Autor | Thomas Mann |
Titel | Der Zauberberg |
Verlag | S. Fischer |
Erscheinungsjahr | 1924 |
Bewertung | ***** |
Würde man jemandem erzählen wollen, worum es im „Zauberberg“ geht, würde die Antwort wahrscheinlich ziemlich langweilig klingen. Ein junger Mann will einen Verwandten in einem Sanatorium in den Schweizer Alpen besuchen und bleibt dann sieben Jahre lang da.
Doch die Stärke dieses Romans ist es gerade, dass hier nicht gehandelt wird, sondern gedacht, beobachtet – und verstanden. Und was macht Thomas Mann aus seinem scheinbar schlichten Plot! Im „Zauberberg“ wird das Spiel mit der Erzählzeit zum Spiel mit der erzählten Zeit, es führt zu ebenso selbstverständlichen wie tiefgründigen Betrachtungen über den Lauf und Kern der Dinge.
Hans Castorps famose Vision im Schneesturm ist so ein Fall. „Der Mensch ist Herr der Gegensätze, sie sind durch ihn, und also ist er vornehmer als sie. Vornehmer als der Tod, zu vornehm für diesen, – das ist die Freiehit seines Kopfes. Vornehmer als das Leben, zu vornehm für dieses, – das ist die Frömmigkeit in seinem Herzen.“
Dabei ist das Ganze in einem famosen Tonfall gehalten, der auf beinahe paradoxe Weise funktioniert: Selbst die banalsten Dinge werden so umständlich beschrieben, dass die Erzählung etwas wunderbar Leichtes bekommt. Settembrini und Naphta sind zwar etwas schwatzhaft und werden als Figuren womöglich nur eingeführt, um die philosophischen Diskurse und die politische Dialektik des Autors unterzubringen. Aber wie meisterhaft werden diese Antipoden eingeführt! Was für Gedanken äußern sie! Und wie genial sind sie schließlich mit Hans Castorps Werdegang verknüpft!
Die wechselseitige Verbindung und Beeinflussung ist am Ende so stark, dass das Duo auf einmal doch ganz natürlich in die Handlung zu passen scheint, zu einem elementaren Bestandteil von ihr wird.
Es ist diese perfekte Symbiose von Inhalt und Form, die den „Zauberberg“ so grandios macht. Und es ist die Pointe, auf die der Autor hinarbeitet. All die Gedanken um Leben und Tod, um Zeit und Welt, die auch für sich bedeutsam genug wären, gewinnen dadurch noch eine ganz neue, erschütternde Dimension. Sagenhafte 980 Seiten sind nur das Vorspiel, führen hin zu einem einzigen Moment. Nach dem nichts mehr war wie zuvor.
Beste Stelle: „Was aber sei denn der Humanismus? Liebe zum Menschen sei er, nichts weiter, und damit sei er auch Politik, sei er auch Rebellion gegen alles, was die Idee des Menschen besudele und entwürdige. Man habe ihm eine übertriebene Schätzung der Form zum Vorwurf gemacht; aber auch die schöne Form pflege er lediglich um der Würde des Menschen willen, im glänzenden Gegensatze zum Mittelalter, das nicht allein in Menschenfeindschaft und Aberglauben, sondern auch in schimpflicher Formlosigkeit versunken gewesen sei, und von allem Anbeginn an habe er die Sache des Menschen, die irdischen Interessen, habe er Gedankenfreiheit und Lebensfreude verfochten und dafür gehalten, dass der Himmel billig den Spatzen zu überlassen sei.“
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