Autor | Hermann Hesse |
Titel | Das Glasperlenspiel |
Verlag | Suhrkamp |
Erscheinungsjahr | 1943 |
Bewertung | *** |
Beinahe könnte man „Das Glasperlenspiel“ als die Summe, das Konzentrat, den krönenden Abschluss von Hesses Werk betrachten. Alles ist hier: die Internatsgeschichte von „Unterm Rad“, die Ich-Suche des „Steppenwolfs“, das Esoterische von „Siddharta“, das Märchenhafte aus „Narziß und Goldmund“.
Trotzdem ist „der Versuch einer Lebensbeschreibung das Magister Ludi Josef Knecht“, wie es im Untertitel heißt, nicht nur das umfangreichste, sondern auch das untypischste Werk Hesses. Eigentlich bleibt es, mit seinen ständigen Wechseln auf die Meta-Ebene der Erzählung, mit seinen zahllosen Vorgriffen und Andeutungen, eine einzige Verheißung – ein großes Rätsel.
Der Eindruck, dass sich der Dichter hier eine Herkules-Aufgabe stellt und sich daran übernimmt, lässt sich nicht leugnen. Immerhin versucht Hesse hier nicht nur, eine Formel für den Sinn des Lebens und eine Metapher für die Weltgeschichte zu finden, sondern wohl auch seine eigene Furcht vor dem Tod (die im Hintergrund um so lauter und verzweifelter schreit, desto zuversichtlicher sie hier geleugnet werden soll) wegzuschreiben.
Nach so vielen, nach außen hin erfüllten und erfüllenden Jahren fühlt er sich – ebenso wie seine Figur Josef Knecht – noch immer fremd in der Welt und sucht dies zu überwinden. Selten war dabei der Einfluss östlicher Religionen so groß wie hier, und so sucht Hesse Trost vor allem in der ewigen Ordnung und Harmonie, im Yin und Yang, im Kreislauf.
Aus Leben wird Sterben wird Leben, aus jung wird alt wird jung, als Schülern werden Lehrer werden Schüler. „Nun war aus dem Schüler ein Lehrer geworden, und als Lehrer vor allem hatte er die große Aufgabe seiner ersten Amtszeit bewältigt, den Kampf um die Autorität und um die genaue Identifizierung von Person und Amt. Es waren zwei Entdeckungen, die er dabei machte: die Freude, welche es bereitet, geistig Erworbenes in andere Geister zu verpflanzen und es dabei zu ganz neuen Erscheinungsformen und Ausstrahlungen sich wandeln zu sehen, also die Freude am Lehren, und dann das Kämpfen mit den Persönlichkeiten der Schüler, das Erwerben und Ausüben der Autorität und Führerschaft, also die Freude am Erziehen.“
Das – bei aller Überfrachtung und Fragwürdigkeit der Form – Gelungene am „Glasperlenspiel“ ist aber nicht bloß, dass er in der ewigen Wiederkehr einen Sinn und eine Hoffnung zu erkennen vermeint. Vielmehr ist es die Feier des Geistes, dem hier mit seinen eigenen Mitteln ein unvergleichliches Denkmal errichtet wird, und der Kunst als Krone seines Ausdrucks. „Diese Heiterkeit ist weder Tändelei noch Selbstgefälligkeit, sie ist höchste Erkenntnis und Liebe, ist Bejahen aller Wirklichkeit, Wachsein am Rand aller Tiefen und Abgründe, sie ist eine Tugend der Heiligen und Ritter, sie ist unzerstörbar und nimmt mit dem Alter und der Todesnähe nur immer zu. Sie ist das Geheimnis des Schönen und die eigentliche Substanz jeder Kunst. Der Dichter, der das Herrliche und Schreckliche des Lebens im Tanzschritt seiner Verse preist, der Musiker, der es als reine Gegenwart erklingen lässt, ist Lichtbringer, Mehrer der Freude und Herrlichkeit auf Erden, auch wenn er uns erst durch Tränen und schmerzliche Spannung führt. Vielleicht ist der Dichter, dessen Verse uns entzücken, ein trauriger Einsamer und der Musiker ein schwermütiger Träumer gewesen, aber auch dann hat sein Werk teil an der Heiterkeit der Götter und Sterne. Was er uns gibt, das ist nicht mehr sein Dunkel, sein Leiden oder Bangen, es ist ein Tropfen reinen Lichtes, ewiger Heiterkeit. Auch wenn ganze Völker und Sprachen die Tiefe der Welt zu ergründen suchen, in Mythen, Kosmogonien, Religionen, ist das Letzte und Höchste, was sie erreichen können, diese Heiterkeit.“ Hesse erkennt den Geist nicht nur als Zufluchtsort und ewige Quelle des Lebens, sondern als Schlüssel zur Unsterblichkeit.
Beste Stelle: „Wer Geschichte betrachtet, soll meinetwegen den rührendsten Kinderglauben an die ordnende Macht unseres Geistes und unsrer Methoden mitbringen, aber außerdem und trotzdem soll er Respekt haben vor der unbegreiflichen Wahrheit, Wirklichkeit, Einmaligkeit des Geschehens. Geschichte, mein Lieber, ist kein Spaß und kein verantwortungsloses Spiel. Geschichte treiben setzt das Wissen darum voraus, dass man damit etwas Unmögliches und dennoch Notwendiges und höchst Wichtiges anstrebt. Geschichte treiben heißt: sich dem Chaos überlassen und dennoch den Glauben an die Ordnung und den Sinn bewahren. Es ist eine sehr ernste Aufgabe, junger Mann, und vielleicht eine tragische.“
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