„Wir sind unterm Radar / wir sind quasi nicht da“, singt Carsten Friedrichs ungefähr in der Mitte dieses Konzerts in Leipzig. Man könnte das für zutreffend halten: Spricht man seine Mitmenschen auf Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen an, denken viele (die nicht genau hingehört haben), an Alan Moore und die Comicreihe des beinahe gleichen Namens. Manche denken vielleicht auch an deren Verfilmung mit Sean Connery. Bei einigen Mitmenschen (die etwas von guter Musik verstehen) stellt sich immerhin ein Aha-Effekt ein, wenn man erklärt, das Quintett aus Hamburg sei so etwas wie die Nachfolge-Band von Superpunk. Aber bei den meisten klingelt wahrscheinlich gar nichts bei diesem Stichwort.
Von „unterm Radar“ kann für alle, die drin sind im Ilses Erika, aber keine Rede sein. The Out-Crowd heißt das Lied mit besagter Zeile, und es löst ein Reggae-Fest aus, ziemlich enthusiastisch, nicht nur für einen Mittwochabend im März. Vom ersten Lied an (Die ganze Welt ist gegen mich) kann man hier die Verschworenheit spüren, die entstehen kann, wenn ein Raum voller Menschen durch gemeinsamen Geschmack, gemeinsame Erfahrungen und den gemeinsamen Willen, eine gute Zeit zu haben, zu einer Gemeinde wird. Viele im Publikum kennen jedes Wort, manche nicken nur mit und lernen. Dass diese Gemeinde nicht allzu groß ist, adelt sie eher als dass es wie ein Defizit wirkte: Was hier passiert, ist besonders.
Die Band teilt diesen Gedanken sicher. „Ich habe immer Musik gehört und gemocht, die keinen großen Erfolg hatte. Das waren oft ganz obskure Sachen, und das war mir scheißegal“, hat mir Sänger Carsten Friedrichs im Interview vor dem Konzert erzählt. „So geht es mir jetzt auch als Musiker: Ich bin froh, dass ich Platten rausbringen kann und dass ein paar Leute kommen, wenn wir spielen.“ Lieder wie Das Unglück bin ich oder das umwerfende You Are Great But People Are Shit, das im Ilses Erika als letzter Song vor der Zugabe erklingt, spielen mit diesem Status als Underdog, der um seine numerische Unterzahl, aber seine moralische und ästhetische Überlegenheit weiß. Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen ist dabei weit davon entfernt, elitär zu sein: Die Band witzelt in Leipzig über ihren eigenen Status, etwa wenn Carsten Friedrichs ein Lied als „einen unserer großen Hits“ ankündigt oder darauf hinweist, die Band sei diesmal mit dem ICE angereist, „wie Stars“.
Auch das trägt zur Atmosphäre eines gut gelaunten Familientreffens bei, das etliche Höhepunkte hat. Bei Arbeit ist ein Sechsbuchstabenwort singt das Publikum an einem Werktag kurz vor Mitternacht ganz besonders motiviert mit, auch bei Ich bin gut genug für Dich, ebenfalls vom aktuellen Album Rüttel mal am Käfig, die Affen sollen was machen („Das ist einfach ein schönes Bild, finden wir“, erklärt Carsten Friedrichs den Titel), werden die Fans zum Chor. Meine Jeans klingt live deutlich besser als auf Platte und wird in Leipzig ein veritabler Beat-Kracher. Und Neue Zähne für meinen Bruder und mich, das einzige Superpunk-Lied, das Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen diesmal spielt, wird in Leipzig als erste Zugabe natürlich groß gefeiert, auch von allen, die gar keinen Bruder oder noch alle Zähne haben.
Am Ende des Konzerts schämt man sich ein bisschen, dass man nicht stilecht mit der Vespa oder einem alten Opel Rekord (oder wenigstens mit dem ICE) nach Hause fährt, sondern mit dem Fahrrad oder der Tram. Aber man ist hoch erfreut, Teil einer so schicken, schlauen und schönen Gemeinde gewesen zu sein.
Schöner Text, der die Stimmung an diesem großartigen Abend perfekt einfängt. Wir sind extra fürs Liga-Konzert aus Kassel angereist (Wiedergutmachung für die null zahlenden Zuschauer 1999). Mit ICE! Aber ohne NicNacs.