Die Farbe der Sieger

„Fußball ist ein Kampfsport“, sagt Niko Kovac. Der Mittelfeldspieler von Hertha BSC Berlin sei hier ausnahmsweise einmal als Experte herangezogen. Bonmots wie „Auswärts sind wir zurzeit nur, um Hallo zu sagen“, lassen ihn sonst zwar nicht gerade als Fachmann erscheinen. Aber bei Kampf ist Kovac ein Kenner. „Ich habe schon so viel auf die Nase bekommen, da macht dieser Schlag auch nichts mehr aus“, meinte er beispielsweise einst tapfer nach einer Kopfnuss von Amoroso. Auch 89 Gelbe, eine Rote und eine Gelb-Rote Karte in seinen 346 Spielen als Fußballprofi qualifizieren Kovac. Wenn der Mann also Fußball als Kampfsport bezeichnet, dann muss da was dran sein.

Womit wir bei den nächsten Experten wären: Robert Barton und Russell Hill. Die Anthropologen von der University of Durham kennen sich ebenfalls mit Kampfsport aus. Genauer gesagt mit Boxen, Taekwondo, Griechisch-Römischem- und Freistil-Ringen. Bei den Olympischen Spielen in Athen sahen sich die beiden Forscher die Kämpfe in dieses Disziplinen ganz genau an. Und kamen zu einer erstaunlichen Erkenntnis: Stets war ein Kämpfer in blau, der andere in rot gekleidet, die Sportler in roter Kluft gewannen aber deutlich öfter – bei Titelkämpfen trugen sie 60 Prozent der Siege davon.

Die Erklärung dafür liefern die beiden Wissenschaftler nun im Magazin Nature (Nummer 435 [2005] 293). „Rote Färbung ist eine sexuell selektiertes, Testosteron-abhängiges Signal männlicher Qualitäten“, schreiben sie dort. Will sagen: Wer rot leuchtet, strahlt Gefahr aus, Aggressivität, Wut, Macht und Potenz. Der Träger selbst kurbelt durch das Tragen der Farbe seinen eigenen Testosteron-Level an. Der Gegner ist quasi zwangsläufig beeindruckt und zieht den Schwanz ein.

Um von diesem Vorteil zu profitieren, muss man übrigens nicht gleich wie ein Ferrari-Mechaniker gewandet sein. Schon ein rotes Stirnband reicht, um den Gegner einzuschüchtern, sagen Barton und Hill. Auch die Fußball-EM in Portugal, wo sie fünf Mannschaften beobachteten, bestätige ihre These: Mit roten Trikots haben die Teams tendenziell besser gespielt. Das zentrale Ergebnis ihrer Studie: Gleiche Fertigkeiten vorausgesetzt, gewinnen überwiegend jene Athleten oder Mannschaften, die in roten Trikots auflaufen.

Nur Amateure können also jetzt noch behaupten, dass der FC Liverpool gestern Abend überraschend den Titel des besten europäischen Fußballvereins geholt hat. Schließlich heißen die Kicker aus der Beatles-Stadt in England nur: die Reds. Und dass Rot die Farbe der Sieger ist, haben die Fans schon immer gewusst. Wie heißt es doch im schönen Schlachtgesang We Love You Liverpool We Do: „The mighty reds of Europe / are out to win today.“

Ein Favorit an der Anfield Road ist auch das Lied The Reds Are Coming Up The Hill (womit sicher nicht der eben zitierte Anthropologe gemeint ist). Natürlich ist auch darin die Farbe der Liebe (und wie wir nun wissen: des Sieges) omnipräsent. „If you wanna win the cup / you better hurry up“, heißt es da einleuchtend. Dieser Losung kam gestern Abend zwar zunächst der AC Mailand nach, der schon in der ersten Spielminute durch Paolo Maldini (der übrigens eine feuerrote Kapitänsbinde trug) in Führung ging. Doch nach der Pause waren es die Reds, die sich beeilten und in sechs Minuten aus einem 0:3-Rückstand noch den Ausgleich machten.

Dass sie sich dann noch ins Elfmeterschießen retteten und einen Sieg im Stile des Phönix‘ aus der Asche feierten, haben sie natürlich gekonnt inszeniert. Aber in Wirklichkeit stand der Erfolg von Liverpool nicht erst nach 120 Minuten fest, sondern schon vor dem Spiel. Die Reds wussten eben ganz genau, warum sie auf ihren traditionellen Trikots bestanden haben.

Nach einem denkwürdigen Finale bleibt nur eine Frage offen, die weder die Anthropologie-Professoren noch Liverpool-Fans, wohl nicht einmal Niko Kovac beantworten können: Warum das mit dem Sieg der Roten in der Politik nicht klappen will.

Alle Tore des irren Finales:

httpv://www.youtube.com/watch?v=fQp_OqsDqDU

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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