Künstler | Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen | |
Album | Fuck Dance, Let’s Art! | |
Label | Tapete | |
Erscheinungsjahr | 2019 | |
Bewertung |
Ein Leben in Rot mit purpurnen Blitzen. So heißt das zweite Lied auf dieser Platte. Sänger Carsten Friedrichs nennt das Stück recht zutreffend einen „Northern-Soul-/Disco-Kracher mit Gainsbourg-Gemurmel“. Aber bei dieser Beschreibung muss man sich erst recht fragen: Wer lebt so ein Leben? Donald Trump? Cristiano Ronaldo? Die Geißens?
Die Antwort ist einfach, und sie ist zugleich die Antwort auf das Wesen der Liga der gewöhnlichen Gentlemen: Jeder kann so ein Leben führen. Es ist eine Frage des Maßstabs. Was es in ihrem Fall dazu braucht, ist lediglich „ein tolles Jacket mit zwei seitlichen Schlitzen“ (Outfits waren bei dieser Band stets auch gerne Thema der Songs) und ein paar Momente, die dem entsprechen, was Harald Juhnke einst als seine Definition von Glück beschrieben hatte: „Keine Probleme und leicht einen sitzen.“
Gunther Buskies, Heiko Franz, Fabio Papais, Tim Jürgens und Carsten Friedrichs wissen: Wenn es gelingt, eigene Kritierien für Glück und Erfolg zu definieren, ist es kein Problem mehr, zumindest gelegentlich Zufriedenheit zu finden. Man kann dann sehr gewiss sein, dass man vielleicht nicht den Erwartungen der anderen entspricht, dafür aber umso mehr den eigenen Prinzipien folgt und somit letztlich das Richtige tut. Diese Fähigkeit, das eigene Leben (auch als mittelerfolgreiche Band) im Zweifel zu überhöhen, durchzieht die gesamte Karriere der Liga der gewöhnlichen Gentlemen, und sie wird auf Fuck Dance, Let’s Art! noch stolzer zelebriert.
Der letzte große Bohemien heißt der energische Auftakt des Albums, der Protagonist darin verfolgt genau das DLDGG-Credo: Er trotzt dem Hartz-IV-Regime, vereint prekär und dandyhaft, lässt Politik und Ästhetik kollidieren, wie es die ursprünglichen Bohemiens ja auch taten. Das alles mit Orgel, Sitar, Handclaps und Schmackes. Wie ein Kronkorken auf dem weiten Meer zeigt kurz darauf, dass sich Orientierungslosigkeit gar nicht so schlimm anfühlen muss. Links, Rechts, Geradeaus ist wohl eine heimliche Hymne auf Robert Mitchum, dessen Motto man sich problemlos zum Vorbild nehmen kann: „Alle Kämpfe verloren / doch er stand wieder auf / er schaute nach links / er schaute nach rechts / und dann geradeaus.“
Glücklicherweise wird das auf dem fünften Album der Band zwar weiterhin kunstvoll umgesetzt, auf der Plattenhülle sind die fünf Gentlemen (vielleicht als Folge einer Begegnung mit einem zeitreisenden Van Gogh) auch als abstrakte Gemälde zu sehen. Der Albumtitel bedeutet aber nicht, dass die Liga arty-farty geworden wäre. Frustration rückt vielmehr in die Nähe von Punk (und zwischendurch von Surf), der Titelsong Fuck Dance, Let’s Art! erweist sich als knackiges Instrumental im Geiste von Jonathan Richmans Egyptian Reggae, das zweite Instrumentalstück Escape From Martinique ist auch ohne Text ebenfalls kein bisschen langweilig, sondern erstaunlich tanzbar.
Bekannte DLDGG-Stärken können Fans auch in Der glückliche Spion wieder entdecken, denn solche vergessenen Helden (in diesem Fall: einen Geheimagenten im Ruhestand) hat das Hamburg-Berliner Quintett stets gerne besungen. Auch die Fähigkeit, in vermeintlich alltäglichen Veränderungen das bedauerliche (und womöglich unaufhaltsame) Verschwinden von Liebgewonnenen zu erkennen, stellen sie erneut unter Beweis, diesmal mit Der kleine Matratzenmarkt. Man hätte nie gedacht, mal die Silben „Ma-Ma-Ma-Matratzenconcord“ mitzusingen, aber wenn man es doch tut (man muss es tun!), fühlt es sich an wie eine Erfüllung.
Das beste Lied auf Fuck Dance, Let’s Art! heißt Ich verlieb mich wieder in mich. Es hat eine tolle Melodie und große Leichtigkeit, zu der nicht nur Beat und Banjo beitragen, sondern auch das Bellen eines im Text erwähnten Hundes, das quasi als Percussion-Instrument eingesetzt wird. Auch hier zeigt die Band: Man muss nur die eigene Perspektive zurechtrücken, dann kann man die schönen Seiten der Welt entdecken, auch die an sich selbst. Den Abschluss des Albums macht Hässlich und faul, Musik und der HSV, ein Rückblick auf die eigenen Teenager-Jahre in den 1980er Jahren mit ganz viel Selbstironie, ein bisschen Nostalgie und einer weiteren Erinnerung an die eingangs erwähnte Möglichkeit, die eigenen Maßstäbe für das eigene Glück zu finden: Was zählt, ist der Moment, der Zusammenhalt, der Glaube an das Potenzial für Glamour in den eigenen Lebensumständen. Diesen Gedanken hatte Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen schon im Titel ihres ersten Albums auf den Punkt gebracht, und er gilt ewig weiter, in ihrer Welt und hoffentlich auch jenseits davon: Jeder auf Erden ist wunderschön, sogar du.