ich ausnahmsweise mit den Gewerkschaften einer Meinung: Jemand, der Vollzeit arbeitet, muss davon auch seinen Lebensunterhalt bestreiten können.“
Er verweist auf verbindliche Tarifverträge, die vor zwei Jahren abgeschlossen wurden, und das Bestreben, einen Mindestlohn für die Branche von 6,36 Euro im Osten und 7,31 Euro im Westen einzuführen. Dass ausgerechnet die Arbeitgeber den Mindestlohn wollen, ist auch eine Imagefrage: „Der Mindestlohn könnte uns noch mehr Reputation bringen und deutlich machen, wie viel Gutes Zeitarbeit leistet.“
Ganz ohne Eigennutz ist aber auch dieses Vorgehen nicht. Der mit dem DGB ausgehandelte Tarifvertrag ermöglicht es, die im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz eigentlich vorgesehene Gleichstellung von Leiharbeitern und Festangestellten zu umgehen – also niedrigere Löhne zu zahlen. Und der Mindestlohn soll auch dazu dienen, die osteuropäische Konkurrenz auszubremsen, die mit dem Start des europäischen Binnenmarkts 2009 auch in Deutschland aktiv werden könnte. „Das würde uns natürlich in eine sehr nachteilige Situation bringen“, gesteht Reitz.
Er müsste nicht nur ein Stück vom Kuchen mit der neuen Konkurrenz teilen. Auch für die Beschäftigten befürchtet er Nachteile. „Wir hätten dann irgendwann einen Kampf um die niedrigsten Preise und die niedrigsten Löhne. Das wollen wir nicht. Es muss hierzulande gewisse Mindeststandards geben.“
Doch noch streitet die große Koalition über eine Aufnahme der Branche ins Arbeitnehmerentsendegesetz – obwohl die Voraussetzungen erfüllt sind. „Je länger ich die Diskussion verfolge, desto kritischer werde ich, ob der Mindestlohn kommt. Ich vermute, dass auch Taktik dahinter steckt: Die Politik hebt sich das Thema für den Bundestagswahlkampf 2009 auf. Wie attraktiv das ist, hat sich ja in Hessen gezeigt. Und wenn man sämtlichen Branchen den Mindestlohn erlaubt, die ihn jetzt schon wollen, dann ist das Thema für den Wahlkampf weg“, spekuliert Reitz.
Für die Zeitarbeiter soll der Mindestlohn Sicherheit und steigende Einkommen bringen. Doch ein Problem bleibt: Das Lohnniveau außerhalb der Zeitarbeit sinkt. Studien zeigen: In einem Viertel der Betriebe wird durch Zeitarbeit reguläre Beschäftigung verdrängt, ein Zwischenbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2005 bestätigt diese Tendenz. Laut IG Metall droht durch die Ausweitung von Zeitarbeit sogar „eine systematische Abschaffung der Normalarbeitsverhältnisse“.
Reitz kann solche Kritik nicht verstehen. „In Deutschland ist das Thema Arbeit für viele eine heilige Kuh“, sagt er und betont: „Niemand will hier amerikanische Verhältnisse, wo man zwei oder drei Jobs braucht, um überleben zu können. Wir wollen auch kein Hire & Fire. Aber eine gewisse Flexibilität muss man von allen Gruppen am Arbeitsmarkt erwarten. Von den Arbeitnehmern, von den Arbeitgebern, aber auch von den Gewerkschaften.“ Wenn Firmen durch Zeitarbeitnehmer flexibler werden, sichere das auch reguläre Jobs.
Der 43-Jährige, der seit 1994 bei Manpower und seit acht Jahren Geschäftsführer ist, sieht ganz andere Probleme, vor allem die mangelnde Qualifikation der Bewerber. „Wir könnten im Moment in Deutschland 5000 Leute einstellen, wenn wir die richtigen Bewerber fänden. Aber nur 20 Prozent aller Kandidaten sind für uns überhaupt geeignet.“ Manpower hilft inzwischen auf eigene Kosten über seine „Initiative Q“ nach, wenn das Fähigkeitsprofil des Bewerbers nur wenig vom Anforderungsprofil des Kunden abweicht. Kurse werden angeboten, in denen Sekretärinnen Kenntnisse der neuesten Computerprogramme, Lagerarbeiter den fehlenden Staplerschein oder Dreher die Programmierfähigkeiten für eine Maschine erwerben können.
Doch nicht immer reichten solche einfachen Maßnahmen aus. Reitz: „Es ist schon erschreckend, wie schlecht der Bildungsstand teilweise ist, auch wenn jemand zehn Jahre erfolgreich in der Schule war. Da staunt man manchmal schon, was da zum Teil an ganz elementaren Dingen fehlt.“ Auch aus einem anderen Grund sorgt er sich vor allem um junge Arbeitslose: „Es gibt viele 30-Jährige, die noch nie über einen längeren Zeitraum gewerblich gearbeitet haben. Für solche Bewerber ist es oft sehr schwierig, um 6 Uhr zur Frühschicht zu erscheinen oder einfach einmal sieben, acht Stunden am Stück konzentriert zu arbeiten. Sie wollen zwar arbeiten, aber sie sind solche Abläufe einfach nicht gewöhnt und schaffen es nicht.“
Ein Gedanke zu “Der Arbeitsmarkt der Zukunft”