Die 14 Etagen des „Adam’s Mark Hotels“ sind nur noch ein Haufen Schutt. Nähert man sich dem Trümmerberg, kann man noch ein paar der einstigen Möbel erkennen und die Muster der Tapeten an den Wänden.
Die Hurrikans „Katrina“ und „Wilma“, die im vergangenen Jahr über Florida fegten, haben aber nichts mit dieser Zerstörung zu tun. Das Haus, 1974 eröffnet und damals eines der größten Hotels am Strand, wurde gesprengt.
Denn die Stadt Clearwater macht sich fit für die Zukunft. Eine „Beach Walk“ genannte Strandpromenade soll entstehen – mit herrlichem Blick auf den Golf von Mexiko, vielen Cafés und reichlich Platz für Radfahrer und Inline-Skater. Wer per pedes unterwegs ist, kann den Sand unter den Füßen spüren. Wasser speiende Schildkröten sollen den Badegästen als Dusche dienen, Skulpturen und Springbrunnen für eine angenehme Atmosphäre sorgen. Ende März erfolgte der erste Spatenstich. Bis 2009 soll die neue Flaniermeile vollendet sein.
„Das jetzige Gesicht des Strandes ist in den vergangenen Jahrzehnten quasi im Wildwuchs entstanden: heruntergekommene T-Shirt-Stände neben vielen kleinen Restaurants und schicken Hotels. Das ist nicht zeitgemäß. Wir wollen ein modernes und einheitliches Ambiente schaffen“, erklärt Doug Matthews von der Stadt Clearwater die Idee hinter dem 30-Millionen-Dollar-Projekt. Er weiß: Sauberes Wasser, feinster Sand, viele Wassersportmöglichkeiten und 361 Tage Sonne im Jahr reichen nicht mehr. „Unser Strand ist seit Generationen bei Touristen beliebt. Aber wir dürfen uns nicht auf diesen Lorbeeren ausruhen. Wir brauchen ein zukunftsweisendes Konzept.“
30 Millionen Dollar scheint ein hoher Preis für einen Strandweg zu sein. Die Summe relativiert sich aber, wenn man sieht, wie viel Clearwater mit dem Tourismus verdient: Allein aus Europa kommen jedes Jahr eine knappe Million Besucher in die Stadt, ein gutes Drittel davon sind Deutsche. Beth Coleman von der Tourismusbehörde hofft, dass die Zahlen demnächst sogar noch besser aussehen. „Der Beach Walk wird das Urlaubserlebnis noch einmal verbessern“, ist sie überzeugt und fügt hinzu: „Während der Bauzeit bleiben die anderen Sehenswürdigkeiten natürlich geöffnet.“
Und davon hat die 100.000-Einwohner-Stadt eine Menge zu bieten. Im Aquarium kann man Delfine bestaunen, der Yachthafen und das berühmte Pier 60 locken Sportfischer. Über vierzig Golfplätze gibt es in der Region, allein die Stadt Clearwater hat acht. Vor allem aber gibt es: Strand. 56 Kilometer Strand. Und zwar Spitzenstrand – glaubt man Stephan Leatherman vom Institut für Küstenforschung an der Universität Miami, besser bekannt als „Dr. Beach“. Er kürte den Fort de Soto Park zum schönsten Küstenabschnitt der Vereinigten Staaten.
Der Park bietet nicht nur knapp zehn Kilometer feinsten Sandstrand, sondern vor allem – trotz Picknick-Möglichkeiten, Imbissbuden und Campingplatz – viel Natur. Auf einem Lehrpfad können Besucher, die sich nicht bloß in der Sonne aalen wollen, die heimische Tier- und Pflanzenwelt entdecken: Schildkröten, Muscheln, Fischadler, Klapperschlangen und giftigen Efeu.
Eine besondere Attraktion sind die Reste des alten Militärstützpunkts, von dem der Park seinen Namen hat. Riesige Kanonen stehen heute noch entlang der Rad- und Wanderwege. Im ehemaligen Haus des Quartiermeisters ist ein kleines Museum mit Devotionalien des spanisch-amerikanischen Krieges untergebracht. „Fort de Soto war damals nicht besonders beliebt. Es gab kaum Ablenkung – und die Moskitos waren schrecklich“, erzählt Park-Manager Scott Robinson.
Das, was die Amerikaner Geschichte nennen, lässt sich auch in Clearwaters Heritage Village erleben. Das Freilichtmuseum lässt die Zeit um 1900 wieder auferstehen. Bauernhäuser und Landvillen, aber auch eine Schule und ein Bahnhof samt Dampflok stehen hier – komplett mit Einrichtung wie Spinnrädern oder Telegraphen. Wer eine Überdosis Historie abbekommen hat, kann sich gleich nebenan im botanischen Garten wieder entspannen. Oder einen Abstecher ins „Gulf Coast Museum of Art“ machen, wo Werke zeitgenössischer Künstler aus Florida zu sehen sind.
Überhaupt ist die Gegend für Kunstfreunde ein Eldorado. St. Petersburg hat in dieser Hinsicht gleich zwei Höhepunkte zu bieten: Das „Museum of Fine Arts“ hat sich auf französische Impressionisten und amerikanische Maler spezialisiert. Weltberühmt ist das Salvador-Dalí-Museum, das knapp 100 Ölgemälde des spanischen Surrealisten zeigt.
Ein Highlight im Kulturkalender ist das Jazzfestival in Clearwater. Größen wie Stan Getz oder Branford Marsalis sind hier schon unter freiem Himmel aufgetreten. Die kostenlosen Shows, die seit 1980 stattfinden, werden für Musikfreunde ein Erlebnis: Szenenapplaus für gelungene Soli oder spontane Tanzeinlagen der Zuschauer sind nicht selten, famose Konzerte in lauen Nächten garantiert. Im vergangenen Jahr kamen an vier Tagen etwa 70.000 Zuschauer.
Auch für die Künstler ist das Clearwater Jazz Holiday etwas Besonderes. Altmeisterin Koko Taylor schwärmt nach ihrem Auftritt von der tollen Stimmung. Ihre 77 Jahre merkt man der Blues-Lady auf der Bühne nicht einen Moment lang an. „Wenn die Leute Spaß haben, feuert mich das noch mehr an“, nennt sie den Grund für ihren Jungbrunnen.
Auch Ramsey Lewis ist inzwischen ein Clearwater-Veteran. Dass er nicht mehr in verrauchten Clubs auftritt, sondern vor großem Publikum und unter freiem Himmel, sieht er nicht als Problem: „Es muss intim sein, aber die Größe ist dabei egal. Man muss einen inspirierten Moment finden. Das geht überall und jederzeit.“
Die Vorteile eines Festivals überwiegen seiner Ansicht nach die Nachteile. „Manche Leute kommen hier her, um Spaß zu haben und entdecken dabei erst den Jazz. Ich selbst treffe hier viele alte Bekannte und freue mich, dass es so viele talentierte Musiker gibt.“ Sorgen um die Zukunft des Genres müsse man sich nicht machen. „Wenn die Künstler originell und kreativ sind, wird Jazz überleben. Und gerade solche Festivals erhalten das Momentum am Leben“, meint auch Newcomer Brian Culbertson.
Er schwört nach seiner Show, dass dies nicht sein letzter Auftritt am Golf von Mexiko war: „Die Landschaft ist toll, die Fans sind großartig – und ich war heute Morgen noch am Strand.“ Das gibt es wohl nur in Clearwater. Schöne Künste – und schöne Küste.