Künstler | Die Kerzen | |
Album | True Love | |
Label | Staatsakt | |
Erscheinungsjahr | 2019 | |
Bewertung |
Natürlich haben sie es nicht leicht, die jungen Menschen heutzutage. All diese Informationen, Möglichkeiten und Erwartungen! All diese Bedrohungen, vom Kollaps des Klimas bis zur Herrschaft der Verblödeten! Da kann man sich schon einmal in die Vergangenheit flüchten auf der Suche nach Heimeligkeit und Orientierung.
Warum junge Menschen (die Mitglieder von Die Kerzen heißen Felix Keiler, Jelena von Eisenhart Rothe, Lucas Wojatschke und Fabian Rose und sind im Durchschnitt Mitte 20) sich bei diesem Blick zurück in gefühlt 97 Prozent aller Fälle aber stets die 1980er Jahre als die Ära aussuchen, die sie wieder zum Leben erwecken wollen, ist nicht nur schleierhaft. Mehr noch: Es ist an der Zeit, dem Einhalt zu gebieten. Jetzt. Sofort. Dieses Revival dauert schon viel zu lange und war zudem von Anfang an eine bescheuerte Idee.
Dass die Achtziger ästhetisch ein katastrophales Jahrzehnt waren, werden all die jungen Menschen spätestens in zehn Jahren feststellen, wenn sie auf ihre Instagram-Fotos zurückschauen und erkennen, wie lächerlich Schulterpolster, Hochwasserhosen, Schnauzbärte und Dauerwellen aussehen. Schlimmer wiegt jedoch die Tatsache, dass die Achtziger genau die Zeit waren, in denen viele Probleme und Konflikte ihren Ursprung hatten oder gravierend verschlimmert wurden, die junge Menschen heute zur gedanklichen Flucht aus der Gegenwart motivieren. Übersteigerter Individualismus und Hedonismus haben keinen geringen Anteil an Trump, Social-Media-Wahn und Umweltzerstörung, der fröhlich zelebrierte Neoliberalismus von Reagan, Thatcher und Kohl ebenso, mit sich vergrößernder Ungleichheit und einem perfekten Nährboden für die jüngste Finanzkrise als Bonus.
Mit anderen Worten: Ich kann verstehen, wie man sich als Teenager in Ludwigslust in Mecklenburg-Vorpommern (von dort stammen Die Kerzen) nach dem Glamour von Dream-Pop oder den Pastellfarben von New Romantic sehnt, sodass man sich Künstlernamen wie Fizzy Blizz, Die Katze, Jelly Del Monaco und Super Luci gibt. Aber die Achtziger sind nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems.
Das hätte das Quartett – da hört der pauschale Vorwurf gegen Millennials auf und fängt der konkrete Vorwurf gegen Die Kerzen an – auf seinem selbst produzierten Debütalbum auch selbst merken müssen. Wenn sie sich True Love wünschen, warum haben sie dann die Ästhetik einer Ära gewählt, in der Oberflächlichkeit alles dominierte? Warum schauen sie auf dem Albumcover (gemalt von Helmut Kraus) in einen Fernseher statt sich irgendwo draußen (im Club, auf der Wiese, in der Raucherecke auf dem Schulhof) nach echter Liebe umzusehen? Und, das ist der entscheidende Kritikpunkt, warum erkennen sie nicht, wie hohl ihre Musik ist?
„Blue Jeans / ein Duft aus Paris / alles an dir strahlt“, heißt es im Opener Blue Jeans, und da ist schon der Fokus auf Äußerlichkeiten als Problem erkennbar, in einem Sound, der nach circa neun Jahren Eighties-Revival nichts Originelles mehr hat und auch nichts Eigenes hervorbringt. Am Ende von True Love steht Solarium und unterstreicht dieses Problem: Die Kerzen zeigen hier eine glaubhafte Melancholie, aber sie bleibt gefangen in Attitüde. Auf die im Text diagnostizierte „chronische Unbeständigkeit“ reagieren sie ausgerechnet mit dem Glauben daran, in Produkten und Trends einen Sinn und eine Persönlichkeit finden zu können. Dass die Band demnächst eine eigene Modelinie herausbringen will, passt da ins Bild.
Der Titelsong True Love erweist sich als Liebeserklärung, die aber klingt, als würde sie in einem Computerspiel artikuliert, nicht im echten Leben. Karamba klingt eher nach „Schubidu“, was Al Pacino zum Role Model macht, bleibt unklar. Saigon ist heiterer und plakativer als der Durchschnitt der Lieder auf diesem Album, und klingt im Ergebnis wie Leoniden, wenn die kein eigenes Leben und keine eigenen Ideen hätten. Der Tiefpunkt ist Désolé: Da fehlt nur eine Winzigkeit, und das wäre von Helene Fischer vorstellbar.
Auch die etwas verkrampften Berlin-Referenzen (drei der Bandmitglieder leben mittlerweile in der Hauptstadt, und so findet man auf True Love etwa Erwähnungen von Berghain und Tegel, Sonnenallee und Hermannstraße) passen zum Eindruck, dass eine Band sich hier über Äußerlichkeiten definieren will statt eigene Inhalte entwickeln zu können. Freilich ist dabei nicht alles Murks: Mit Seide hat einen netten Groove, der Refrain von In der Nacht hast du geweint enthält die beste Melodie des Albums. In Zu spät scheinen Die Kerzen sogar kurz echtes Gefühl erkennen zu lassen. Aber auch hier bleibt ihnen die Ästhetik letztlich wichtiger als die Idee, ihr Publikum wirklich zu berühren.
Auch Fahrradfahren scheint im Video zu Saigon zum Statement zu werden.
Tourdaten:
22.08.19 Berlin, Pop Kultur
18-21.09.19 Hamburg, Reeperbahn Festival
18.10.19 Berlin, SO 36 (Dialog mit der Jugend)
19.10.19 Schorndorf